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Doppeldecker vor Big Ben.
© BEN STANSALL/AFP

England: London: Die besten Tipps von einer Liebenden

Seit 40 Jahren führe ich eine Fernbeziehung mit der britischen Hauptstadt. Trotz einiger Affären mit anderen Metropolen kehrte ich immer wieder an die Themse zurück.

Liebe ist schwer zu erklären. Ist halt ein Gefühl. In diesem Fall währt es schon seit 40 Jahren, so lange bin ich London treu. Wir führen eine glückliche Fernbeziehung. Zwei Monate habe ich tatsächlich mal an der Themse gewohnt und am eigenen Leib erfahren, wie wahnsinnig anstrengend, unterkühlt und unerschwinglich das Leben in der Metropole ist. Besuchen ist schöner. Ich habe auch einen Ort, der sich ein bisschen wie zu Hause anfühlt. Den Namen meines Lieblingshotels verrate ich nicht, nur so viel: Es liegt in Bloomsbury. Ich nehme immer das billigste Zimmer, ein schmaler Raum, mit Teppichboden natürlich, das Bad auf halber Treppe, ein Pub um die Ecke, zum Frühstück werden Eier und Speck à la minute gebraten. Es ist ein durch und durch englisches, also enges Reihenhaus. Typisch englisch, das bedeutet auch, dass die hilfsbereiten Mitarbeiter alle einen osteuropäischen Akzent haben. Ich mache mir Sorgen. Um sie, Großbritannien und mich. Was, wenn diese freundlichen Menschen alle rausgeworfen werden? Die Tourismusbranche würde in sich zusammenklappen wie das Lügengerüst der Politiker nach der Brexitabstimmung. Aber noch ist er nicht durch. Noch kann man hoffen. Und gucken.

Literatur

Als ich das erste Mal in New York landete, kam ich mir vor wie im Film: Straßenschluchten, Wolkenkratzer, kannte ich alles schon aus dem Kino. Die Déjà-vu-Visionen in London sind anderer Art. Hier komme ich mir vor wie im Bücherschrank. Charles Dickens, Ian McEwan, Mary Poppins, John Lanchester, Virginia Woolf... Das Herz meiner literarischen Gefühle klopft in Bloomsbury, wo ich bei meinem allerersten Londonbesuch als Studentin 1977 nächtigte, als die Stadt noch sehr viel düsterer und asketischer, aber auch weniger kommerziell war. Sitze ich in einem der lauschigen kleinen Parks, die Namen wie Romanfiguren tragen, Tavistock, Bedford, Russell oder Gordon, und an deren Rand so viele Schriftsteller lebten, erfüllt mich Glückseligkeit. Wenn’s regnet, ziehe ich einfach um, in den „London Review Bookshop“. Dort möchte ich am liebsten jedes Buch in die Hand nehmen und streicheln, so schön sind alle, die hier ausliegen, gestaltet. Die Auswahl des kleinen Ladens ist fantastisch. Eine Stunde, und ich weiß genau, was die Londoner Intelligenzia gerade liest, worüber sie debattiert. Die Beute trage ich ins dazugehörige Café, bestelle selbst gebackenen Kuchen und tauche ab.

London Review Bookshop, 14 Bury Place, londonreviewbookshop.co.uk

Der „London Review Bookshop“
Der „London Review Bookshop“
© Matthew Chattle /Alamy Stock Photo

Museum

Es war einmal eine Zeit, da hießen die Briten Fremde in Not willkommen. Dem Kindertransport, wie er auch auf Englisch genannt wird, ist ein eigenes Denkmal vor dem Bahnhof Liverpool Street gewidmet. In Hampstead, dem grünen Norden der Stadt, ließen sich viele Emigranten nieder, darunter auch Agatha-Christie-Fan Sigmund Freud. 1938 war er hierher geflohen, um in Freiheit zu sterben, wie der 82-Jährige seinem Sohn schrieb. In London schwamm die Familie in einem Meer von Süßigkeiten, Blumen und guten Wünschen. Heute ist Hampstead mehr ein Ort des Geldes als des Geistes. Doch es gibt Ausnahmen, wie den grünen Hampstead Heath mit dem Ladies’ Pond, einem Schwimmteich nur für Frauen, der das ganze Jahr geöffnet hat. Und Freuds Haus, ein lebendiges Museum, mit der berühmtesten Couch der Welt, auf der der Analytiker Menschen in Seelennot empfing.

