Kurztrip nach Italien: 48 Stunden koffeinhaltiges Triest
In dieser Stadt fließen zwei große Kaffeetraditionen zu einer Melange zusammen: die von K. u. k. und die italienische. Eine hellwache Recherche.
9 Uhr
Der Triester ist entweder am Meer oder im Caffè degli Specchi. So heißt es. Was unterstreicht, wie kaffeeverrückt die 200 000-Einwohner-Stadt an der Adria ist. Zehn Kilo, rund 1300 Espressi, beträgt der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch. Mehr als doppelt so viel wie im übrigen Italien. 50 Kaffeefirmen sind hier ansässig, ein knappes Dutzend Röstereien, vom kleinen Familienunternehmen San Giusto bis hin zum Weltkonzern Illy. Das Caffè degli Specchi (Piazza Unità d’Italia, 7) wurde 1839 eröffnet und gilt vielen als das bedeutendste Kaffeehaus der an bedeutenden Kaffeehäusern wahrlich nicht armen Stadt. Zwar sind die namensgebenden Spiegel nach zwischenzeitlicher Schließung heute kaum noch vorhanden, dafür führt ein Poster am Eingang fürsorglich ins lokale Kaffee-Vokabular ein: Ein Espresso heißt in Triest „Nero“, ein Espresso macchiato „Capo“. Bestellt man Café Latte bekommt man einen Cappuccino.
10 Uhr
Direkt vor dem Café erstreckt sich die Piazza dell’ Unità d’Italia. Den schönsten Blick auf die dortigen Palazzi und das Rathaus hat man von der Molo Audace. Bürgermeister war 1993 bis 2001 übrigens Riccardo Illy, Enkel von Firmengründer Francesco. Sein Wahlkampfslogan: „Il sindaco espresso dei cittadini“, was sich ungefähr mit „Der ausdrückliche Bürgermeister des Volkes“ übersetzen lässt.
11 Uhr
Triests Aufstieg zur Kaffeemetropole begann im Jahre 1719, als Kaiser Karl VI. die Stadt zum Freihafen erklärte. In der Folge wurde er zum wichtigsten Umschlagplatz für die Bohnen, die von hier aus in die Kaffeehäuser des österreichisch-ungarischen Imperiums verschickt wurden. Lange löschten die Schiffe ihre Ladung im heutigen Canal Grande. Wie die Boote aussahen, auf denen die Säcke damals in die Stadt kamen, lässt sich im Museo del Mare (Via di Campo Marzio, 5) nachvollziehen. Die Ausstellung informiert auch über den Bau des damals „Neuen“, heute „Alten Hafens“ zwischen 1883 und 1893.
12 Uhr
Dorthin gelangt man, wenn man die Riva del Mandracchio nach Norden läuft. Immer zu auf den rostigen Riesenkran Ursus, dem inoffiziellen Wahrzeichen der Stadt. Der steht direkt an der Mole 4, heute ein Parkplatz, von dem man einen guten Blick auf die abgesperrten, aber auch von außen beeindruckenden Industrieruinen hat. Die Speicher Nummer 2, 2A und 4 wurden speziell für Kaffee gebaut und dienten als Vorbilder für viele weitere Lagerplätze in der ganzen Welt.
13 Uhr
„Unsere Spezialität ist Schwein“, sagt Andrea, Sohn des Betreibers von Da Pepi (Via della Cassa di Risparmio, 3). Hätte er aber gar nicht sagen müssen. Denn aus dem 1897 eröffneten Buffet, wie die Triester ihre Mittagslokale nennen, duftet es schon bis auf die Straße nach frischem Kassler. Am Tresen zersäbelt ein Mann in Weiß mit geübter Hand Schinken, den telefonierende Geschäftsleute im Brötchen mitnehmen. Draußen sitzen Touristen und bestellen die gemischte Platte mit Kraut für zwölf Euro. Drinnen hocken die Einheimischen auf kleinen Hockern und futtern Zunge oder Cotechino, eine dicke Presswurst, die an Corned Beef erinnert.
