Toskana mit Kindern: Urlaub è impossibile
Insekten im Pool, das Baby hat die Hosen voll, und die Großen sind schon wieder hungrig! Eine italienische Reise – mit Bambini.
Abenddämmerung im Chianti. Auf dem Navi ein Berg Spaghetti. Ein Auto rumpelt über die SP114a, eine kringelige, schmale Straße, von Radda nach San Sano. Mitten durch die typische Wandbemalung deutscher Pizzerien: Rebstöcke, Zypressen, Licht wie dunkler Bernstein. Gleich tritt Eros Ramazzotti aus dem Unterholz und singt „Se Bastasse Una Canzone“, oder ist es nur ein Keiler? Fernlicht aus.
Im Schwimmbad der Ferienanlage saugt die automatische Poolkrake ertrunkene Insekten aus dem Wasser, wir tragen die schlafenden Kinder durch Rosmaringebüsch in ihre Betten. Der Nachbar, seit Kurzem Fußball-Weltmeister, nickt rüber. Die englischen Kids gegenüber dürfen noch „Shrek“ schauen, während die Eltern im Garten über ihre Jobs reden. Wir reden auch: „Und, wie fandest du Florenz?“ – „Die Straßenbahn war klimatisiert.“ – „Gib’ mal bitte das Zeckito.“
Irgendein schlauer Mensch hat mal gesagt: „Urlaub mit kleinen Kindern ist die Fortführung des Alltags unter erschwerten Bedingungen.“ So kann man das natürlich sehen. Aber sind zwei Wochen Italien – ohne Kita, ohne Grundschule, ohne Erwerbsarbeit – nicht auch unbezahlbare Freizeit, in der jeder mal tun und lassen kann, was er will?
Baden macht hungrig, und zwar pronto
Wir haben eine Ferienwohnung gebucht, und zum Abschluss für drei Tage ein All-inclusive-„Kinderhotel“ in Südtirol. Erstmal funktioniert das Leben in der „Fewo“, so der Elternslang, ganz gut, schließlich haben wir riesige Gefrierbeutel mit Lego sowie Comics, Schwimmflügel in drei Größen, Wasserbälle und -pistolen und wasserfeste Sonnencreme dabei. Doch Baden macht hungrig, und zwar PRONTO PECORINO!
Nach einigen sonnenüberfluteten Tagen in San Sano, wo es keinen Supermarkt gibt, werden wir an der Käsetheke in Radda freudig begrüßt. Die schon wieder! Kistenweise schleppen wir die Lebensmittel aus dem Laden. Vielleicht ist es am Ende günstiger, ein paar Hühner anzuschaffen, drei Jungs (Baby, 3 und 7) wollen morgens Rühreier, und das Dutzend kostet in Italien mehr als eine Flasche Campari. Zum Ausgleich wachsen die Kräuter direkt in die Pfanne, nur noch hacken müssten sie sich selbst.
Am Pool beobachten wir verschiedene Eltern-Strategien: Die einen liegen im Schatten und schauen auf ihr Handy, während die Kinder irre Arschbomben machen, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die anderen sind mit ihren Schwimmschülern im Wasser und unterrichten sie im Kraulen. Wieder andere pusten am Beckenrand eine Einhorn-Insel auf. Wir sind die, die den einzigen zusammengeklappten Sonnenschirm öffnen, und darunter ist ein Wespennest.
Wir steuern auf den Tiefpunkt der Ferien zu
Durchgetakteter Alltag kann auch komfortabel sein. In den Ferien verhandeln wir vieles neu, jede Inkonsequenz wird mit „Ist ja Urlaub“ weggelächelt. Die großen Geschwister bleiben morgens nach dem Aufwachen überraschend lange in ihrer Betthöhle. Jetzt ist alles möglich.
