Dokumentarfotografie: Auf der Suche nach dem Glauben
Sufis in Indien, Buße-Rituale in Spanien und Chinas neue Spiritualität. Ein Fotograf dokumentiert religiöse Rituale in aller Welt.
Die Idee entstand in Amerika. Dort erlebte Sebastian Hesse – Selbstbeschreibung: „gefallener Katholik mit agnostischem Geist“ – eine Religiosität, die ihn verblüffte. „In den Kirchengemeinden der USA findet das soziale Leben statt, wie in Deutschland auf dem Land in den Vereinen“, sagt er. Zum Beispiel im Viertel Georgetown in der Hauptstadt Washington. Da ging er sonntags oft in den Gottesdienst, „weil der klasse war, mit einem schwungvollen Chor, und man hat mich sehr gastfreundlich aufgenommen“.
Hesse kommt schon von Berufs wegen viel herum. Als Hörfunkreporter hat er in den ARD-Studios London, Schanghai und eben in Washington gearbeitet – und festgestellt, dass Spiritualität weltweit eine Wiederkehr erlebt. „China ist der Extremfall. Maos Kulturrevolution zerstörte die Religionen, später entstand ein Sinnvakuum“, sagt er. „Inzwischen wenden sich die Menschen wieder dem Buddhismus zu, die katholische Kirche hat mehr Mitglieder als die Kommunistische Partei Chinas.“
Für sein Buch „Sieben“ ist der Journalist und Fotograf durch Europa und Asien gereist. Mit seiner Leica hat er zum Beispiel die Musiker im Sufi-Schrein in Nizamuddhin fotografiert, einem muslimischen Viertel von Delhi. Diese mystische Seite des Islam hat ihn beeindruckt, nicht zuletzt wegen des 90-jährigen Sufi-Meisters Meraj Ahmed Nizami. „Er kann, obwohl Analphabet, angeblich 14 000 Lieder auswendig.“ In Irland ist Hesse, inmitten hunderter Pilger, auf den Croagh Patrick gestiegen. Das nationale Heiligtum ist nur 800 Meter hoch, doch der Aufstieg war schwer; manche Iren liefen barfuß bis zur Spitze.
Das Druidentum gilt offiziell als Religion
Landschaftlich besonders schön fand Hesse den Heiligen Berg Athos, die orthodoxe Mönchsrepublik in Griechenland, zu der nur Männer Zutritt haben – und auch nur nach erfolgreicher telefonischer Bewerbung. „Abends sitzt man mit den Mönchen zusammen, trinkt Ouzo und redet über das Leben“, erzählt er. „Ich habe Leute getroffen, die da regelmäßig hinfahren, eine gute Möglichkeit, ein paar Tage komplett auszusteigen.“
Seine skurrilsten Bilder zeigen Druidenmeister in London. „In England ist die Rückbesinnung auf die Naturreligionen viel stärker ausgeprägt als hierzulande.“ Das Druidentum, das seine Wurzeln in der Kultur der Kelten hat, ist mittlerweile sogar offiziell als Religion anerkannt.
„Sieben“ heißt Hesses Buch wegen der sieben darin versammelten Orte und weil der Zahl in verschiedenen Religionen geradezu magische Bedeutung zukommt. Da sind die sieben Todsünden im Christentum, die sieben Umrundungen der Stupa im tibetischen Buddhismus oder der siebenarmige Leuchter im Judentum. „Wenn man sich die Menora anschaut mit ihrem Arm in der Mitte und den jeweils drei Armen links und rechts davon, dann wirkt die sehr schön. Vielleicht liegt in dieser wunderbaren Symmetrie ein Reiz der Zahl.“ Was alle Gläubigen verbinde, sei die Sehnsucht nach der Überwindung des Ichs, hat der Fotograf beobachtet. Das Aufgehen in einem größeren Ganzen relativiere die eigenen Sorgen. „Es geht überall um die gleichen Bedürfnisse und Ängste.“
Alle fragen Sebastian Hesse nun, ob er durch seine Recherchen selbst zur Religiosität gefunden habe. Das nicht, sagt er. Aber die Demut und Gelassenheit der Gläubigen hat ihn beeindruckt. Und zumindest zum Athos möchte er zurückkehren. Das nächste Mal ohne Kamera. Um sich ganz auf das Erlebnis einzulassen.
Das Buch „Sieben: Geschichten vom Glauben“ von Sebastian Hesse ist im Mitteldeutschen Verlag erschienen (144 Seiten, 24,95 Euro).
Björn Rosen