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Am Montag ist das nächste Verfahren um die Anwendung des Neutralitätsgesetzes in den allgemeinbildenden Schulen vor dem Arbeitsgericht anhängig.
© Zurijeta
Update

Berliner Neutralitätsgesetz: Klagen fürs Kopftuch

Vier neue Verfahren sind vor dem Arbeitsgericht anhängig: Immer geht es um Lehrerinnen, die das Verbot religiöser Symbole nicht hinnehmen wollen.

Die Ruhe rund um den Kopftuchstreit an Berlins öffentlichen Schulen währte nur kurz: Am Montag wird bereits die nächste Beschwerde einer Lehrerin vor dem Arbeitsgericht verhandelt, die im Schuldienst nicht auf ihr Glaubenssymbol verzichten will. Drei weitere Verfahren werden in Kürze folgen. In allen Verfahren geht es im Grunde um das Neutralitätsgesetz, mit dem religiöse Symbole aus allgemeinbildenden Schulen herausgehalten werden sollen.

Nachdem die Karlsruher Verfassungsrichter 2015 entschieden hatten, dass diese Gesetzesregelung nur haltbar sei, wenn der "Schulfrieden" auf dem Spiel steht, dreht sich die Diskussion jetzt vor allem um die Frage, wie denn die Gefährdung des "Schulfriedens" messbar sei.

Religiöse Zeichen sollten von keinem Mitarbeiter einer staatlichen Bildungsanstalt getragen werden, bzw. einer Bildungsanstalt, die mit und für den Staat arbeitet. 

schreibt NutzerIn nadineA

Am Donnerstagabend gab es dazu einige Antworten – bei einer Veranstaltung der Initiative "Pro Neutralitätsgesetz". Denn dort äußerten sich Schulleiter, die schon jetzt eine Einschüchterung jener Schüler ausmachen, die sich nicht an angeblich verbindliche Religionsregeln halten wollen.

Anpassungsdruck: So tun, als ob man fastet

"Aleviten tun in der Schule so, als ob sie fasten" – weil die sunnitische Mehrheit das verlange. Das berichtete der Leiter der Neuköllner Röntgen-Schule, Detlef Pawollek. Ebenso würden "bestimmte Kleiderordnungen durchgesetzt". Inzwischen werde selbst die türkischstämmige Sozialarbeiterin seiner Schule von Eltern gefragt, warum sie kein Kopftuch trage. Es sei auch ein "Wunschdenken", dass Kopftuch tragende Lehrerinnen als Vermittlerinnen wirken könnten: Vielmehr würde es streng religiösen Frauen im Konfliktfall schwerer fallen, sich von Forderungen konservativer Eltern zu "distanzieren", erwartet Pawollek.

Wohin es führen könne, wenn streng gläubige Lehrerinnen in Schulen Einzug hielten, machte Ronald Rahmig deutlich, der für die Vereinigung der Berufsschulleiter spricht: Er verwies auf Berichte seiner Kollegen, wonach sich Kopftuch tragende Erzieherinnen weigerten, männliche Schüler anzufassen. Wenn Frauen mit derartigen Vorstellungen auch noch Lehrerinnen würden, habe dies ohne Frage Auswirkungen auf das Frauenbild der Schülerschaft, meint Rahmig. Es werde auch eine bestimmte "Grundhaltung" transportiert.

Öffentlicher Dienst als "Fels in der Brandung"

"Der öffentliche Dienst muss der Fels in der Brandung sein", mahnte daher Michael Grunst, der Bezirksbürgermeister der Linken in Lichtenberg. Das Neutralitätsgesetz sei "wichtiger denn je". Allerdings gebe es dazu in seiner Partei auch andere Meinungen. Notfalls müsse man es eben auf eine Klage in Karlsruhe ankommen lassen, meinte der Bundestagsabgeordnete Fritz Felgentreu (SPD). Er votierte vehement dafür, am Neutralitätsgesetz festzuhalten, solange es geht: "Wir brauchen eine kämpferische Haltung zur Verteidigung der Freiheit", lautete sein Appell. Die Anwältin Seyran Ates lehnte es ab, von einem "Berufsverbot" für gläubige Lehrerinnen zu sprechen, wie es Gegner des Neutralitätsgesetzes tun: "Millionen Musliminnen tragen kein Kopftuch", betonte Ates, die den Senat im aktuellen Verfahren vor dem Arbeitsgericht vertritt.

Uneinheitliches Bild bei Rot-Rot-Grün

Felgentreu weiß in der Debatte um das Neutralitätsgesetz den Regierenden Bürgermeister Michael Müller, die neue Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, Bildungssenatorin Sandra Scheeres und viele andere maßgebliche Sozialdemokraten auf seiner Seite. Auch die bildungspolitische Fraktionssprecherin Maja Lasic sagte am Freitag auf Anfrage, "wir wollen nicht rütteln am Neutralitätsgesetz".

In der Linken ist das Bild diffuser, und es gibt auch keine Parteibeschlüsse zum Thema. Hingegen hatten die Grünen in einem abgestimmten Papier festgehalten, dass Neutralitätsgesetz mit seinen pauschalen Verboten nicht mehr zu halten sei, nachdem die Karlsruher Bundesverfassungsrichter einschränkend auf die Frage nach dem "Schulfrieden" verwiesen hatten: „Es gibt diese Konflikte, aber sich an das Neutralitätsgesetz zu klammern, ist keine Lösung“, sagte die religionspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Bettina Jarasch, auf Anfrage. Vielmehr müsse es darum gehen, eine Klärung herbeizuführen, „ob das Gesetz verfassungsgemäß und was wir gegen religiöses Mobbing tun können“.

