zum Hauptinhalt
Lebensader Ganges. Pilger in Rishikesh bereiten das Aarti-Ritual vor.
© picture alliance /Westend61

Yogapilgerstätte Dehli: Abschied vom Ashram

Ecstatic Dance, Bäder im Ganges, Pritsche im Gruppenraum: Jahrelang pilgerte unsere Autorin zum Yoga nach Indien. Jetzt musste sie loslassen.

Der Ashram und ich – das war Liebe auf den ersten Blick. Als ich nach langem Flug und rumpeliger Taxifahrt durch Dörfer und Dschungel vor acht Jahren das erste Mal ankam, war ich bezaubert von den blühenden Gärten zwischen den zweistöckigen Gebäuden in zartem Orange, von der unendlichen Vielfalt schnörkeliger Tore und lieblicher Götterstatuen und von den Mülleimern in Form großer weißer Kaninchen.

Ein Ashram ist das indische Pendant zu einem Kloster. Klösterliche Stille herrschte hier allerdings nicht. Einmal, weil es die Inder generell mit der Stille nicht so haben, und dann, weil Parmath Niketan in Rishikesh einer der größten Ashrams des Landes ist und zu jeder Zeit Hunderte von Pilgern und Touristen beherbergt. Zudem liefen die Vorbereitungen für das Internationale Yogafestival, das jedes Jahr in der ersten Märzwoche stattfindet. Eine freundliche Australierin in weißem Sari wies mir meine Unterkunft zu oder besser: meinen Schlafplatz. Eine Pritsche im Sechsbettzimmer.

Ich stellte meine Tasche ab und ging hinunter zum Ganges. Breit und mit starker Strömung kommt der Fluss aus den Bergen, die sich hinter dem Ort erheben. Hier ist er noch so sauber, dass auch Westler darin baden können. Das, so heißt es, wäscht das Karma ab – erst wenn alle seine Spuren getilgt sind, können Hindus ins Nirvana eingehen.

Jeden Abend wurde am Ufer das Aarti-Ritual gefeiert

Die Abendsonne färbte die Fluten des Flusses, der hier als Göttin verehrt wird, rosa. Pilger nahmen rituelle Bäder, füllten das heilige Wasser zum Mitnehmen in Platikflaschen und kauften den Straßenhändlern kleine Schiffchen ab, die mit Blumen und Kerzen gefüllt dem Fluss als Opfergabe übergeben werden. Nach Einbruch der Dunkelheit erleuchteten sie zu Hunderten die Wasseroberfläche wie gefallene Sterne.

Über dem Fluss thronte eine riesige weiße Statue des Gottes Shiva. Er, der große Asket, gilt als der Vater aller Yogis, aus seinen Dreadlocks entspringt der Legende nach der Ganges. Jeden Abend wurde am Ufer das Aarti-Ritual gefeiert, mit Gesang und Schwenken von Öllampen der Tag feierlich verabschiedet und den Göttern gedankt. Vor den Toren des Ashrams war die Feier besonders prächtig, doch überall entlang des Ufers sah man kleine Feuer in der Dämmerung.

Obwohl ich erschöpft war und mich noch nicht einmal auf eine heiße Dusche freuen konnte – warmes Wasser floss im Ashram nur ausnahmsweise –, erfüllte mich ein Wohlgefühl. Die Magie des Ortes, auf die ich mich viele Jahre würde verlassen können, begann zu wirken.

Eine Heilpraktikerin erlöste uns von unseren üblen Zwillingen

Zurück im Zimmer lernte ich meine Mitbewohnerinnen kennen, wie ich selbst nicht mehr ganz junge Mitteleuropäerinnen, die freiwillig auf ihren gewohnten Komfort und ihren Aperol Spritz verzichteten, um Yoga so kennenzulernen, wie es seit Jahrhunderten hier gelehrt wird. Das Festival bot ein riesiges Programm. Wer mochte, konnte von früh bis spät die Körperstellungen, die Asanas, üben, den Pfau, den Baum oder den abwärts schauenden Hund, zwischen Meditationsklassen, Konzerten von sakralen Gesängen oder Vorträgen über Yogaschriften wählen, bis der Kopf schwirrte.