Beflügelt blättern wir im Reiseführer, denn es muss doch gehen, im kinderfreundlichen Italien wenigstens zwei- bis dreimal mit den Bambini auswärts zu essen. Mittags ist es mit 40 Grad Celsius zu heiß, abends öffnen die Osterien landestypisch erst um 19 Uhr. An eine Siesta ist nicht zu denken, weswegen wir Panini-Hefte bekleben und die Kinder mit „Kevin allein zu Haus“ traumatisieren. Die große Furcht ist jetzt: „Eines Tages werdet ihr einfach weiterfahren und uns hier im Keller vergessen!“ Tatsächlich, unsere Wohnung liegt zum Großteil im Souterrain, was bei der Hitze in Ordnung ist, wo es aber leider auch nach muffigen, alten Schränken riecht. Ab 17 Uhr verabreichen wir Apfelschnitze und Traubenzucker, um die Stimmung bis zu den Crostini irgendwie zu halten. Wir wissen nicht, dass wir geradewegs auf den Tiefpunkt der Ferien zusteuern.
Allein die Bestellung: Für die Kinder die Secondi parallel zu unseren Primi, bitte, und die Dolci gleichzeitig mit unseren Secondi, und ja, unbedingt den ganzen Liter Hauswein! Das Baby, dessen Tiefschlaf fest einkalkuliert war, hat die Hosen voll und will gestillt werden, und zwar PRONTO PECORINO! Ich verpasse Primi und Secondi auf einer Bank vor der Osteria und erkenne am Geschrei aus dem Speiseraum , dass tragischerweise ein Lorbeerblatt im Wildschwein-Ragù gefunden wurde. Die anderen Gäste, zum Großteil Slow-Food-Ausländer wie wir, zerschneiden zunehmend betreten ihr blutiges Bistecca alla fiorentina. Allein eine Dänin, ihrerseits Mutter eines frisch gewaschenen Kleinkindes, schnurrt vollkommen ironiefrei: „You make it look sooo easy!“
Ach, so ist dieses Obst also gemeint
Wir beschließen, uns fortan der Einfachheit halber nur noch von Eis und Mortadella zu ernähren. Nach Siena locken wir die Kinder mit der Aussicht auf einen Besuch in einer Eisdiele von Alessandro Nannini, dem Formel-1-Piloten und Bruder der Sängerin Gianna Nannini, dessen Unterarm nach einem Hubschrauber-Absturz wieder angenäht wurde, bevor er ins Geschäft seiner Ahnen einstieg. Gute Geschichte!
Die Kinder sitzen auf dem Campo und schlecken ihre due gusti – die Sorte Limone, man ist sich einig, erreicht beinahe die Qualität des einheimischen Favoriten von Cuore di Vetro in Berlin-Mitte. Was uns in den 80er Jahren an Italien so überwältigte – das Aroma reifer Rispentomaten, der fluffig-knusprige Pizzateig, die Fenchelsalami – ist für die Kinder fast schon der normale Geschmack der Dinge, die wir aus dem italienischen Feinkostladen an der Greifswalder Straße heimschleppen. Nur die Nektarinen und Pflaumen vom Markt bringen den Effekt: Ach, so ist dieses Obst also gemeint, so saftig und süß soll es eigentlich sein? Krass!
Siena, das stellen wir schnell fest, eignet sich besser für einen Kinderausflug als Florenz. Besonders strahlend ist die Stadt zwischen den beiden Pferderennen des „Il Palio“ im August. Durch die konkurrierenden Viertel, die Contrade, ziehen Spielmannszüge in bunten Uniformen; die Ortsteile sind unter anderem nach Tieren benannt, deren Wappen man suchen kann: Eule, Drachen, Stachelschwein, Muschel. Die Kinder traben über den Campo, wir überreden den skeptischen Barrista, am Nachmittag einen dritten und vierten Cappuccino zu machen.
Ein schwereloses Urlaubsgefühl ergreift von uns Besitz, für ein paar Minuten sind wir Touristen statt mobile Versorgungseinheit. Unsere Kinder sind nur kurzzeitig für die süße Kunst des Müßiggangs gemacht. Und diese seltenen Zeitfenster öffnen sich bloß spontan. Auf dem Straßenfest in Tavernelle Val di Pesa. Beim Katzenstreicheln in Colle Val d’Elsa. Beim Metzger in Gaiole, der ihnen Fotos seiner Lieblingsschweine zeigt.