Bei den Berliner Grünen gibt es kaum prominenten Verfechter des Neutralitätsgesetzes, allerdings macht sich die Gruppe der Säkularen Grünen in der Initiative "Pro Neutralitätsgesetz" stark. Der grüne Justizsenator Dirk Behrendt hatte sich immer wieder skeptisch geäußert im Hinblick auf die Kompatibilität des Gesetzes mit der Rechtsprechung.

Schon beim Wandertag in getrennten Gruppen

In der Initiative "Pro Neutralitätsgesetz" sammeln sich vor allem Vertreter von SPD, Linken und einzelnen Grünen. Unabhängig davon macht sich auch die CDU stark für eine Beibehaltung des Gesetzes. Gerade erst hatte sich Berlins CDU-Fraktionschef Florian Graf im Vorfeld der aktuellen Klausurtagung gegenüber dem Tagesspiegel dazu geäußert.

Ich empfehle, zunächst unter die Kopfbedeckung zu sehen und danach zu entscheiden, wer für den Unterrichtsbetrieb in Frage kommt. Aber im Zeitalter des Rassismus macht sich kaum noch einer diese Mühe. Warum auch, wenn es auch ohne geht.

schreibt NutzerIn yoda

Die Kopftuchdebatte wird aktuell in Nordrhein-Westfalen auch im Hinblick auf ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren geführt. Auch während der Debatte der Initiative "Pro Neutralitätsgesetz" wurde immer wieder darauf verwiesen, dass bereits kleine Mädchen Kopftuch trügen. Überdies berichten Lehrerinnen, dass sie schon bei muslimisch erzogenen Lernanfängern immer häufiger beobachteten, dass sich Jungen und Mädchen getrennt voneinander hielten.

"Sogar beim Wandertag fällt auf, dass sie sich nicht mehr mischen", berichtete eine Schöneberger Konrektorin im Gespräch mit dem, Tagesspiegel. Sie würden dieses Verhalten bereits aus den Kitas mitbringen. Wenn es nach Ronald Rahmig ginge, müsste auch geprüft werden, welche Wirkungen es hat, wenn Kitakinder jahrelang von Erzieherinnen mit Kopftuch betreut werden. Es gehe dabei nicht nur um das Kopftuch, sondern um das "bestimmte Frauenbild", das da transportiert werde, sagte Rahmig am Freitag.

Die Klägerin wurde einer Berufsschule zugewiesen

In dem Fall, der am Montag anhängig ist, geht es um eine Klägerin, die ein Kopftuch trägt und vom Land Berlin als Lehrkraft eingestellt worden war. Sie möchte an einer Grundschule arbeiten und "macht geltend, dass ihr das zugesagt worden sei", wie das Arbeitsgericht am Freitag mitteilte. Ihr werde nur deshalb der Einsatz in der Grundschule verwehrt, weil sie im Unterricht ein Kopftuch tragen wolle. So sei sie einem Oberstufenzentrum zugewiesen worden.

Wie berichtet, gilt das Neutralitätsgesetz nicht an Oberstufenzentren, weil dort ältere Schüler lernen, die nicht mehr so beeinflussbar seien wie jüngere, argumentiert der Senat. Die Vereinigung der Berufsschulleiter hält dem entgegen, dass auch an den Oberstufenzentren junge Mädchen von 15 oder 16 Jahren unterrichtet würden. Sie seien ebenso vor dem Einfluss zu schützen wie gleichaltrige Schüler an Sekundarschulen oder Gymnasien.

"Kinder lernen aus Anschauungen"

Bereits vor einem Jahr hatte sich der Berliner Grundschulverband vehement für die Beibehaltung des Neutralitätsgesetzes stark gemacht - unterstützt vom ehemaligen Landesschulamtsleiter Wilfried Seiring und dem langjährigen GEW-Vorsitzenden Erhard Laube sowie weiteren bekannten Berliner Grundschulvertretern wie Ellen Hansen und Ulla Widmer-Rockstroh. Ebenfalls aktiv in der Initiative "Pro Neutralitätsgesetz" ist die Leiterin der Neuköllner Peter-Petersen-Grundschule, Hildegard Greif-Gross, die ebenfalls auf dem Podium der Veranstaltung am Donnerstag vehement davor warnte, dass Lehrer in der Schule ihre religiösen Bekenntnisse zur Schau stellen. "Kinder lernen aus Anschauungen", mahnte sie. Im Rückblick auf die frühe Zeit der Zuwanderung zu Beginn der 80er Jahre habe es noch ein "neugieriges Aufeinanderzugehen" an ihrer Schule gegeben. Inzwischen würden "immer mehr Regeln mit in die Schulen gebracht". Greif-Gross beobachtet seitens der Eltern "immer mehr Misstrauen, dass wir ihnen die Kinder entfremden wollen". Auch dass muslimische Kinder nicht zu Geburtstagen nichtmuslimischer Kinder dürften, nehme zu - ebenso wie die Tendenz, nicht mit auf Klassenfahrt zu gehen.

Darf man einen Osterhasen malen?

Positiv berichtete die Schulleiterin über die Erfahrungen mit den Lehrern der Islamischen Föderation: Sie machten bei Unternehmungen mit anderen Schülergruppen mit und könnten bei den Kindern auch beispielsweise die Bedenken ausräumen, "einen Osterhasen zu malen", nannte Greif-Gross ein Beispiel aus dem Schulalltag der vergangenen Wochen.

Der Psychologe und Autor Ahmad Mansour hingegen sprach sich bei der Veranstaltung vehement gegen einen bekenntnisorientierten Unterricht an den Schulen aus: Es sei "beschämend" Kinder nach ihrer Religionszugehörigkeit zu trennen".

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