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Doppelte Loyalität. Für viele Berliner ist es ganz normal, sich zwei Ländern verbunden zu fühlen.
© Thomas Frey/dpa

Berlins Integrationsbeauftragter: "Wir sind in der Realität schon viel weiter“

Berlins Integrationsbeauftragter Andreas Germershausen im Interview über Rassismus, Heimatgefühle und Debatten, die Populisten helfen.

Herr Germershausen, Mesut Özil galt viele Jahre als Musterbeispiel gelungener Integration. Können Sie seinen Rücktritt nachvollziehen?

Ja, das kann ich. Mich haben seine Aussagen sehr erschüttert. Sie zeigen, wie schnell man wieder zum Fremden werden kann. Und das nach dem sympathischen Bild, das die Nationalelf in ihrer Vielfalt 2014 ausgesandt hatte. Das war eine positive Botschaft. Durch dieses schlechte DFB-Krisenmanagement hat man diese verspielt. Fußball ist ein populärer Sport. Und wenn es populär zugeht, ist der Populismus oft nicht ganz fern.

Spiegelt Özils Spruch „Ich bin deutsch, wenn wir gewinnen, aber ich bin Migrant, wenn wir verlieren“ die Realität von vielen Migranten wider?

Das denke ich nicht. Die meisten Migranten erleben eine positive Integration. Ich kann nicht generalisieren, was das Zentrum für Türkeistudien schreibt, wonach türkischstämmige Menschen in Deutschland seit 2010 zunehmend die Türkei als ihre eigentliche Heimat ansehen. Unter jungen Migranten sehe ich eine andere Dynamik. Sie engagieren sich sehr stark in unserer Gesellschaft. Ich gehöre nicht zu denen, die defätistisch sind.

Ist der Alltagsrassismus gestiegen?

Das kann man so nicht feststellen. Alltagsrassismus hierzulande ist nicht größer als in anderen Ländern. Wenn aber eine Debatte entfacht wird, sieht man gleich die Wogen der Politik. Und auf der mag man das zugespitzt denken. Natürlich löst das etwas bei Menschen aus, wenn in der Regelmäßigkeit über Flüchtlinge oder über Abgrenzung gesprochen wird, siehe das Spektakel zwischen Seehofer und Merkel. Das hat Auswirkungen. Junge Migranten erzählen mir, dass sie dann viel fremder gemacht werden, als sie sind. Wir müssen in Deutschland kontinuierlich für Integration und Diversität in der Öffentlichkeit arbeiten. Dazu zählt unter anderem die kritische Aussage von Wolfgang Schäuble über den DFB. Er warf dem DFB ja direkt vor, dass sie es zugelassen hatten, aus einer unklugen Fotoaktion eine Staatsaffäre gemacht zu haben. Das hätte jemand verhindern müssen, damit nicht einem der Populismus überkommt.

Andreas Germershausen ist seit Oktober 2015 Beauftragter des Senats für Integration und Migration.
Andreas Germershausen ist seit Oktober 2015 Beauftragter des Senats für Integration und Migration.
© Rainer Jensen/dpa

Aber gut integrierte Migranten kritisieren, dass es nicht sein könne, dass manche auch nach 30 Jahren Leben in Deutschland noch nicht Deutsch sprechen können. Wo setzen Sie denn da an?

Wir haben viele Programme. Gerade bei der Flüchtlingszuwanderung investieren wir ab dem ersten Tag, an dem sie hier sind, in den Erwerb von Sprachkompetenz. Das, was wir bei manchen Migranten, die nicht oder schlecht Deutsch sprechen, erleben, ist eben auch die Konsequenz aus den Versäumnissen der Politik vor Jahrzehnten. Und das wird sich so auch nicht mehr wiederholen. Dafür gibt es inzwischen eine parteiübergreifende Verständigung.

Hat die bisherige Einwanderungs- und Migrationspolitik versagt?

Seit 2005 hat man stark auf Sprachförderung gesetzt, leider hat man die berufliche Qualifizierung von Migranten erst ab 2008 stärker in den Fokus genommen. Aber völlig klar: Alle Aspekte sind im Sinne einer gelungenen Integration wichtig. Wir haben in Berlin einen sehr umfassenden Ansatz in der Integrationspolitik, der auf Partizipation in allen politischen Bereichen setzt.

Auf Bundesebene wird gerade über die Ausgestaltung eines geplanten Einwanderungsgesetzes diskutiert. Brauchen wir einen Punktekatalog wie in Kanada?

Ich plädiere für einen Punktekatalog. Wir brauchen eine humanitär begründete Zuwanderung, die im Asylrecht begründet ist, ebenso wie eine Zuwanderung, die sich an den beruflichen Qualifikationen und Fachkräften orientiert. Wir müssen den besten Köpfen der Welt in allen Bereichen Chancen in Deutschland einräumen. Bedauerlicherweise dominiert diese wichtige Debatte zurzeit den Disput über die Abgrenzung gegen Flüchtlingsströme. Wir sind in der Realität schon viel weiter als diese Debatten, die den Nährboden für Rechtspopulisten bilden können.

Im Berliner Senat gibt es noch keine Verständigung über den Umgang mit dem Neutralitätsgesetz. Soll es beibehalten werden?

Das Neutralitätsgesetz wirkt in der Praxis negativ vor allem gegen Musliminnen mit Kopftuch, obwohl es sich gegen alle religiösen Symbole richtet. Das finde ich diskriminierend. Das Gesetz muss dahingehend novelliert werden, dass das Kopftuchtragen von Lehrerinnen erlaubt ist. Da bin auf der Seite des Justizsenators Dirk Behrendt und lehne die Position des Regierenden Bürgermeisters und der Bildungssenatorin Sandra Scheeres ab, die sich für ein Verbot ausgesprochen haben.

Andreas Germershausen ist seit Oktober 2015 Beauftragter des Senats für Integration und Migration. Er ist seit 2001 beim Senat beschäftigt.

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