Shiva, hilf! Die riesige Statue der indischen Gottheit thront am Ufer des Ganges.
Shiva, hilf! Die riesige Statue der indischen Gottheit thront am Ufer des Ganges.
© Bettina Homann

Am ersten Abend ging es noch ganz vernünftig zu, aber je länger der Kaffee- und Warmwasserentzug andauerte, je mehr Lachyoga und Ecstatic Dance, eine Art drogenfreier Rave für Yogis, wir hinter uns hatten, desto lustiger wurde es in unserer kleinen Reisegruppe.

Pythorea, Heilpraktikerin aus München, führte ein Ritual durch, in dem sie uns von unseren üblen Zwillingen erlöste, die unsichtbar auf unseren Schultern saßen und unsere Energie abzogen. Wir waren uns einig, dass man sich danach viel leichter fühlte. Eine nach der anderen buchten wir einen Termin bei Anand, dem schönen Astrologen. Selig lächelnd kamen wir zurück, behängt mit Ketten aus Edelsteinen, die der junge Mann zur Heilung empfahl und praktischerweise im Laden unter seiner Praxis verkaufte. „Erleuchtung“ klang auf einmal nach einem realistischen Lebensziel.

Ich ließ mich treiben, ohne Ziel, ohne Plan und fühlte mich wohl

Ausschlafen gehörte nicht zum Konzept des Ashrams. Bereits im Morgengrauen tönten Gesänge aus krachenden Boxen über das Gelände. Also machte ich mich auf, um die Gegend zu erkunden. Rishikesh, idyllisch am Fuße der Himalayas gelegen, ist ein alter Pilgerort, der sich als Welthauptstadt des Yoga inszeniert, die schmalen Gassen bevölkert von Heiligen und Scharlatanen.

Ich tauchte ein in das Gewühl. Aus den Läden, in denen die bunten Klamotten verkauft werden, die hier alle tragen, die Gebetsketten, die Miniaturgötter und Yogamatten, tönte Mantra-Pop. Om-Namah-Shivaya in Endlosschleife. Pilger schoben sich vorbei, ihr Hab und Gut in Bündeln auf dem Rücken. Kühe, im Fell noch die bunten Farbflecken vom letzten Holi-Fest, durchstöberten den Müll am Wegesrand nach Essbarem und stiegen, wenn sie Durst hatten, mit erstaunlicher Grazie die Stufen zum Fluss hinunter. Ich überquerte Ram Jhula, eine der beiden großen Hängebrücken, die über den Ganges führen. Die Motorroller hupten, die Pilgergruppen schubsten, die Affen, die auf dem Geländer lauerten, griffen nach meiner Sonnenbrille.

Ich ließ mich weiter treiben, ohne Ziel, ohne Plan. Staunte darüber, wie wohl ich mich fühlte. Sog das intensive Duftgemisch aus Räucherstäbchen, Curry, verbranntem Plastik und Fäkalien ein, als enthielte es die Antworten auf all die Fragen, die in meinem Leben bisher unbeantwortet geblieben waren, und verliebte mich in diesen verrückten Jahrmarkt von einem Ort.

Auch die Beatles waren hier

Touristen machen Yoga. Rishikesh wurde zur Lieblingsdestination westlicher Erleuchtungssucher.
Touristen machen Yoga. Rishikesh wurde zur Lieblingsdestination westlicher Erleuchtungssucher.
© dpa

So kam ich immer wieder. Wochen im Voraus freute ich mich darauf, meine Schlabberhosen anzuziehen und mir Henna-Ornamente auf die Füße malen zu lassen, am Ufer des Ganges entlang zu schlendern, wo die aschebeschmierten Sadhus vor ihren Hütten kauern. Und darauf, in der German Bakery zu sitzen, hoch oben über dem Fluss, einen süßen Chai in der Hand, und den wundersamen Geschichten der Wanderer zuzuhören. Warum das beliebte Café diesen Namen trug, habe ich nie herausgefunden. An der Effizienz von Management und Service kann es jedenfalls nicht liegen.

Ich lernte Deva Dwabha kennen, die Betreiberin des Waisenhauses Ramanas Garden, in dem sie etwa 90 Kinder versorgt. Das Geld dafür verdient sie durch den Betrieb eines Restaurants, in dem es Pasta und frischen Salat gibt – beliebte Anlaufstelle für Reisende, die Dhal und Tikka Masala nicht mehr sehen können. Und Zohar, der im Beit Chabad Center am Rand der Stadt die Thora studiert und gelegentlich israelische Jugendliche aufsammelt, die durch übermäßigen Drogenkonsum die Orientierung verloren haben. Rishikesh ist eine beliebte Station auf dem sogenannten Hummus-Trail, auf dem junge Israelis die Strapazen ihres Militärdienstes vergessen wollen.

