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Auch Uniformierte trinken Coca Cola.
© Coca Cola (promo)

30 Jahre Mauerfall: Die friedliche Revolution wurde Ihnen präsentiert von Coca Cola

Firmen aus West-Berlin beschenkten nach dem Mauerfall die Ost-Besucher mit Waren und Dienstleistungen. Die Unternehmen ließen sich das Millionen kosten.

Es war an einem der ersten Tage nach dem Mauerfall, da bot sich den Anwohnern von Alt-Moabit, Ecke Thomasiusstraße, vor ihren Fenstern ein kurioser Anblick. Beidseitig der Straße zog eine lückenlose Menschenschnur ihrem jeweiligen Ziel entgegen, beachtete dabei sogar die Regeln des Rechtsverkehrs: Auf der nördlichen Straßenseite die Ost-Berliner, die gerade vom Übergang Invalidenstraße kamen, auf der südlichen die, die dorthin zurückwollten.

Zwei schnurgerade Ketten von West-Berlin-Besuchern also, Ameisenstraßen nicht unähnlich, ein schönes Sinnbild von Ordnung und Disziplin, nur an der Thomasiusstraße gab es eine Ausbuchtung: In der Seitenstraße hatte ein türkischer Obst- und Gemüsehändler sich von der Wendeeuphorie mitreißen lassen und verschenkte Bananen, für jeden Grenzgänger eine.

Das musste sich herumgesprochen haben: Keiner, der zur Invalidenstraße wollte, ließ den Schlenker aus.

Eine für das West-Berliner Wirtschaftsleben der frühesten Nachwendezeit charakteristische Szene: eine erste Reaktion auf die neue Kundschaft, die urplötzlich aufgetaucht war, jähe Geberlaune in einer Anwandlung von Empathie, Hilfsbereitschaft, Kalkül und Geschäftssinn, wobei mal dies, mal jenes überwogen haben dürfte. Die Geschäftsleute hätten vielleicht selbst nicht immer sagen können, wie sich diese Ingredienzien bei ihnen genau verteilten.

Nicht jeder ist ja so ein knallharter Bursche wie Mr. MacNamara, der von James Cagney großartig verkörperte Direktor der West-Berliner Coca-Cola-Zentrale in Billy Wilders „Eins, Zwei, Drei“, der kurz vor dem Mauerbau sogar versucht, die Sowjetunion mit seiner Brause zu überschwemmen: „Alles unerschlossenes Gebiet, 300 Millionen durstige Genossen, Wolgaschiffer und Kosaken, Ukrainer und wilde Mongolen lechzen nach der Pause, die erfrischt.“

An der Gedächtniskirche wurde Coca-Cola verteilt

Dagegen waren die knapp 1,3 Millionen Ost-Berliner, ja selbst die gut 16 Millionen DDR-Bürger ein vergleichsweise überschaubares Käuferpotenzial, aber doch allemal wert, heftig umworben zu werden.

Zum Beispiel mit Coca-Cola-Dosen: Schon am Abend des 10. November 1989 ließ Paul-Gerhard Ritter, Geschäftsführer der Coca-Cola-Niederlassung in Lichterfelde, also gewissermaßen MacNamaras Nachfolger, mehrere Firmenlastwagen zum Kurfürstendamm, zum Europacenter und zur Gedächtniskirche fahren, von deren Ladefläche dosenweise der braune Softdrink verteilt wurde. Tags darauf fuhr er selbst zur Mauer, warf Dosen hinüber, und die Firmenlegende weiß sogar von einem DDR-Grenzer, der um solch eine Liebesgabe bat und prompt eine ganze Kiste bekam.

In der zweiten Coca-Cola-Niederlassung in der Charlottenburger Franklinstraße – hierin war sogar West-Berlin zweigeteilt, die eine Filiale für den amerikanischen, die andere für den britischen und den französischen Sektor zuständig – wollte man nicht zurückstehen, ließ über den Sender 100,6 verkünden, dass es dort Gratis-Cola gebe.

Schultheiss schenkte Freibier aus, Kaisers Kaffeegeschäft verteilte Kaffee und Schokolade

Doch die Trabbis und Wartburgs fuhren achtlos vorüber, sei es, weil ihre Fahrer das falsche Programm hörten oder gar kein Autoradio besaßen. Aber Gabriele Labrenz, damals 23 Jahre alt und als Fahrerin die einzige Frau im Außendienst, hatte eine Idee, schnappte sich einen Werbeaufsteller, schrieb mit Kreide „DDR-Besucher Einfahrt“ darauf und stellte sich so ausgerüstet an die Straße: Es hat prima funktioniert.

„Eine hemdsärmelige und halsbrecherische Aktion, pure Emotion“, wie sie sich heute, noch immer bei Coca Cola, erinnert. Und „die nächste Gänsehautgeschichte“ folgte ein paar Tage später, anlässlich der sechsmillionsten in Charlottenburg produzierten Kiste: Da durfte sie Dosen an die Vopos am Brandenburger Tor verteilen.