Freud Museum, 20 Maresfield Garden, freud.org.uk

Freuds Couch. Der Analytiker floh vor den Nazis nach London. Sein Haus ist heute Museum.
Freuds Couch. Der Analytiker floh vor den Nazis nach London. Sein Haus ist heute Museum.
© Arcaid Images / Alamy Stock Photo

Musik

Kein Mensch braucht ein Mittagessen, wenn er ein britisches Frühstück intus hat. Die Stunde kann man anderweitig nutzen. London hat jede Menge Lunchtime-Konzerte im Angebot, etliche davon gratis. Ein besonders schöner Ort dafür ist die frühere Kirche St. John’s Smith Square, allein der Platz ist ein Idyll. Die berührendsten Londoner Konzerte habe ich ohnehin in Kirchen gehört, beim Evensong – Gottesdiensten, die praktisch nur aus Gesang bestehen. Die Chöre mit ihren engelsgleichen Stimmen sitzen in Holzgestühl mit kleinen Lämpchen. Wohnzimmeratmosphäre.

choralevensong.org

Tea Time! Ist jetzt so was von cool

Beten gegen den Brexit. Jungs aus dem Knabenchor in der Westminster Abbey.
Beten gegen den Brexit. Jungs aus dem Knabenchor in der Westminster Abbey.
© Max Rossi pa/dpa

Tea Time

Den Hunger sollte man sich für den Nachmittag sparen: Tea Time! Galt vor gar nicht langer Zeit als gnadenlos verstaubt, ist jetzt so was von cool. Weshalb die üppigen Etageren teilweise schon um zwölf Uhr mittags auf die Tische gestellt werden, um die Nachfrage zu stillen. Meist entscheide ich mich für die abgespeckte Version des Cream Teas, mit Scones, Clotted Cream und Erdbeermarmelade, eine der unschlagbaren kulinarischen Kombinationen, so wie Würstchen mit Senf. Eine köstliche Art, London zu entdecken: die Tea Time immer wieder an einem anderen Ort genießen. Mal in der Orangerie in Kensington Gardens oder der Royal Academy, mal im Houses of Parliament oder meinem Lieblingskaufhaus, John Lewis (das am Sloane Square Peter Jones heißt); vergessen Sie Harrods, die Londoner kaufen bei John Lewis ein, dem eleganten Department Store, der den Mitarbeitern gehört. Einmal bin ich zum Tee im Ritz eingekehrt und habe als Erstes mit einer meiner drei Umhängetaschen die Tasse vom Tisch gefegt, die wahrscheinlich teurer war als die ganze Tea Time. Und alles, was der Oberkellner besänftigend zu mir sagte, war: „It happens to us all the time.“

timeout.com/london/restaurants/afternoon-tea-in-london

Architektur

Moderne Architektur hat es in London lange schwer gehabt, ihr bekanntester Gegner heißt Prinz Charles. Stars wie Norman Foster oder David Chipperfield haben ihren Durchbruch auf dem Kontinent erlebt. Umso erstaunlicher, dass Hochhäuser an der Themse jetzt aus dem Boden sprießen, wie an der Spree nur die Gänseblümchen. Die Skyline ändert sich täglich. Wer sich einen Überblick verschaffen will, fährt mit dem gläsernen Aufzug ins „Duck and Waffle“ hoch. Im 40. Stock des Heron Tower an der Liverpool Street Station liegt Londons höchstes rund um die Uhr geöffnetes Restaurant mit Bar. Waffeln mit Ochsenbäckchen zum Frühstück – bei Sonnenaufgang nicht zu toppen.

