Gastbeitrag von Sandra Scheeres: Wie Berlin Mobbing bekämpfen will
Berlins Bildungssenatorin Scheeres holt einen Anti-Mobbing-Beauftragten und einen Schüler als Ansprechpartner in ihre Behörde. Ihre Idee erklärt sie hier.
Immer wieder bewegt das Thema Mobbing Berlin und Deutschland. Viele von Mobbing Betroffene haben sich in den letzten Wochen zu Wort gemeldet, viele Eltern haben ihre Sorgen und Forderungen formuliert. Ich begrüße diese Debatte ausdrücklich! Mobbing ist ein Problem, das oft unterschätzt und zum Teil damit abgetan wird, dass ‚Kinder das eben so machen‘.
Aber Mobbing ist keine Bagatelle, sondern eine Gefahr für Leib und Seele. Drei Punkte sind mir in diesem Zusammenhang besonders wichtig: Mobbing ist ein gesellschaftliches Problem. Das Schulsystem braucht weitere Verbesserungen. Und vor allem: Den Kampf gegen Mobbing gewinnen wir nur gemeinsam.
Mobbing ist heute in den Schulen, bei der Arbeit, im gesamten gesellschaftlichen Miteinander präsent. Begünstigt wird dies auch durch eine beständige Verschärfung der öffentlichen Tonlage und einen bedenklichen Rückgang von Empathie und Mitgefühl. Wo „Opfer“ ein Schimpfwort ist, da stimmt etwas nicht in unserem Zusammenleben.
Schule als Spiegel der „Erwachsenen-Welt“
Schulen spiegeln immer auch unsere „Erwachsenen-Welt“. Wenn die schlimmste Kränkung die meisten „likes“ verspricht und das lauteste Geschrei die größte Schlagzeile, dann belohnen wir Verhaltensweisen, die das Mobbingproblem auch an den Schulen verschärfen. Und leider gibt es auch bei manchen Eltern ein Konfliktverhalten, das nicht zum Vorbild taugt. Wenn sich Eltern auf Schulfluren untereinander oder mit Lehrkräften streiten und dabei laut werden, dann können wir von Kindern keinen respektvollen Umgang erwarten.
Nun sind Streitereien und Konflikte noch nicht Mobbing. Mobbing geschieht fortgesetzt, ist absichtsvoll verletzend und ausgrenzend. Für Eltern und Lehrkräfte sind diese Verhaltensweisen nicht immer gleich erkennbar. Das gilt erst recht für Cybermobbing, durch das immer mehr Angriffe jenseits der Schultore und zu jeder Tageszeit stattfinden. Mir ist deshalb sehr wichtig: Die Betroffenen entscheiden, wann Grenzen überschritten sind. Wann immer sich ein Kind gemobbt fühlt, besteht Handlungsbedarf.
Für die Berliner Schulen haben wir in den letzten Jahren zahlreiche Instrumente entwickelt, um Mobbing vorzubeugen und notfalls schnelle Hilfe zu mobilisieren. Leider bleiben dennoch zu viele Mobbingfälle unbemerkt, werden die Nöte von Betroffenen noch zu oft übersehen oder unterschätzt. Das betrifft zuerst das Schulpersonal, aber auch die Eltern. Laut PISA-Studie sprechen deutschlandweit nur 40 Prozent aller Eltern von Mobbing-Opfern mit den Lehrkräften. Hier muss auch etwas geschehen.
Wenn Kinder die Schule schwänzen, Noten absacken oder soziale Kontakte abnehmen, muss schneller und gezielter reagiert werden. Wir werden deshalb bestehende Maßnahmen verstärken und neue Instrumente entwickeln, um die Sensibilität der gesamten Schulgemeinschaft für Mobbing zu erhöhen. Dazu gehören verpflichtende Fortbildungen für Schulleitungen. Wir überarbeiten bereits das Meldeverfahren für Gewalt- und Mobbingvorfälle, und wir werden unsere Anti-Mobbing-Kurse für Eltern wie für das pädagogische Personal weiter ausbauen.
Schüler als Ansprechpartner in der Bildungsverwaltung
Außerdem gilt: Wenn Angebote nicht oder nur von wenigen genutzt werden, dann müssen wir diese leichter zugänglich machen. Der direkte Draht von Schülern zu Schülern kann hier Hemmschwellen senken, deshalb will ich gemeinsam mit dem Landesschülerausschuss einen Schüler als Ansprechpartner in meiner Behörde einsetzen. Im neuen Programm „Pro Respekt“, das sich an Schüler, Eltern und Lehrkräfte richtet, unterstützen zusätzliche Sozialarbeiter Schulen mit besonderen Gewalt- oder Mobbing-Problemen. Zudem schaffe ich eine neue Anti-Mobbing-Stelle als zusätzliche Koordinierungs- und Kontaktmöglichkeit in meiner Senatsverwaltung.
Ein nicht zu unterschätzendes Problem besteht, wenn Mobbing von Lehrkräften ausgeht. So selten dies vorkommen mag, so groß ist der Schaden, wenn Lehrerinnen oder Lehrer mit ihrem Verhalten pädagogische und persönliche Grenzen überschreiten. Ihre negative Vorbildwirkung vergrößert das Problem zusätzlich. Ich wünsche mir an dieser Stelle aufmerksame Kollegien und ein konsequentes Durchgreifen bei Schulleitungen und -aufsichten.
Für mich steht fest: Mobbing bekämpfen wir nur erfolgreich, wenn wir dabei selber ein gutes Vorbild abgeben. Hasserfüllte Sprache und die Abwertung anderer Meinungen sind kontraproduktiv. Wir müssen Gemeinsamkeiten schaffen, Gräben schließen, Verständnis füreinander entwickeln.
"Jede Reaktion muss auch pädagogisch fundiert erfolgen"
An Schulen gilt auch: mobbende Kinder sind immer noch Kinder. Ihr Fehlverhalten erfordert eine prompte und deutliche Intervention, im schlimmsten Fall auch durch Schulverweis. Aber jede Reaktion muss auch pädagogisch fundiert erfolgen. So wie Mobbing insgesamt mit kühlem Kopf und auf wissenschaftlicher Grundlage bekämpft werden muss, um über kurzfristige Knalleffekte hinaus anhaltende Wirkung zu erzielen. Mit Professor Dr. Scheithauer von der FU Berlin unterstützt uns ein anerkannter Experte für Gewaltprävention. Seine Expertise wird mit Sicherheit für die ganze Stadt von Nutzen sein.
Schulen ohne Streit und Stress gibt es nicht. Aber wenn es um Mobbing geht, habe ich ein klares Ziel: mobbingfreie Schulen für ganz Berlin. Dafür braucht es nicht nur ein konsequent agierendes Bildungssystem, sondern die ganze Stadtgesellschaft. Ich bin mir sicher: mobbingfreie Schulen sind möglich, wenn wir jeder Form von Mobbing an jedem Ort mit Klarheit und Konsequenz entgegentreten. Das muss unser gemeinsames Ziel werden. Wir, die Erwachsenen, sind es den Schülerinnen und Schülern schuldig.
Sandra Scheeres (SPD) ist Senatorin für Bildung, Jugend und Familie.
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Sandra Scheeres