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Schlange stehen fürs neue Geld. Stundenlang warteten DDR-Bürger, um die ersehnte D-Mark zu erhalten.
© Foto: Eberhard Klöppel/picture-alliance/ ZB

„Wir haben genügend Geld da!“: Wie Ost- und West-Berlin die Währungsunion 1990 erlebten

Erst die D-Mark, dann die Einheit. Vor 30 Jahren kam es zur Währungsunion. Unter Party und Tumulte auf dem Alex mischen sich in der DDR auch Zukunftssorgen.

Kaufrausch? An einem Sonntag? Geht doch gar nicht oder allenfalls als Ausnahme. Jedenfalls nicht an diesem 1. Juli 1990, dem Tag, an dem die D-Mark über die DDR kam.

Es war schon ein wenig kurios: Das am 18. Mai 1990 zwischen den Finanzministern Theo Waigel und Walter Romberg besiegelte Vertragstrio aus Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion trat ausgerechnet an einem Sonntag in Kraft.

Die heiß ersehnte West-Mark war zwar nun auch im Osten alleiniges Zahlungsmittel und wurde an den Ausgabestellen sogar umgehend ausgezahlt, war am Stichtag selbst aber kaum einzusetzen, jedenfalls nicht für den Erwerb der lockenden Konsumgüter des Westens.

Die im Sommer vor 30 Jahren wohl größte Zäsur im Alltag der DDR-Bürger verschob sich also um 24 Stunden. Immerhin, die lästigen, längst überflüssigen Kontrollen an der innerdeutschen Grenze und der zwischen West- und Ost-Berlin waren mit diesem Sonntag entfallen.

„Kommt die D-Mark, bleiben wir. Kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr“, hatten die Demonstranten in der ihrem Ende entgegen taumelnden DDR zuletzt skandiert und dies ungeduldig oft auch in die Tat umgesetzt: Allein im Januar 1990 siedelten 70.000 Menschen in den Westen um, wieder einmal drohte die DDR personell auszubluten.

„Eins zu eins, oder wir werden niemals eins“, war für die Demonstranten in Ost-Berlin klar

Helmut Kohls am 6. Februar dem DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow unterbreitetes Angebot einer Währungsunion kam gleichwohl überraschend und löste gerade wegen der Eile, mit der sie durchgezogen werden sollte, viel Kritik aus, darunter von Bundesbankpräsident Karl-Otto Pöhl und dem Rat der fünf Wirtschaftsweisen.

Auch der sich bald herauskristallisierende Wechselkurs ließ Ökonomen die Stirn runzeln, während für die Demonstranten in Ost-Berlin die Sache klar war: „Eins zu eins, oder wir werden niemals eins.“

So kam es denn auch: Löhne, Gehälter, Mieten, Renten, begrenzt auch Ersparnisse sollten 1:1 umgetauscht werden – für Kohl ein „Ausdruck der Solidarität unter den Deutschen“.

Während also am Tag der Währungsunion die Schlangen vor den Konsumtempeln notgedrungen ausblieben, hatten die DDR-Banken und -Sparkassen den ersten Ansturm auf ihre Schalter schon hinter sich. Ab dem 11. Juni konnten dort Konten für den Umtausch von Ersparnissen und Bargeld eingerichtet werden.

Die Frist dafür lief erst vier Wochen später ab, dennoch bildeten sich anfangs 200 Meter lange Schlangen, mit Wartezeiten bis zu drei Stunden.

Logistische Herausforderung für die Bundesbank

Auch die Bundesbank war logistisch herausgefordert, galt es doch über 25 Milliarden DM, also mehrere 100 Tonnen Geldscheine, dazu Münzen von ähnlichem Gewicht rechtzeitig auf die Auszahlungsstätten zu verteilen. Allein in Ost-Berlin waren das 265 Sparkassen, Postämter und Banken.

Während die Verteilung gelegentlich, wie in Chemnitz, sogar mit schlichten, als Biertransporter getarnten Lieferwagen erfolgt sein soll, wurden in der Hauptstadt der DDR professionelle Geldtransporter einer West-Firma eingesetzt, geschützt von schwer bewaffneten Volkspolizisten, sicher ist sicher.

