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Ricardo Lange, 39, arbeitet als Intensivpfleger in Berlin.
© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Intensivpfleger an der Corona-Front: „Auf Facebook schreiben mir Leute, ich solle verrecken“

Ricardo Lange berichtet jede Woche aus dem Krankenhaus. Diesmal: ein bekehrter Corona-Leugner und traurige Zahlen. Ein Interview.

Ricardo Lange, 39, arbeitet als Pflegekraft auf einer Berliner Intensivstation. Seine Klinik ist eine der 17 Einrichtungen mit einem Covid-Schwerpunkt. Hier berichtet er jede Woche von Nachtschichten, Provisorien und Hoffnungsschimmern.

Herr Lange, der Lockdown hält an, die Zahlen von Infizierten steigen weiter. Auch auf Ihrer Intensivstation?
Wir haben diese Woche tatsächlich weniger Covid-Fälle als in den Wochen zuvor. Leider aus einem traurigen Grund: Es sind so viele Patienten und Patientinnen gestorben. Gerade erst eine Mutter zweier Söhne, sie war Mitte 50.

Statt Trost und Applaus bekommen Sie in dieser zweiten Welle Drohungen.
Ich sei ein Troll, der von der Regierung für seine Lügen bezahlt wird, lese ich, bevor ich zur Nachtschicht aufbreche. Ich solle an „meinem" Corona verrecken, steht in einer Direktnachricht auf Facebook, die ich durchscrolle, wenn ich nach mehr als acht Stunden die Maske von meinem verschwitzten und geröteten Gesicht nehme.

Sie können den Leugnern doch Berichte von der Front entgegensetzen.
Das hilft nichts, die haben immer ein Gegenargument. Aber kürzlich rief ein Mann bei uns an, dessen Vater mit einem schweren Covid-Verlauf bei uns liegt. Er sagte, er sei bislang Corona-Skeptiker gewesen, habe das Virus für harmlos gehalten. Jetzt, da es seinem Papa so schlecht geht, sieht er ein, dass er Unrecht hatte.

Seit Monaten flehen Sie die Politik an, etwas gegen den Pflegenotstand zu tun. Bislang erfolglos.
Mir ist aufgefallen: Wir Pflegekräfte müssen gar nicht streiken, das könnten wir eh nie mit unserem Gewissen vereinbaren. Es würde genügen, wir machten Dienst nach Vorschrift. Verbrächten unsere Pause in einem separaten Raum oder gar draußen beim Spazierengehen, statt wie jetzt üblich dort, wo die Überwachungsmonitore stehen, stets zum Einsatz bereit.

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Wir dürften nicht mehr einspringen, wenn Kollegen krank werden, keine weiteren Überstunden machen, Teilzeitkräfte müssten mal eben auf ihrem vereinbarten Arbeitspensum beharren. Wenige Stunden würden reichen. Dann nämlich würde das gesamte System in sich zusammenbrechen.

[Weitere Folgen der Kolumne "Außer Atem" mit Ricardo Lange lesen Sie hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier]

Hat Sie in letzter Zeit auch etwas gefreut?
Dass wir Heiligabend mit unseren Familien feiern dürfen! Nach fast einem Jahr der Entbehrungen, freue mich auf meine Eltern. Mir ist klar, dass wir Pfleger steigende Zahlen ausbaden müssten. Aber ich hatte mal eine ältere Patientin, die auf die Frage, ob ich sie zur Tür oder zum Fenster hin lagern soll, sagte: zur Tür. Sie wollte gleich sehen, wenn ihr Sohn doch noch vorbei käme. Daran muss ich oft denken.

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