Das „Pinoland“ im Resort ist besser ausgestattet als Berliner Kitas
Die Flüchtigkeit des dolce far niente begreifen wir auf der Rückreise im „Kinderhotel“, wo alles darauf ausgerichtet ist, Familien 24 Stunden am Tag glücklich zu machen. Und da ist es auch schon, das Buffet! Tadaaa! Jemand anderes hat dafür eingekauft, die Paprika sind bereits gehäutet und in kalt gepresstem Olivenöl eingelegt.
Das Kinderparadies („Pinoland“) im Resort ist um Klassen besser ausgestattet als eine durchschnittliche Berliner Kita. Es gibt einen jungen Mann, der dafür abgestellt wurde, ein Spielzeugauto vor einem Baby hin- und herzufahren. Eine Kletterwand. Einen Matschspielplatz. Fahrzeuge für jedes Alter. Der Sechsjährige bricht mit einer Unbekannten zur Kräuterwanderung in den Wald auf und kehrt Stunden später in heiterer Stimmung mit einem angeblich selbstgeflochtenen Körbchen voller Grünzeug zurück.
Wer es darauf anlegt, kann seine Kinder hier von zehn bis zur Kinderdisko mit Bühnenshow um 21 Uhr betreuen lassen. Selbst das Abendessen der Kleinen findet woanders statt, wenn man möchte. (Der Dreijährige beim Betrachten der an Mozzarellasticks knabbernden Kindergruppe: „Och, hier sitzen die Kinder, die nicht abgeholt wurden!“) Und es gibt ein hervorragendes Spa, in dem die Fenster nur auf ausdrücklichen Wunsch geöffnet werden, „damit die Geräuschkulisse vom Spielplatz nicht stört“. Miteinander auskommen muss hier niemand, der nicht will. Ein Himmel für Eltern, deren Kinder einfach betreubar sind. Ansonsten fühlt man sich etwas schlecht dabei, ständig sanften Druck in Richtung Pinoland auszuüben: „Schau mal, das Feuerwehrauto! Und die nette Frau würde gerne mit dir basteln!“ Unsere Kinder möchten zwar im Pinoland spielen, aber nur mit uns. Was nicht geht, denn Eltern werden hier verständlicherweise nur kurz geduldet.
So viele Angebote, so wenig Zeit
Wir stehen unter Erlebnisdruck. So viele Angebote, so wenig Zeit. Im Kinder-Resort überträgt man die Gestaltungshoheit seiner Ferien an Experten. Genau das Gegenteil vom Fewo-Druck. Während wir dort beim Nichtstun nur wenig verpassten, ziehen hier Tubing-Nachmittage und Holzworkshops ungenutzt an uns vorbei. Wie herausfordernd diese nagelneuen Leih-E-Bikes in der Tiefgarage glänzen! Das muss man aushalten, dann ist es super, die anderen Gäste bei ihrem Aktionismus zu beobachten.
Wir brechen auf, nachts um vier tragen wir die schlafenden Kinder und ihre Kuschelpinobären ins Auto, mittlerweile haben wir eine ausgefeilte Technik. Ein letzter Cappuccino im Autogrill kurz vor dem Brenner. Zwölf Stunden später fühlen wir uns ein bisschen so wie beim Palio: Das Pferd ist schon im Ziel, aber die abgeworfenen Reiter liegen irgendwo im Sand.
Reisetipps für Toskana
Hinkommen
Mit dem Auto von Berlin nach Florenz sind es mindestens zwölf Stunden Fahrzeit, vorbei an München und über den Brenner. Zugverbindungen dauern meist länger. Alternativ zum Beispiel nach Mailand fliegen und von dort mit dem Mietwagen weiter. Easyjet und Ryanair fliegen täglich.
Unterkommen
Die Ferienhausvermittlung „To Toskana“ ist ein Spezialist für die Region, von der einfachen Wohnung bis zur Villa: to-toskana.de.
Familienhotels gibt es viele in Südtirol, das Dolomit Familyresort Garberhof im kleinen Ferienort Rasen gehört zu den besten. Ein Zimmer für Eltern mit Kindern kostet pro Nacht inklusive Vollverpflegung und Programm ab 300 Euro: dolomit-familyresort.it.