Obwohl, hier sei in den vergangenen acht Jahren nur ein Banküberfall versucht worden, mit einer Spitzhacke, hieß es damals beruhigend in einem Bericht der „Aktuellen Kamera“, der Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens – im Westteil der Stadt seien es fünf Überfälle gewesen.

Ab 9 Uhr werde ausgezahlt, hieß es in der Sendung vom 1. Juli 1990 weiter, und auch ein Sprecher der Volkspolizei kam zu Wort, der von mitternächtlichen Tumulten am Alexanderplatz, einem notwendig gewordenen Einschreiten und 13 kreislaufbedingten Transporten in die Krankenhäuser berichtete.

Der Anlass der Aufregung blieb unerwähnt: Die Deutsche Bank hatte dort die Türen ihrer neuen Filiale bereits um Mitternacht geöffnet, sich bei dem dadurch ausgelösten Ansturm aber verschätzt.

„Wir haben genügend Geld da“

Es kam zu beängstigendem Gedränge, Scheiben gingen zu Bruch, während ein Banksprecher – 2015 erinnerte Deutschlandradio Kultur in einer Sendung an die historische Szene – über den Lautsprecher eines Vopo-Streifenwagens versuchte, die Menge zu beruhigen: „Wir weisen Sie darauf hin, dass heute keiner nach Hause geht, ohne sein Geld zu bekommen. Wir haben genügend Geld da.“

Der erste Bankkunde soll für sein geduldiges Warten mit einem Geschenkkorb samt Champagner und einem Sparbuch mit einem Guthaben über 100 DM belohnt worden sein, wusste wiederum der MDR.

Der damalige deutsche Bundesfinanzminister Theo Waigel hält in einer Filiale der Deutschen Bank am Alexanderplatz in der Nacht der Währungsunion neben einer Bankangestellten einen 100-DM-Schein in die Höhe.
Der damalige deutsche Bundesfinanzminister Theo Waigel hält in einer Filiale der Deutschen Bank am Alexanderplatz in der Nacht der Währungsunion neben einer Bankangestellten einen 100-DM-Schein in die Höhe.
© Foto: Peer Grimm/picture-alliance/ZB

Auch der Tagesspiegel hatte in dieser Nacht einen Reporter entsandt, der am Alex eine erste Schlange allerdings vor der dortigen Sparkasse entdeckte, deren Kassenraum freilich dunkel blieb. Erst eine Durchsage der Volkspolizei klärte die vergeblich Wartenden auf, die wie auf Kommando kehrtmachten, während es hier und dort kleine DDR-Münzen regnete, Ausdruck finaler Verachtung gegenüber den nun wertlosen Alu-Chips und übergroßer Euphorie über die endlich verfügbare harte Währung.

In das Geklimper der Münzen mischte sich das Geschepper zerplatzender Bierflaschen, während im Neptunbrunnen – die Nacht war heiß – eine Gruppe junger Männer splitternackt ein Bad nahm. Ein sehr gemischtes Bild also.

In Clärchens Ballhaus hatten viele ihr letztes altes Bargeld „buchstäblich liquidiert“

Nicht nur am Alex, sondern etwa auch in Clärchens Ballhaus, wo die Nacht um 20 Uhr mit gemütlicher Tanzmusik begonnen hatte und bis 3 Uhr in der Frühe dauerte, hatten viele ihr letztes altes Bargeld „buchstäblich liquidiert, nämlich in Flüssigkeit und Fröhlichkeit umgesetzt“, wie hinterher Günter Matthes im Tagesspiegel bilanzierte. „Indes war der Jubel gedämpft. In die Euphorie des ,endlich‘ mischt sich die Erwartungsangst des ,na hoffentlich‘.“

Diese untergründige, vom Jubel nicht ganz zu übertünchende Sorge war es wohl auch, die den West-Berliner Einzelhandel am Montag nach dem Zahltag erst mal vergeblich auf den prognostizierten Kaufrausch warten ließ.

„Sehr markenbewusst und in mittleren Preislagen“, beschrieb man bei Karstadt am Hermannplatz das Kaufverhalten der neuen Kunden, das KaDeWe verzeichnete erst am Nachmittag „reges Treiben im Haus“, meldete besonders Interesse an Fernsehern, Stereoanlagen und bei Jugendlichen speziell an Schallplatten.

