Bahnmesse InnoTrans: Das Hochamt der Schienenfreunde
Besucher der InnoTrans bestaunen in Berlin 146 technische Weltpremieren. Mit Kritik tut sich die Branche schwer.
Alstoms neuste Generation von Doppelstock-Hochgeschwindigkeitszügen oder Berlins neue S-Bahn, gebaut von Siemens und Stadler Pankow in Berlin. Das sind nur zwei von insgesamt 146 Weltpremieren der Schienentechnik, die die Besucher der Messe InnoTrans noch bis inklusive Freitag in Berlin bestaunen können. Es ist mit 3000 Ausstellern und rund 130 000 erwarteten Besuchern die weltweit führende Messe dieser Branche – und eine der wichtigsten Messen für Berlin.
Das Publikum in den Hallen unterm Funkturm ist auch in diesem Jahr zu gefühlt 90 Prozent männlich. Weder während der Grünen Woche noch zur Ifa ist die Dichte von Anzug-mit-Krawatten-Trägern in Berlin so groß wie alle zwei Jahre Mitte September zur InnoTrans. Zwischen die Fachbesucher und Fachbesucherinnen (ein paar Frauen sind auch darunter) drängen sich auch Herrschaften in Sandalen und Cargohosen, bewaffnet mit Kameras mit Teleobjektiven: Trainspotter. Sie alle strömen auf die Freifläche am südwestlichen Messegelände, wo polierte Regionalzüge neben Rangierloks fast Puffer an Puffer auf Gleisen stehen. Angeblich kann kein anderes Messegelände der Welt das bieten.
Mittelständler sind ebenso vertreten wie Konzerne
In den Hallen sowie dem Konferenzzentrum CityCube finden die Einkäufer von der Deutschen Bahn und ihren Wettbewerbern alles – Betonschwellen im italienischen Design, robuste Waggonklimaanlagen aus Australien oder ein 3-D-Radmesssystem der Firma Althen aus Kelkheim im Taunus. Die InnoTrans ist eine Plattform für Mittelständler – genau wie für milliardenschwere Konzerne. Die Chinesen haben ihren eigenen Pavillon – aber nicht nur, um ihre Technologie anzupreisen. Das bevölkerungsreichste Land der Welt baut seinen Nah- und Fernverkehr stetig aus und sucht auch in Berlin dafür industrielle Partner.
Motoren, Transistoren, Stahl und Starkstromkabel gibt es an jeder Ecke auf dieser Messe. Entsprechend energiegeladen war auch die Video- und Tanzshow einer sechsköpfigen Truppe der Kölner Agentur Dancing Bear Productions. Die Messe Berlin hatte bei ihr eigens eine InnoTrans-Choreografie in Auftrag gegeben. So kraftvoll wie geschmeidig hätte die weltgrößte Branchenfeier für viele Teilnehmer weitergehen können. Aber eine Frau wagte es, zum Auftrag wenigstens ein wenig politischen Druck in den Kessel zu geben: EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc. Die Slowenin stellte erste Ergebnisse einer Umfrage unter Bürgern aller EU-Länder vor, die die Kommission nur alle fünf Jahre erhebt. Bulc beglückwünschte zunächst die Branchenvertreter dazu, dass sich einige Werte verbessert hätten. So würden heute immerhin 80 Prozent der EU-Bürger mindestens ein Mal im Jahr mit dem Zug verreisen, 30 Prozent mindestens ein Mal in der Woche und fünf Prozent fast jeden Tag.
"Die Branche muss sauberer und leiser werden"
Allerdings seien nur 59 Prozent mit der Pünktlichkeit der Zugverbindungen zufrieden, sagte Bulc. Und nur jämmerliche 38 Prozent der Europäer seien zufrieden, wie die Bahnunternehmen mit Kundenbeschwerden umgehen. "Da gibt es für sie noch viel Arbeit zu tun", sagte die Kommissarin. Zudem kritisierte Bulc, dass es noch zu viele Europäer gäbe, die Probleme hätten, ihren nächsten Bahnhof überhaupt zu erreichen. Die Multimodalität – also die Verknüpfung einzelner Verkehrsträger – müsse verbessert werden. "Meine Botschaft: Die Branche muss sauberer, leiser, effizienter und inklusiver werden", rief Brüssels Vertreterin.
Für die Rückkehr zur Jubelstimmung sah sich Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) verantwortlich. Er begrüßte die InnoTrans-Gäste beim "Logistikweltmeister und Reiseweltmeister" Deutschland in Berlin. "Ich bin glücklich, dass ich eine Dieselautopause einlege", räumte der Minister ein, der ja noch in dieser Woche ein Konzept vorlegen will, mit dem die Großstädte Fahrverbote für Dieselfahrzeuge noch abwenden können. Vielleicht war es der öffentliche Druck, der in dieser Sache auf dem Niederbayern lastet, der ihn bewog, auf der Messe auch die Bahnindustrie gegen regelmäßige Medienkritik zu verteidigen. "Wenn etwas nicht funktioniert, schlägt die mediale Berichterstattung zu. Wenn aber etwas funktioniert und es – wie hier – um Innovationen geht, ist es oft viel zu leise", klagte Scheuer.
Der Minister gab dann noch einen Ausblick auf das Auftakttreffen für das "Zukunftsbündnis Schiene" am 9. Oktober. Dort wollen Ministerium, Behörden und die Industrie beraten, wie man das große Ziel der Regierung erreichen kann: die Zahl der Bahnkunden bis zum Jahr 2030 zu verdoppeln. Die Bundesregierung wolle helfen, für mehr Kapazitäten, für mehr Wettbewerb und Digitalisierung zu sorgen, erklärte Scheuer. Der Bund werde dafür auch Milliarden investieren. Solche Ansagen kommen auf dem Hochamt der Schienenfreunde in der Tat sehr gut an.
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