14 Uhr
Geschichten helfen dabei, das, was man konsumiert, besser zu verstehen und zu schätzen, schrieb Illys Vorstandsvorsitzender Andrea Illy in seinem Manifest "Der Traum vom Kaffee". 1999 gründete er deshalb in Neapel die Università del Caffè, 2002 zog sie an den Firmensitz im Industriegebiet von Triest (Via Flavia, 110). Der Bus dorthin braucht vom Hafen aus etwa 20 Minuten. An der Kaffeeuni können sich Profis, aber auch ambitionierte Laien in mehr als einem Dutzend Kursen schulen oder in vier Tagen zum Barista ausbilden lassen. Führungen durch die Fabrik, in der die Bohnen in vier gewaltigen Maschinen vollautomatisch geröstet werden, sind nach Anmeldung ebenfalls möglich. Dann darf man auch an die mit Dutzenden fliegenden Espressotassen geschmückte Bar im Foyer.
17 Uhr
Wer Souvenirs sucht, kann natürlich einfach den Illy-Shop (Via Luigi Einaudi 2A) aufsuchen und sich die aktuelle, von Marina Abramovic entworfene Sammeltasse kaufen. 25 Euro kostet die. Spannender ist eine Tour durch die Second-Hand-Läden der Altstadt. Bei Delikatessen (Via Felice Venezian, 10C) finden sich zwischen antiken Koffern, Helmen, „Playboy“-Heften und Brillen auch Kaffee-Devotionalien. Für Abenteuerlustige hat Besitzer Andrea Brandi eine Dose der einst in Triest tätigen Rösterei Eisner aus dem Jahre 1930 im Angebot. „Die ist voll mit Bohnen“, sagt er. 100 Euro kostet es, herauszufinden, ob man sie noch aufbrühen kann.
18 Uhr
Kaffee inspirierte nicht nur Literaten, sondern auch Komponisten. Man denke nur an Bachs „Kaffeekantate“. Weil in den meisten Kaffeehäusern die Musik heutzutage allerdings vom Band kommt, hört man Klassik lieber im 1801 eröffneten Teatro Giuseppe Verdi (Riva Tre Novembre, 1). Eine Stunde vor Beginn öffnet die Abendkasse, bei der man günstige Restkarten erstehen kann.
20 Uhr
Allein zwischen 1918 und 1954 wechselte Triest fünf Mal die Staatszugehörigkeit. Jahrhundertelang Teil des K.-u.-k.-Reiches wurde die Stadt nach dem Ersten Weltkrieg italienisch, 1943 von deutschen Truppen besetzt, 1945 jugoslawisch. 1947 erhielt Triest den Status als Freies Territorium, um dann 1954 wieder italienisch zu werden. Die Küche der Hostaria Malcanton (Via Malcanton, 10A) spiegelt das wider. In den auf gemütliche Art schummrigen Räumen sitzen Großfamilien und werden bewirtet mit Triester Spezialitäten wie sauer eingelegten Sardinen oder Oktopussalat, slowenischem Olivenöl und kroatischem Weißwein. „Ist doch alles Istrien“, sagt der Kellner und schenkt noch mal nach.
22 UHR
Für noch mehr Koffein ist es jetzt definitiv zu spät, wenn an Schlaf noch zu denken sein soll. Ins Kaffeehaus kann man trotzdem. Seit ein junges Team vor ein paar Jahren übernommen hat, verwandelt sich das Antico Caffè Torinese (Corso Italia, 2) am Abend in eine veritable Cocktailbar. Das komplett aus Holz und Glas gefertigte Interieur des winzigen, im Jahre 1919 eröffneten Eckcafés stammt von einem Tischler, der auch Luxusliner ausstattete, und in einer der Sitznischen unter dem schweren Kronleuchter fühlt man sich tatsächlich wie auf einem solchen. Die Signature-Drinks sind was für Gin-Liebhaber mit Sinn fürs Experimentelle. Freunde klassischer Cocktails bekommen aber auch einen tadellosen Old Pal.
