Bahnmesse braucht Halle: Wird Berlins Covid-19-Notklinik Anfang 2021 wieder abgebaut?
Konflikt auf dem Messegelände: Wirtschaftssenatorin Ramona Pop will, dass die InnoTrans stattfindet. Dafür soll aber das Corona-Behandlungszentrum weichen.
Das Corona-Behandlungszentrum auf dem Berliner Messegelände, das Mitte Mai in Betrieb genommen wurde, könnte schon Anfang 2021 wieder abgebaut werden. Denn die große Halle 26, in der innerhalb von sechs Wochen eine Notklinik für vorerst 500 Betten mit modernster Medizintechnik aufgebaut wurde, wird im nächsten Frühjahr für die internationale Bahnverkehrs-Messe InnoTrans gebraucht.
„Wenn die Kongress- und Messestadt Berlin wieder auf die Beine kommen will, brauchen wir auch diese Leitmesse“, sagte Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) dem Tagesspiegel. „Ich setze darauf, dass sie stattfinden kann und aus heutiger Sicht spricht nichts dagegen.“ Natürlich stehe alles unter dem Vorbehalt, dass es keine zweite Corona-Welle gibt. Bis 24. Oktober dieses Jahres sind in Berlin Veranstaltungen mit höchstens 1000 Teilnehmern erlaubt. Wie es dann weitergeht, muss der Senat entscheiden.
Der Sprecher der landeseigenen Messe GmbH, Emanuel Höger, erinnert daran, dass die Verträge mit dem Senat über die Nutzung von Messeflächen für das Behandlungszentrum Ende dieses Jahres auslaufen. „Und wir brauchen für die InnoTrans die Halle 26 nebst den benachbarten Gleisanlagen“, sagte er. Die Messe, die turnusmäßig im September stattgefunden hätte und wegen der Pandemie auf den 27. bis 30. April 2021 verschoben wurde, werde bereits „mit Hochdruck vorbereitet“.
Viele Exponate, es geht dabei um komplette Eisenbahnzüge, werden voraussichtlich ab September verschifft, soweit die Produkte modernster Verkehrstechnik aus fernen Regionen kommen. Die Vermietung der Standflächen ist schon weit gediehen, die Rechnungen für die Anzahlung wird an die Aussteller in diesem Sommer verschickt. Zur InnoTrans 2018 kamen über 150.000 Fachbesucher aus 149 Ländern und mehr als 3000 Aussteller aus 61 Ländern, um die Innovationen der globalen Bahnindustrie vorzustellen und zu feiern.
„Umplanungen im Hallenumfeld“ seien noch möglich, teilte die Messegesellschaft ihren Kunden allerdings vorsorglich mit. Sollte es im Herbst doch noch eine neue Infektionswelle geben, die das Berliner Gesundheitssystem über Gebühr belastet, wird der Senat wohl darauf drängen, die Notklinik an der Charlottenburger Jafféstraße über einen längeren Zeitraum zu behalten. Dann müsse sich die Messe beschränken und ohne Halle 26 für die InnoTrans planen, ist koalitionsintern zu hören.
Finanzhilfen für das Messegeschäft sind für Berliner Steuerzahler teuer
Der ursprünglich geplante Ausbau des Behandlungszentrums auf 1000 Betten würde die Messeplanungen für das kommende Jahr aber vollständig über den Haufen werfen. Das gefährdet dann beispielsweise auch die traditionellen Frühjahrsmessen „Grüne Woche“ und die Reisemesse ITB, deren Planung ohnehin noch auf wackeligen Füßen steht. Dazu will sich die Messe momentan nicht äußern. „Wir planen und hoffen“, so Sprecher Höger.
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Der zeitweilige Zusammenbruch des Messe- und Kongressgeschäfts kommt die Berliner Steuerzahler jetzt schon teuer zu stehen. In zwei Raten werden der Messe GmbH aus dem Landeshaushalt erst einmal 85 Millionen Euro als Kapitalzuführung überwiesen, um drastische Einnahmeausfälle abzufedern. Sollte das Veranstaltungsgeschäft im nächsten Jahr weiter brachliegen, wären zusätzliche Finanzspritzen unvermeidbar.
Die Gesundheitsverwaltung des Senats reagiert einsilbig auf den drohenden Nutzungskonflikt auf dem Messegelände. „Für den Fall, dass die epidemiologische Lage das Behandlungszentrum weiterhin erfordern sollte, bleibt es dem Senat vorbehalten, einen entsprechenden Gesellschafterbeschluss herbeizuführen“, teilte die Behörde auf Anfrage mit. Gemeint ist die Gesellschafterversammlung der landeseigenen Messe GmbH, in der Berlin durch den Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) vertreten ist.
Im Fall des Falles hofft Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci offenbar auf ein Machtwort des Senats. In dem aber auch Wirtschaftssenatorin Pop sitzt, die als Vize-Aufsichtsratschefin die unternehmerischen Interessen der Messe zu vertreten hat.
Wahrscheinlich sind alle Beteiligten erst in ein paar Monaten schlauer. Momentan sind in Berlin nur 129 Krankenhausbetten mit Covid-19-Patienten belegt, davon 35 auf Intensivstationen (Stand 1. Juli). Das sind nach Angaben der Gesundheitsverwaltung 2,7 Prozent der in den hauptstädtischen Krankenhäusern vorhandenen Intensivbetten. Ende April war die Belastung des Berliner Gesundheitssystems fünf bis sechs Mal höher.
Klinik kostete 50 Millionen Euro – Technik soll weiter genutzt werden
Sollte Berlin das Virus auch im Herbst und Winter zähmen können, dürfte dem Abbau der Klinik zugunsten der Messe wohl nichts im Wege stehen. Auch da gehen öffentliche Gelder verloren. Im Nachtragshaushalt für 2020 wurden 31,25 Millionen Euro für die „Herrichtung einer Messehalle (1. Phase) zum Corona-Behandlungszentrum“ eingeplant, nebst 25 Millionen Euro für die „medizintechnische Ausstattung“. Wie weit diese Investition letztlich abgeschrieben werden muss, ist offen.
Schon vor der Inbetriebnahme hatte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) Anfang Mai vorsorglich darauf hingewiesen, dass „wir einen Großteil der Infrastruktur weiter nutzen können, wenn wir sie da nicht mehr brauchen“. Das gelte für die Betten und das technische Gerät, die Trennwände blieben bei der Messe. Nur der Bodenbelag sei nicht zu recyceln.