Gratisaktionen waren Anfangs keine Seltenheit in West-Berlin

Solche Gratisaktionen waren anfangs nicht selten in West-Berlin. Kaisers Kaffeegeschäft verteilte am 11. November an den Grenzübergängen an DDR-Bürger Kaffee und Schokolade im Wert von einer Million DM, Schultheiss schenkte Freibier aus, das Britzer Freizeitbad Blub senkte für Gäste aus dem Osten die Preise, und einige Veranstalter, so bei einem vorweihnachtlichen Barockkonzert im Kammermusiksaal mit Harald Juhnke als Sprecher, boten DDR-Bürgern freien Eintritt.

Coca-Cola? Pepsi! James Cagney hat in „Eins, Zwei, Drei“ Probleme mit der Marke.
Coca-Cola? Pepsi! James Cagney hat in „Eins, Zwei, Drei“ Probleme mit der Marke.
© United Artists/Getty Images

Und es dauerte nicht mehr lange, bis die Insignien der freien Marktwirtschaft auch im Ostteil der Stadt auftauchten. Nicht immer sollten sie die nächsten 30 Jahre überleben. Kaisers’ lachende Kaffeekanne beispielsweise, die sich irgendwann als eine Art Riesenluftballon auf dem Alexanderplatz breitmachte, ist längst Geschichte.

Ein gewaltiges neues Käuferinteresse – aber keine vergleichbare Kaufkraft

Aber an die Möglichkeit des eigenen Untergangs dachte im ersten Freudentaumel kaum jemand. Die zu bewältigenden Probleme waren praktischer, nämlich pekuniärer Art. Ein gewaltiges neues Käuferinteresse war plötzlich da, dem allerdings keine vergleichbare Kaufkraft zur Seite stand.

Zwar konnte an den Wechselstuben getauscht werden, aber der Kurs schwankte je nach Tageszeit und entsprechendem Andrang, konnte zwischen acht und elf Ost- gegen eine West-Mark fluktuieren – da ging manchem Besucher bald die Luft aus.

Immerhin gab es das Begrüßungsgeld

Grenzverkehr. Die BVG richtete schnell neue Buslinien ein. DDR-Bürger fuhren gratis.
Grenzverkehr. Die BVG richtete schnell neue Buslinien ein. DDR-Bürger fuhren gratis.
© BVG

Immerhin gab es das Begrüßungsgeld, 100 DM pro Besucher, aber auch dessen Auszahlung wollte erst mal organisiert werden. Waren die Besucher gerade noch gewissermaßen tröpfchenweise an den Schaltern erschienen, stürmten sie nun plötzlich zu Tausenden heran. Die Berliner Sparkasse zahlte allein bis zum 29. Dezember das Begrüßungsgeld 1,2 Millionen Mal aus.

Die Auszahlung begann bereits am 10. November, pünktlich um 9 Uhr. Die Sparkasse hatte auf dem Breitscheidplatz sogar einen mobilen Schalter eröffnet, dehnte rasch die Öffnungszeiten aus, um des Andrangs Herr zu werden. Vorausgegangen waren hektische Telefonate zwischen Bank und Senat, improvisierte Anweisungen, wie die 100 DM zu quittieren seien, um mehrfachem Kassieren des Begrüßungsgeldes zu begegnen.

Andere Banken schlossen sich bald an, boten wie die Berliner Bank unbürokratische Hilfe an und hielten das Versprechen auch. Und dennoch stauten sich besonders an den grenznahen Filialen die auf Bares Wartenden zu beachtlichen Ansammlungen, ließen vorübergehend den hierzulande unbekannten Job des „Schlangenbeschwörers“ entstehen: So hießen die Bankmitarbeiter, die den geduldig Wartenden Ratschläge gaben, in welcher Filiale der Andrang geringer sei.

In den Banken entstand vorübergehend der Job des „Schlangenbeschwörers“

Dennoch blieb die Kaufkraft anfangs arg begrenzt, was man selbst in der am anderen Ende der Welt erscheinenden „Bangkok Post“ registrierte. So wurde in einem Bericht über die ersten Tage nach dem Mauerfall auch eine Mitarbeiterin der Kosmetikabteilung des KaDeWe zitiert, die vom großen Interesse der DDR-Frauen an Gratis-Warenproben berichtete. Die verteile man auch bereitwillig, denn wenngleich das Geld der Besucherinnen für eine ganze Flasche Parfüm meist noch nicht ausreiche: Irgendwann würden sie es sich leisten können.

[Was haben die Berliner mit ihrem Begrüßungsgeld gemacht? Zehn Ost-Berliner erzählen.]