Kaffee kann man nicht nur trinken
9 Uhr
Zugegeben, mit dem Charme eines großen Kaffeehauses kann es die 1848 gegründete Kleinrösterei Torrefazione La Triestina ( Via di Cavana, 2) nicht aufnehmen. Experten, die sich über den Sinn und Unsinn von Vakuumverpackungen streiten oder mal eine Barista sehen möchten, die den Mahlgrad auf die aktuelle Luftfeuchtigkeit abstimmt, sind hier jedoch richtig. Die alte Röstmaschine ist allerdings nur noch Dekoration. In der Altstadt gilt strenger Brandschutz.
10 Uhr
Nicht nur in Wien waren die Kaffeehäuser Lebensmittelpunkt der Literaten. In Triest verkehrten Italo Svevo und Umberto Saba vor allem im Caffè San Marco (Via Cesare Battisti, 18) mit seinen Marmortischchen, an denen auch James Joyce seinen „Ulysses“ entworfen haben soll. Nachdem der Laden vor einiger Zeit pleite war, fungiert er nun passenderweise parallel als Buchhandlung.
12 Uhr
1936 schenkte Sara Davis, Tochter eines englischen Kaufmannes, den Obst- und Gemüseverkäuferinnen den Mercato Coperto (Via Giosuè Carducci, 36), eine zweistöckige, bis heute gut besuchte Markthalle. Die Frauen sollten nicht länger der Bora, dem im Winter in eiskalten Böen über die Stadt fegenden Wind, ausgeliefert sein. Die Kälte ist einer Legende nach auch die Erklärung, warum in Triest Kaffee gerne im Glas getrunken wird. Gläser wärmen besser die Hände und lassen sich mit Hafenarbeiterhandschuhen einfacher packen.
13 Uhr
Nur ein paar Meter weiter liegt das Buffet L’Approdo (Via Giosuè Carducci, 34). Der Name ergibt nicht wirklich Sinn, weil weit und breit keine Anlegestelle zu sehen ist, aber das tun die Augustinerbräu-Wimpel in dem mit Arbeitern gerammelt vollen Familienbetrieb ja auch nicht. An der Bar gibt es Kleinigkeiten wie Brot mit Ei und Sardellen, aus der Küche ein hervorragendes Szegediner Gulasch. Das Gedränge ist groß und herzlich, nachher ist man satt und vollgekleckert. Was soll’s: „Man isst, man trinkt, man wäscht sich das Gesicht“, heißt es in Triest.
14 Uhr
Apropos Sauberkeit. Wer viel Kaffee trinkt, sollte regelmäßig Zähneputzen. In der Drogheria Vittorio Toso gibt es sogar Bürsten mit Schweineborsten. Von der Decke des Traditionsgeschäfts hängen Naturschwämme, in den staubigen Regalen liegen Stahlwolle, Bonbons, Fußmatten und Besen, in der Luft die Düfte von Scheuermitteln und selbstgemachter Seife. Nebenan in der Gran Malabar wird übrigens noch „Hausbrandt Trieste 1892“ aufgebrüht. Das Unternehmen hat die Stadt jedoch schon lange verlassen und residiert heute in Treviso.
15 Uhr
Kaffee kann man nicht nur trinken. Jazzin (Via del Mercato Vecchio, 1) macht daraus Eis, das serviert wird wie Fingerfood. 2,70 Euro kostet eine gefrorene Kreation, die Eis-Praline gibt es für einen Euro. Achtung: Nicht auf einmal einwerfen! Sonst erfriert das Gehirn.