Duck and Waffle, 110 Bishopsgate, duckandwaffle.com

Das futuristische Pressezentrum des Lord’s Cricket Ground.
Das futuristische Pressezentrum des Lord’s Cricket Ground.
© imago/Arcaid Images

Käse

Jamie Oliver, Ottolenghi, Nigella Lawson – es ist schon lustig, dass die Deutschen aus den Büchern der (gebürtigen oder gelernten) Londoner Kochen lernen, und sich trotzdem noch gern über das schlechte Essen auf der Insel mokieren. Ignoranten! Wahrscheinlich waren sie auch noch nie in „Neal’s Yard Dairy“, dem herrlichen Käseladen am Rande des touristischen Covent Garden, der seit Anfang der 1980er Jahre Farmhouse Cheese vertreibt, Appleby’s Cheshire, Baron Bigod oder Kirkham’s Lancashire, buttrig, krümelig, scharf. Genau das Richtige für ein Picknick im Park.

Neil’s Yard Dairy, 17 Shorts Gardens, nealsyarddairy.co.uk

Leben am Kanal

An der Themse führt kein Weg vorbei. Am schönsten ist sie bei Nacht, wenn die Dunkelheit selbst die Bausünden in romantisches Licht taucht. Intimer ist der Regent’s Canal. An dem liegt King’s Cross, das musterhafte Stadtentwicklungsprojekt hinter dem gleichnamigen Bahnhof. Seit Jahren kann man hier einem neuen Viertel beim Werden zusehen, dabei durch Springbrunnen hüpfen, richtig gut indisch essen (im Dishoom) oder jene Kunst betrachten, in der die Briten glänzen, das grafische Design (im House of Illustration). Oder einfach auf den breiten Stufen am Kanal sitzen.

kingscross.co.uk

Plakatwerbung für das „House of Illustration“ im neuen Viertel rund um den Bahnhof King’s Cross.
Plakatwerbung für das „House of Illustration“ im neuen Viertel rund um den Bahnhof King’s Cross.
© Julian Castle / Alamy Stock Photo

Cricket

Noch nie habe ich ein Cricketspiel gesehen, werde es vermutlich auch nie tun. Dafür braucht man mehr Ausdauer als ich habe. Fünf Tage kann so ein Match dauern. Aber schon immer haben sie mich fasziniert, die Spieler in ihrem weißen Outfit, wenn ich sie mal wieder sonntagnachmittags im Vorbeifahren erblickte. Der einzige Sport, bei dem die Teepause Teil des Regelwerks ist. So habe ich mit größtem Vergnügen an einer Tour des Lord’s Cricket Ground teilgenommen. Die führt vom historischen Museum – darin der liebevoll ausgestopfte Vogel, der von einem Ball tödlich getroffen wurde – bis zur futuristischen Architektur des Pressezentrums.

Lord’s Cricket Ground, St. Johns Wood Road, lords.org/lords/things-to-do/tours-of-lords

Doppeldecker

In London bin ich zum ersten Mal im Leben Doppeldecker gefahren. Fasziniert sah ich den Einheimischen zu, wie sie selbst zwischen den Haltestellen durch den offenen Hintereingang in den Bus rein und wieder raus hüpften. Dann wurde der „Routemaster“ abgeschafft, um den Schaffner einzusparen. Ausgerechnet Boris Johnson, heute besser bekannt als machtbesessener Brexit-Lügenbold und damals Bürgermeister, hat ihn 2012 wieder eingeführt. In neuer, eleganterer Form nach einem Entwurf von Stararchitekt Thomas Heatherwick. Womit bewiesen wäre, dass keine Entscheidung endgültig sein muss. Allerdings ist der so genannte „Borismaster“ jetzt selbst wieder bedroht. Ach, London, mach mir die Liebe nicht so schwer.

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