Experte für Gewaltprävention: "An bürgerlichen Schulen läuft Mobbing oft unterschwellig ab"
Friedrich Kampmann bildet Lehrer fort, unter anderem zum Umgang mit Mobbing. Er spricht über Nöte, Alarmzeichen und die Frage, ob Ausgrenzung überall ist.
Seit über 30 Jahren ist Friedrich Kampmann Lehrer. Er arbeitete an einer Realschule in Tiergarten, dann an der Moses-Mendelssohn-Schule, der damals ersten Gemeinschaftsschule in Mitte. Dort baute er ein System aus Streitschlichter und Konflikthelfern auf, das Schüler selbst in die Pflicht nimmt, wenn sie Mobbing miterleben.
Seit einigen Jahren bietet Friedrich Kampmann auch Fortbildungen für Lehrer an, übt mit ihnen den Umgang mit auffälligen Schülern und schult sie darin, in Streitsituationen einzugreifen. In Pankow bemüht er sich seit 2013 als Koordinator für schulische Prävention darum, körperliche und seelische Gewalt an Schulen vorzubeugen.
Herr Kampmann, Sie haben lange an Brennpunktschulen gearbeitet. Tritt Mobbing dort vermehrt auf?
Nein, Ausgrenzung gibt es in jeder Schulform. Meine Erfahrung ist sogar, dass Mobbing an Brennpunktschulen direkter abläuft, etwa, wenn aggressive Schüler offen andere beschimpfen. An Schulen in bürgerlichen Gegenden passiert es tendenziell unterschwelliger und bleibt länger im Hintergrund. Das macht es für Lehrer schwerer, Schikanen zu erkennen und einzugreifen.
Welche Klagen hören Sie in den Fortbildungen am häufigsten von Lehrern?
Eben das! Viele Pädagogen haben Sorge, erst auf dem Elternabend zu erfahren, dass Kinder gemobbt werden. Denn natürlich bekommen sie nicht immer mit, mit welchen Worten ein Schüler einen anderen auf dem Weg zur Turnhalle belegt - geschweige denn, was Schüler im Internet oder in Chats über ihre Klassenkameraden schreiben.
Andere Lehrer haben Hemmungen, sich zu positionieren und den Widerstand von aggressiven Schülern auszuhalten - vor allem, wenn sie das Gefühl haben, sie stehen allein da. Der Rückhalt von Kollegen und Schulleitung ist wichtig. Schüler, die etwa Lehrer beschimpfen, müssen vermittelt bekommen, dass sie sich mit dem System anlegen.
Fehlt Lehrern im stressigen Schulalltag manchmal auch die Zeit, genau hinzustehen?
Niemand sieht mit Absicht weg, aber natürlich haben Lehrer sowohl einen Bildungs-, als auch einen Erziehungsauftrag. Sie müssen sich um das soziale Gefüge in der Klasse kümmern, aber gleichzeitig den Stoff aus dem Lehrplan durchkriegen. Da hilft es, wenn sie Unterstützung von Sozialarbeitern oder externen Beratern haben.
An wen wenden sich Schüler am ehesten, wenn sie Mobbing ausgesetzt sind?
Das ist sehr individuell. Aber es gibt Studien, die belegen, dass Lehrer in der Rangfolge derer, die von schikanierten Kinder angesprochen werden, eher hinten logieren. Das muss sich ändern.
Wie könnte das gehen?
Dafür braucht es Prävention. Schon in den unteren Klassen müssen Schüler lernen, dass gegenüber Mobbing null Toleranz herrscht und dass die Schulgemeinschaft bei Schikanen geschlossen hinter dem Opfer steht. Auch ist es wichtig, dass es sichtbare Ansprechpartner auf Seiten von Lehrern und Schülern gibt.
Ich mache mit Kindern Übungen und Spiele, in denen sie lernen können, dass es sich gut anfühlt, wenn man miteinander gut umgeht und sich nicht mit Worten verletzt. Wenn sie erfahren, dass Respekt und Wertschätzung immer gegenseitig sind, dass es gut ist, mit anderen so umzugehen, wie man selbst behandelt werden will - dann passiert Mobbing nicht mehr so schnell und es gibt eine klare Richtschnur, was richtig und was falsch ist.
Haben Sie mittlerweile feine Sensoren für die Alarmzeichen von Mobbing in einer Klasse?
Vielleicht. Respekt ist wichtig. Ich merke schnell, ob Schüler sich achten. Das spürt man etwa daran, wie sie auf abfällige Bemerkungen von Klassenkameraden reagieren, ob etwa alle anfangen zu lachen. Auch ist es kein gutes Zeichen, wenn ich Fragen zu Mobbingerfahrungen stelle und die Klasse schweigt, weil jeder, der sich äußert, damit rechnen muss, einen Witz reingedrückt zu bekommen.
Was machen Sie in solchen Situationen?
Ich frage die Jugendlichen, was sie glauben, dass dieser Witz bei anderen auslöst. Typisch für aggressive Schüler ist, dass sie die Verantwortung für das, was auf der Gegenseite passiert, von sich weisen. Ich missbillige ihr Verhalten, aber packe sie auch bei ihren Stärken. Besonders bei intelligenten Kindern, die andere an ihren Schwächen aufziehen, klappt es gut, ihnen zu sagen: Du siehst die Schwäche, kannst du dir vorstellen, das zu nutzen, um deinen Mitschüler zu unterstützen?
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