Der Mann an Franziska Giffeys Seite: Wie Raed Saleh Berliner SPD-Chef werden will
Alle reden über Franziska Giffey. Doch ohne Raed Saleh hätte sie kaum für den SPD-Landesvorsitz kandidiert. Aber er ohne sie? Undenkbar! Kann das Duo gelingen?
Raed Saleh kann es noch gar nicht richtig fassen. Er soll im Mai an die Spitze der Berliner SPD rücken, gemeinsam mit der Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, auf der als künftige Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl 2021 jetzt alle Hoffnungen der Genossen ruhen. Ein Traum wird wahr für den Spandauer SPD-Kreischef, der seit acht Jahren die Fraktion der Sozialdemokraten im Landesparlament führt – und stets nach Höherem strebt.
Trotzdem wirkt Saleh in diesen Tagen nervös. Daran wird der Kurzurlaub, den er sich und der Familie in dieser Woche gönnte, nicht viel ändern. Denn die Berliner SPD steht vor einem Umbruch, von dem niemand weiß, ob er gelingt. Und ob ihn alle heil überstehen, das gilt auch für Saleh.
Bisher ist nur klar, dass der Regierende Bürgermeister und SPD-Landeschef Michael Müller auf dem Parteitag am 16. Mai nicht mehr für den Vorsitz kandidiert. Ihn soll eine Doppelspitze ersetzen, die aus Giffey und Saleh besteht.
Die ehemalige Neuköllner Bezirksbürgermeisterin, die dem rechten Parteispektrum zugeordnet wird, soll die linke Hauptstadt-SPD in den nächsten Wahlkampf führen. Im Gegenzug darf Müller auf aussichtsreichem Listenplatz für den Bundestag kandidieren.
Raed Saleh war es, der diesen Deal in kleinen, strikt vertraulichen Runden maßgeblich vorbereitet hat. Auch in vielen Gesprächen mit Müller unter vier Augen, bis der mürbe war und über Weihnachten den Entschluss fasste, der Hoffnungsträgerin Giffey das Feld zu überlassen.
Eine prominente Genossin mit hohen Beliebtheitswerten, die in der Berliner SPD allerdings keine Hausmacht hat. Ihr fehlt jede landespolitische Erfahrung, sie ist im SPD-Landesverband mäßig vernetzt und musste bisher nie innerparteiliche Mehrheiten erobern. Solange Giffey Bundesministerin ist, wird sie kaum Zeit haben, diese Defizite auszugleichen.
Müller und Saleh – eine funktionierende Zweckgemeinschaft
Hier kommt Saleh ins Spiel. Angeblich war es Müller, der vorgeschlagen hat, dem innerparteilichen Widersacher den Co-Vorsitz zu überlassen. Will er ihn scheitern sehen? Das wäre böse gedacht.
Freunde sind Müller und Saleh nie geworden, aber je schlechter es der SPD ging, eine halbwegs funktionierende Zweckgemeinschaft. Man tut sich gegenseitig nicht mehr weh und kann auch mal gemeinsam lachen. Wenn es was zu lachen gibt.
Mit „der Franziska“ ist das anders. „Wir kennen uns schon lange, wir vertrauen uns schon lange“, so beginnt der Kandidatenbrief von Giffey und Saleh an die gut 20.000 Berliner SPD-Mitglieder, der mit dem Angebot endet, „diesen Weg gemeinsam mit uns zu gehen“.
Ein klarer Führungsanspruch, der erst einmal durchgesetzt werden muss. Die aktiven Genossen in den Kreis- und Ortsverbänden wollen nicht wieder in die Lage geraten, dass die Funktionsträger im Senat und Abgeordnetenhaus den Kurs der Partei diktieren.
Das Image der Heilsbringerin wird Giffey nicht davor bewahren, mit einem streitlustigen linken SPD-Landesverband um die künftige Ausrichtung der Politik kämpfen zu müssen.
Ostern 2014 wollte Saleh den damaligen Landesvorsitzenden Stöß putschen
Um die designierte SPD-Spitzenkandidatin nicht vorzeitig zu verschleißen, wird Saleh die Aufgabe zufallen, ihr den Rücken freizuhalten, das Alltagsgeschäft zu erledigen, innerparteiliche Mehrheiten zu beschaffen und Strategien zu erarbeiten, die die Wähler überzeugt.
Wer Saleh kennt, der weiß, dass er die Fäden fest in der Hand halten wird. Im Windschatten Giffeys strebt er eine Machtposition an, die ihm bisher verwehrt geblieben ist.
Ostern 2014 war Saleh kläglich mit dem Versuch gescheitert, den SPD-Landesvorsitz an sich zu reißen. Über den Putschversuch gegen den damaligen Parteichef und Sprecher der SPD-Linken, Jan Stöß, will Saleh heute nicht mehr reden.
Wenige Monate später musste er eine zweite Niederlage verkraften: Bei einer Mitgliederbefragung, wer die Nachfolge des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit antreten soll, landete Saleh abgeschlagen hinter Müller und Stöß.
Zwei Jahre später gab es erste Versuche, den seit Dezember 2011 amtierenden Fraktionschef Saleh aus dem Amt zu vertreiben. Diskret gefördert von Müller und dessen Vertrauten in Partei, Senat und Fraktion. Der Konflikt eskalierte im November 2017 mit einem Brandbrief von 14 SPD-Abgeordneten, die sich massiv über den Politik- und Führungsstil ihres Vorsitzenden beschwerten. Nur knapp entkam er einer Abwahl. Heute steht die Fraktion, wenn auch nicht überschwänglich begeistert, mehrheitlich hinter Saleh. Doch seine Karriere glich oft einer Achterbahnfahrt.