Auch bei Quelle in der Wilmersdorfer Straße und bei Foto Wegert in der Potsdamer Straße waren vor allem Fernseher, Videorecorder und Computer gefragt, gelegentlich durchaus schon in der gehobenen Preisklasse.

Technische Geräte waren der Hit

Erst am Wochenende darauf klingelte es in den Kassen wie erhofft, begünstigt durch einen „langen Sonnabend“, was damals bedeutete: geöffnet bis 16 Uhr.

„Volle Einkaufsstraßen, sehr stark besuchte Kaufhäuser sowie teilweise überfüllte U-Bahnen und Busse“ meldete der Tagesspiegel – ein Käuferansturm nicht nur in der City, sondern ebenso in den Nebenzentren wie der Karl-Marx-Straße, wo der Verkehr in den Mittagsstunden zusammenbrach.

Technische Geräte waren erneut der Hit, und wieder fiel auf, wie umsichtig und preisbewusst die neue DM-Kundschaft ihre Käufe tätigte.

Aber schon gab es auch lange Gesichter, hüben wie drüben. Bei den West-Berlinern, wenn sie den Zugang zu den vertrauten Geschäften von langen Schlangen aus dem Osten blockiert und die Regale besonders bei Lebensmitteln leer gekauft vorfanden. Gerade die preiswerten Discounter am West-Berliner Stadtrand wurden von Ost-Berlinern und Brandenburgern angesteuert.

Eine halbe Woche nach dem Tag der Tage schätzte eine Penny-Verkäuferin vom Brunsbütteler Damm in Spandau deren Anteil sogar auf 99 Prozent, während bei Penny in der Weddinger Prinzenallee am späten Nachmittag noch eine 50 Meter lange Schlange von Ost-Kunden wartete.

Gekauft werde „quer durch die Bank“, hieß es, vom Brot bis zu, ja, auch Toilettenpapier.

Lange Gesichter hüben wie drüben

Lange Gesichter aber ebenso bei den Ost-Berlinern, weil die Preise für gewohnte Produkte plötzlich steil angezogen hatten, wenn sie nicht schon aus den Läden verschwunden und durch Westwaren ersetzt worden waren.

Eine Packung Kräuterquark statt 1,00 Mark nun 1,29 DM, und der vergleichbare West-Quark kostet nur 1,09 DM? Und ein subventioniertes Drei-Pfund-Brot kostete 70 Pfennige, für fünf Scheiben abgepacktes Brot einer West-Berliner Bäckerei werden nun aber 1,89 DM verlangt? Stichprobenartige, doch symptomatische Beobachtungen eines Tagesspiegel-Reporters in der Berliner Allee in Weißensee, die damals noch Klement-Gottwald-Allee hieß.

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Und die West-Loks in einem Laden für Modelleisenbahnen, die dort vor dem 1. Juli als Versprechen auf eine frisch lackierte Zukunft im Schaufenster glänzten, waren zwei Wochen später verschwunden – leider nicht verkauft: Der Hersteller wollte Bargeld sehen, das hatte der Ladeninhaber noch nicht in hinreichender Höhe, da wurden sie wieder abgeholt.

Dem Ehepaar Honecker war der Zugang zur DM versperrt

Die „blühenden Landschaften“ folgten der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion eben keineswegs so automatisch, wie Kohl mit seinen Zukunftsprognosen suggeriert hatte.

Viele DDR-Firmen, gerade erst privatisiert, mit technisch überholter Produktpalette und zu hohen DM-Löhnen, konnten der West-Konkurrenz nicht standhalten, mussten aufgeben, ihre Belegschaft in die Arbeitslosigkeit entlassen.

Nachträglich gesehen war der 1. Juli 1990 eben auch ein Tag der oft unerfüllten, ja enttäuschten Hoffnungen, dessen durch die harte DM ausgelöste Euphorie nicht lange anhielt.

Nicht jeder hat sie geteilt, so auch kaum der ehemalige erste Mann im Staate und seine Frau, die davon, bei ohnehin deprimierender persönlicher Lage, schon materiell ausgeschlossen blieben: Aufgrund der Ermittlungen wegen Korruption und Amtsmissbrauch hatte die Generalstaatsanwaltschaft der DDR dem in einem sowjetischen Militärhospital bei Beelitz lebenden Ehepaar Honecker die Personalausweise entzogen. Der Zugang zur DM war damit versperrt.

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