Ich kletterte durch die Ruinen des Ashrams von Maharishi Mahesh Yogi, auch „Beatles-Ashram“ genannt, weil John, Paul, George und Ringo hier 1968 ein paar Wochen verbrachten, um sich in die Kunst der transzendentalen Meditation einweisen zu lassen und damit Rishikesh zur Lieblingsdestination westlicher Erleuchtungssucher machten.

Es ist nicht mehr das, was es war!

So hätte es weitergehen können. Aber es passierte, was oft passiert, wenn aus Liebe Besitzansprüche erwachsen. Je vertrauter mir Rishikesh wurde, desto argwöhnischer registrierte ich Veränderungen. Seufzte wie Touristen, die oft an einen Ort gereist sind, es gerne tun: Es ist nicht mehr das, was es war!

Als hätten wir einen Anspruch darauf, dass jede Fischerhütte, jede bröckelnde Mauer erhalten blieb, um nach Bedarf als Kulisse für Schwelgerei bereitzustehen. Ich ärgerte mich über den klimatisierten Coffee-Shop, in dem der Kaffee 200 Rupien kostet (zwei Euro) und damit mehr als der Chai-Verkäufer auf der anderen Straßenseite an einem Tag verdiente, und über die Flachbildschirme, die bisher einfache Unterkünfte aufwerten sollten.

Nicht nur der Ort wandelte sich. Auch auf meinem geliebten Yoga-Festival änderte sich die Stimmung. Vor zwei Jahren, als – mir fällt es schwer, das zu sagen, aber ich schwöre, es war so – die chinesischen Reisegruppen kamen. Waren wir bei allen Unterschieden bisher eine eingeschworene Gemeinschaft individueller Weisheitssucher gewesen, die ihren Hippietraum lebten, herrschte auf einmal ein ganz neuer Geist.

Im Yoga lernt man loszulassen

Friedlich Schlange stehen bei der Essensausgabe? Vorbei. Eiserne Ellenbogen waren gefragt. Sanfte Rücksichtnahme bei der Platzvergabe im Yogaraum? Keine Rede mehr davon. Hatten sich Zuspätkommer bisher schuldbewusst in die Klassen geschlichen, knallte man nun Türen und latschte über fremde Matten. Wäre es nicht so traurig, könnte man lachen darüber, wie schnell rechtschaffene Empörung die universale Liebe aus unseren Herzen fegte. Wie konnten diese Leute mit ihren Funktionsklamotten es wagen, unsere romantische Idylle kaputtzumachen?

Selbst das Wetter schien sich gegen uns zu verschwören. Jahrelang hatte verlässlich die Sonne geschienen, auf einmal jagte ein Wolkenbruch den nächsten. Die Festivalzelte waren nicht dicht, auf den feuchten Matten verloren wir den Halt. Vom Regen aufgelöste Kuhfladen und Essensreste bildeten einen schmierigen Film auf dem Pflaster. Alle schleppten Thermoskannen mit heißem Tee herum, um der grassierenden Halsentzündung Einhalt zu gebieten. Mir wurde klar, dass der Ashram und ich uns so bald nicht wiedersehen würden. Im Yoga lernt man loszulassen. Zeit, sich zu verabschieden.

Reisetipps für Rishikesh

ANREISE

Flug nach Delhi (beispielsweise mit Lufthansa über Frankfurt ab 490 Euro in der Economy), dann weiter nach Dehradun – der Inlandsflug dauert eine gute halbe Stunde und ist ab 25 Euro zu haben (Jet Airways oder Air India), von dort noch einmal ca. 30 Minuten mit dem Taxi.

UNTERKUNFT

Das Devina Ganges Cottage ist ein schönes Guesthouse mit Flussblick für alle, die mehr Komfort als in den Ashrams suchen, devinegangacottage.com.

ENTSPANNEN

Die German Bakery ist der beste Ort zum Frühstücken, Tee trinken oder eigentlich zu jeder Tageszeit. Direkt an der Hängebrücke Laxman Jhula gelegen, hat man einen tollen Blick über Brücke und Ganges.

ESSEN

Ramanas Garden Cafe gehört zum Waisenhaus nebenan. Der im eigenen Garten angebaute Salat ist hervorragend und kann gefahrlos verzehrt werden.

Bettina Homann

Zur Startseite