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Hier begann Berlin. Landesarchäologe Matthias Wemhoff auf den Sockel-Überresten des Martin-Luther-Denkmals. Über Jahrhunderte war dieses Areal südwestlich vom Alexanderplatz Berlins zentraler Stadtplatz.
©  St.Petri-St.Marien/Promo

Archäologie in Berlin-Mitte: Wissenschaftler untersuchen Skelette vom Alex

Nur wenige Zentimeter unter dem Kirchhof der Marienkirche liegen 100 Gebeine von adligen Urberlinern, deren Skelette nun untersucht werden. Wo einst das Luther-Denkmal stand, ist heute Weihnachtsmarkt. Bis 2017 soll die Statue wieder stehen.

Gardemaß hatten einige Berliner aus der frühen Neuzeit bereits: mehr als ein Meter achtzig groß, im Kirchhof der Marienkirche bestattet. Adlige waren es, darauf lassen Beinspangen zur Befestigung von Kleidung und Rüstung schließen. Woran sie verstarben, werden Anthropologen herausfinden bei der Untersuchung der Skelette. 100 Gebeine von Urberlinern haben sie dort entdeckt, am Neuen Markt, der über Jahrhunderte Berlins zentraler Stadtplatz war und heute nur wenige Zentimeter unter dem Pflaster liegt.

Archäologen heben zurzeit diesen historischen Schatz am Rande des Marx-Engels-Forums. Die Freitreppe des Luther-Denkmals haben sie schon entdeckt. Der Kirchenreformator beherrschte bis zum Krieg den Neuen Markt, blickte aus zwei Metern Höhe auf die Bürger hinab. Heute wälzen sich Autos und Straßenbahn die Karl-Liebknecht-Straße hinab, an der großen Brache des Forums vorbei, an dessen Rand die Marienkirche einsam und verloren herumsteht. DDR-Truppen marschierten hier zu den Jahrestagen der Oktoberrevolution über Gräber und verschüttete Stadtgeschichte hinweg. Heerscharen von Touristen folgten. Heute duftet es nach Bratäpfeln und Glühwein – der Weihnachtsmarkt ist offen.

„20 Zentimeter unter der Grasnarbe liegt Berlins größter Marktplatz“, schwärmt Landesarchäologe Matthias Wemhoff. „Dies war der Ort, wo der Ratsbrunnen stand und die große Waage, mit der Händler ihre Waren wogen“. In der nächsten Woche werden auch die Böden der an die Marienkirche angrenzenden Stadthäuser zum Vorschein kommen.

Dass Berliner eigentlich Slaven sind, gilt als widerlegt

Treffpunkt, Handelsplatz, aber auch Ort öffentlicher Gerichtsverhandlungen war der Neue Markt. Stadthistoriker Benedikt Goebel zufolge wurde hier im Jahr 1510 der „Hostienprozess“ abgehalten über die Brandenburger und Berliner Juden. Holzschnitte zeugten davon, es folgten Enteignung und Vertreibung aus der Stadt. Dass an der Marienkirche Skelette entdeckt werden, war seit den Funden an der Petrikirche zu erwarten, zumal Bestattungen in Kirchhöfen seit dem Mittelalter üblich waren, sagt Wemhoff.

In Zusammenarbeit mit der Charité untersuchen Anthropologen bereits die Gebeine der Urberliner vom Petriplatz. Was sie gegessen und getrunken haben, ihre Krankheiten und Gebrechen, all das lässt sich mit Hilfe von DNA-Untersuchungen und an den Isotopen-Ablagerungen der Knochen ablesen. Neue Erkenntnisse erhoffen sich die Forscher auch darüber, wo wir herkommen.

Dass Berliner eigentlich Slaven sind, gilt als widerlegt: Flamen, Fuldaer, Niedersachsen und Westfalen könnten als erste ihre Häuser auf dem Märkischen Sand errichtet haben und – lange vor dem Regierungsumzug – Abenteurer aus Nordrhein-Westfalen, denn schließlich hieß die Spreeinsel mal Cölln und bildete zusammen mit Berlin einst diese „Doppelstadt“.

Was aber wird aus der freigelegten Stadtgeschichte? Bereits beschlossen hat der Senat die Rückkehr Luthers an seinen ursprünglichen Platz. Ein Wettbewerb entscheidet über den Architekten, der muss die Überbleibsel des historischen Sockels einarbeiten. Pfarrerin Cordula Machoni hofft, mit der Rekonstruktion wieder ins Bewusstsein zu bringen, „was die Reformation war sowie die reformatorischen Potenziale“. Bis zum Luther-Jahr 2017 soll das Denkmal stehen.

Auch Toilettenhäuschen will der Bezirk aufstellen

Machoni wünscht sich auch, dass die Grabungen diese „Urzelle Berlins“ wieder in Erinnerung rufen und die Härte, mit der die „Abbrüche zugunsten der DDR-Moderne“ die Kirche aus der Stadt isoliert haben, wenigstens ein wenig rückgängig machen. Gut 100 bebaute Parzellen habe es rundherum gegeben, die Wände benachbarter Häuser hätten bis an die Marienkirche herangereicht.

Nun soll wenigstens der Platz wieder mit der Kirche verbunden werden. So werde man „hoffentlich auch Gewalt, Vandalismus und Tod“, mit dem der Alexanderplatz in Verbindung gebracht wird, zurückdrängen. Die Trinker vom Alexanderplatz nutzten die Gemäuer des Sakralbaus, um sich zu erleichtern. Deshalb hatten Senat und Bezirk eine Umgestaltung beschlossen, in deren Zusammenhang die Ausgrabungen stehen.

Die Planer wollen das Niveau des Platzes stufenlos mit dem der Kirche angleichen. Nach dem Abriss der letzten Häuser im Marienviertel war der Platz in den 1960er Jahren um anderthalb Meter aufgeschüttet worden. Für die Neugestaltung sollten 28 Bäume gefällt, 13 neue gepflanzt werden, dazu 18 große Sträucher. Auch neue Laternen sollen die Umgebung der Kirche heller machen. Auch Toilettenhäuschen will der Bezirk aufstellen.

Ralf Schönball

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