Aber verkaufen wollte man im West-Berliner Einzelhandel selbstverständlich auch, behalf sich mit Sonderaktionen, speziellen Präsentationen besonders preiswerter Ware, ließ auch Bezahlung in Ost-Mark zu. „Wir tauschen Ost gegen West“ warb etwa Bilka an der Joachimsthaler Straße mit großem Plakat um Ostkunden. Das Kaufhaus gibt es auch nicht mehr, heute sitzt dort Karstadt Sport.

Der Einzelhandel behalf sich mit Sonderaktionen

In den Adler-Bekleidungsmärkten im Ku’damm-Karree und am Kurt-Schumacher-Platz konnten DDR-Bürger 30 Prozent des Kaufpreises sogar 1:1 in Ost-Mark bezahlen.

Trotz solcher Werbeaktionen hatten besonders preiswerte Waren Hochkonjunktur, bei Foto-Radio-Wegert in der Potsdamer Straße – auch vom Markt verschwunden – etwa günstige Kassettenspieler und Radios sowie Zubehör.

Ja, vorübergehend meldete der Handel sogar Umsatzrückgänge, weil die vom Andrang verschreckten West-Berliner wegblieben und die Ost-Deutschen noch nicht in der Lage waren, diese Einbußen auszugleichen.

Bis Jahresende war die BVG für DDR-Bürger gratis

Zum Glück mussten sie ihr knappes Geld, einmal im Westen angekommen, nicht noch in Fahrscheine investieren: Bis Jahresende war die BVG für DDR-Bürger gratis.

Die Bemühungen, den Besuchern aus dem Osten den Weg durch den Westen zu ebnen, die Menschenströme zu kanalisieren und in geordnete Bahnen zu lenken, hatten schon in der Nacht des Mauerfalls begonnen. Der Regierende Bürgermeister Walter Momper (SPD) hatte die Chefs von Bus und U-Bahn zu sich gebeten, um erste Maßnahmen zu vereinbaren.

„Dagegen war die Quadratur des Kreises ein Kinderspiel“, erinnerte sich später der damalige Bus-Chef Wolfgang Jähnichen. Einer seiner Fahrer, Michael Raphaelian, der heute als stellvertretender Betriebshofleiter in der Wilmersdorfer Cicerostraße arbeitet, erinnert sich noch gut an die Nacht des Mauerfalls, als er plötzlich über Funk die Anweisung erhielt, nicht mehr nur wie gewohnt nach Drewitz zu fahren, um dort Ost-Rentner nach West-Besuchen hinzubringen oder abzuholen, sondern weiter bis hinein nach Potsdam, zum Bassinplatz.

„Wissen Sie überhaupt, wie Sie dahinkommen?“, wurde er noch gefragt, zum Glück wusste er es. Leer fuhr er hin, voll besetzt kam er zurück. Eine ganz besondere, euphorische Stimmung habe an den ersten drei, vier Tagen geherrscht, Fahrer hätten sich spontan bereit erklärt, nach Dienstschluss zwei weitere Stunden zu fahren – eine Welle der Hilfsbereitschaft, die auch in offiziellen Berichten nachklingt: „Etwa 100 BVG-Busfahrer meldeten sich in dieser Nacht freiwillig zum Dienst“, berichteten die „Berliner Verkehrsblätter“.

Der Tagesspiegel entsandte umgehend zwei ständige Korrespondenten

Selbst Busse aus Westdeutschland kamen zum Einsatz, von den dortigen Verkehrsbetrieben ausgeliehen, und auf dem Kurfürstendamm verkehrten eine Zeit lang sogar dunkelblaue US-Schulbusse im Linienverkehr. Besonders der Verkehr mit dem Umland wurde mittels Bussen organisiert, in der Innenstadt gab es immerhin S- und U-Bahn.

Die Stationen der Nord-Süd-Linien waren allerdings bis auf die Friedrichstraße Geisterbahnhöfe, das blieb noch einige Zeit so. Die U-Bahnstation Jannowitzbrücke immerhin wurde schon am 11. November für die U8 geöffnet: BVG (West) und BVB (Ost) hatten perfekt zusammengearbeitet, und am 14. November endeten auch die Durchsagen „Letzter Bahnhof in Berlin (West)“ an den vier Grenzstationen von U6 und U8.

Und der Tagesspiegel? Entsandte umgehend zwei ständige Korrespondenten nach Ost-Berlin und eröffnete Mitte Dezember ein Büro in der Schadowstraße 6. Den Mauerfall hatte die Zeitung am 10. November mit einem vierseitigen Extrablatt gefeiert, stand dann vor dem Problem, dass die Lastwagen mit den Zeitungsbündeln kaum vom Hof in der Potsdamer Straße runter- und dann schon gar nicht weiterkamen.

Ein Redakteur packte sich kurz entschlossen zwei Packen hinten aufs Rad, fuhr zum S-Bahnhof Bellevue, stieg ein und pries lautstark die Sonderausgabe an. Die Reaktion blieb erst verhalten, bis ein Fahrgast vorsichtig nachfragte, was es denn koste. „Nichts.“ Ruckzuck, waren die Bündel verteilt.

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