Saleh gilt als Meister der Seilschaften
In der Partei galt Saleh lange Zeit als Linker, der sich für die Sozial-, Bildungs- und Integrationspolitik besonders engagierte. Aber der linke SPD-Flügel stand nie geschlossen hinter ihm. Daran hat sich bis heute nichts geändert, im Gegenteil. Er gilt nach wie vor als Meister der Seilschaften, als Kungelbruder und schlitzohriger Kommunikator.
Hartnäckig verfolgt er seine Themen, für die er sich wechselnde Mehrheiten sucht, oft mit Erfolg. Das 500 Millionen Euro teure SPD-Programm für eine „bezahlbare Stadt“ geht genauso auf Saleh zurück wie der Beschluss zur Lehrerverbeamtung.
Als er 2006 ins Abgeordnetenhaus einzog, war Saleh nicht der einzige Genosse mit Migrationshintergrund. Damals starteten auch die heutige Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci und die zu den Grünen gewechselte Bundestagsabgeordnete Canan Bayram ihre Karrieren.
„Ein Neuzugang aus der Spandauer Altstadt“, schrieb der Tagesspiegel damals über den ehemaligen Geschäftsführer einer Burger-King-Filiale und des Cafés Charlotte, das sechste von neun Kindern einer palästinensischen Familie. Ein ehrgeiziger Aufsteiger, der ab Mai die Macht eines Fraktions- und Co-Parteichefs auf sich vereint.
Die Wahl der beiden wird wackelig
Wenn es klappt. Ein führender Genosse, sonst eher ein ruhiger Typ, lacht dröhnend. „Der Raed muss am 16. Mai erst mal gewählt werden!“ Seitdem Saleh und Giffey ihre Teamkandidatur bekanntgaben, hört man das öfter.
Wobei die Wahl Giffeys als ungefährdet gilt, ein Ergebnis von 80 bis 90 Prozent der Delegiertenstimmen werden ihr zugetraut. Intern hat sie auch klargestellt, dass sie nur mit Saleh antreten wolle. Trotzdem gilt seine Wahl als wackelig.
Der SPD-Fraktionschef selbst gibt sich siegessicher. 70 Prozent peilt er wohl an. Doch 60 Prozent seien auch okay, ließ er Vertraute wissen. Saleh setzt offenbar darauf, dass Absprachen gegen ihn nicht zustande kommen, weil der Berliner Landesverband die künftige Spitzenkandidatin nicht vorab beschädigen will.
Auch stramm linke Genossen verzeihen es Giffey, dass sie das politische Ziehkind des früheren Neuköllner Bezirksbürgermeisters Heinz Buschkowsky ist. Sie muss nur die Partei aus dem Tal der Tränen führen.
Die Berliner SPD will sich an den Grünen abarbeiten
Als Saleh Ende Januar auf der Fraktionsklausur in Nürnberg für die nächste Berliner Wahl die Zielmarke von 30 Prozent ausgab, glaubten zunächst alle, sich verhört zu haben. Aber er meinte es ernst. Natürlich mit Giffey an der Spitze, nicht mit Müller. Auf derselben Klausur schaltete Saleh mit einem aggressiven Grünen-Bashing und einem Programm für den „sozialen Klimaschutz“ auf Angriff um.
Mit Blick auf den Wahlkampf haben die Sozialdemokraten die Umwelt- und Verkehrspolitik von Senatorin Regine Günther fest im Visier, aber auch Wirtschaftssenatorin Ramona Pop kommt nicht gut weg. Ende Februar wird Saleh vor der Industrie- und Handelskammer einen Vortrag halten: „Berlin groß denken – ein klares Ja zu unserem Wirtschaftsstandort“.
Die Berliner SPD wird sich unter seiner Co-Führung bis zum Herbst 2021 vorzugsweise am derzeit stärksten Gegner abarbeiten, um am Wahlabend an den Grünen vorbeizuziehen.
„Wir sind beide sehr bodenständig“
Die Arbeitsteilung könnte gelingen: Good girl, bad boy. Während die „Königin des Ortstermins“, wie es die „Süddeutsche Zeitung“ formulierte, ihren Charme versprüht, bearbeitet Saleh die eigene Partei und den politischen Gegner.
Ansonsten steht er Giffey nicht nach, wenn es darum geht, in den prekären Ecken seines Heimatbezirks Spandaus mit den Leuten über deren Sorgen zu sprechen. „Wir sind beide sehr bodenständig“, sagte Saleh im Sommer 2019 im Tagesspiegel-Interview. „Abstrakte Diskussionen über den Sozialismus sind weniger unser Ding.“
Doch zuvor muss der 42-Jährige auf dem Wahlparteitag bestehen. Das Wahlverfahren für eine Doppelspitze ist satzungsrechtliches Neuland für die SPD. „Zeitnah vor dem Parteitag“ werde geklärt, ob die Kandidaten für den Landesvorsitz in „geschlechtergetrennter Einzelwahl“ oder auf einer Liste gewählt würden, teilte die SPD-Zentrale mit.
Verfehlt die Bewerberin oder der Bewerber die absolute Mehrheit, bekommt aber mehr Ja- als Nein-Stimmen, ist ein zweiter Wahlgang möglich. Bei mehr Nein- als Ja-Stimmen gibt es keine zweite Chance. Dann müsste sich eine andere Kandidatin oder ein Kandidat zur Wahl stellen. Saleh wird froh sein, wenn er diese Prozedur übersteht.