17 Uhr
Durst. Das Problem: „Wenn man ein Bier braucht, ist Kaffee das widerlichste Gesöff der Welt“, wie der Grafiker Christoph Niemann mal treffend feststellte. Die Lösung: Hops (Via di Cavana, 11–15). Auf der Karte stehen wechselnde, meist italienische Craft-Biere. Eine Ecke weiter (Via della Madonna del Mare, 3) befindet sich eine Dependance, die Flaschen und Dosen zum Mitnehmen verkauft.
19 Uhr
Der jahrhundertelange Zoff mit Venedig ist überwunden. Heute gibt es sogar einen Ableger des Harry’s (Piazza Unità d’Italia, 2) in Triest. Während das Lokal in Venedig allerdings höchstens noch als maßlos überteuerter Verwalter vergangenen Ruhms agiert, ist das östlich der Adria höchstlebendig. Zwischen Ledermöbeln und schweren Bilderrahmen kann man mit dem jungen und polyglotten Team über deutschen Riesling fachsimpeln. Die Küche serviert dazu moderne Bistro-Gerichte, gegrillten Pulpo zum Beispiel oder Thunfisch-Tataki (17 Euro) auf geraspeltem Fenchel mit Orangenzesten – fett wie Schinken, schmelzend wie Sushi.
22 Uhr
Veit Heinichen, dank seiner „Proteo Laurenti“-Krimis so etwas wie der inoffizielle Stadtschreiber von Triest, mag das Caffè Tommaseo (Piazza Nicolò Tommaseo, 4) nicht. „Bis vor zwei Jahren war es noch wundervoll, dann durchlief es zwei Pleiten (...) und als man es wiedereröffnete, fehlte das alte Mobiliar“, moserte er in „Die Toten vom Karst“. Aber Triest zu verlassen, ohne sein ältestes Kaffeehaus besucht zu haben? Geht nicht. Kommt man abends, hat man es sogar fast für sich allein, kann Spiegel und Stuck bewundern und sich zu Wein oder Longdrinks üppiges Fingerfood reichen lassen – kostenlos, wie fast überall in der Stadt.
0 Uhr
Na gut, einer geht noch. Aber wo bekommt man jetzt noch Koffein, wenn die Kaffeehäuser schon geschlossen sind? Das Automatencafé Polidori (Via del Mercato Vecchio, 1C) lässt einen nie im Stich. Die Tasse ab 50 Cent.
Reisetipps für Triest
Hinkommen
Von Berlin aus fliegt Lufthansa mehrmals täglich über München oder Frankfurt nach Triest, Hin- und Rückflug ab 100 Euro. Drei Stunden muss man wegen des Umsteigens einplanen. Die 30-minütige Zugfahrt vom Flughafen ins Zentrum kostet 3,20 Euro.
Unterkommen
Das 1911 eröffnete Savoia Excelsior Palace galt einst als luxuriösestes Hotel des österreichisch-ungarischen Imperiums und zeigt sich immer noch recht feudal, Doppelzimmer ab 130 Euro, starhotelscollezione.com.
Rumkommen
Bei der Touristeninfo erhält man den „Trieste Loves Coffee“-Pass. Der kostet fünf Euro, erklärt das lokale Kaffeevokabular und enthält Gutscheine für sechs Getränke.
Reinkommen
Eine üppig bebilderte Einführung in die Geschichte, Kultur und Kulinarik der Stadt bietet Peter Weinhäupls jüngst erschienenes Buch "Triest - Der Hafen Mitteleuropas" (Brandstätter, 244 Seiten 50 Euro). "Keine Frage des Geschmacks" ist vielleicht nicht der beste von Veit Heinichens Triest-Krimis mit Kommissar Proteo Laurenti, dafür behandelt er aber auch das Geschäft mit Kaffee. Andrea Illys Autobiografie "Der Traum vom Kaffee", in dem er Familien- und Firmengeschichte ausbreitet, erschien bei Amalthea (224 Seiten, 25 Euro).