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Rekord. Ernst Ludwig Kirchners "Berliner Straßenszene" wurde im Jahr 2006 bei Christie's in New York für 30 Millionen Euro versteigert.
© dpa

Hauptstadt der Restitution: Wie Berlin loslassen lernte

Kirchners „Straßenszene“, Caspar David Friedrichs „Watzmann“ – Berlin ist nicht nur die Hauptstadt der Provenienzforschung, sondern auch der Restitutionen. Eine Übersicht.

Seit 1999 hat allein die Stiftung Preußischer Kulturbesitz 350 Kunstwerke und 1000 Bücher zurückgegeben. Be

im Land Berlin waren es zwischen 2012 und 2014 unter anderem zwei Gemälde und 109 Bücher, wie aus dem jüngsten Bericht des Senats hervorgeht. Insgesamt haben deutsche Museen und Einrichtungen mehr als 14.300 Objekte als NS-Raubkunst restituiert.

Die Rückgabe der „Berliner Straßenszene“ (1913) von Ernst Ludwig Kirchner aus dem Bestand des Brücke-Museums wirkte 2006 wie ein Weckruf. Damit war das Thema Restitution endgültig im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Zu jener Zeit schlugen die Wellen der Empörung noch hoch, zumal die Erbin des jüdischen Kunstsammlers Alfred Hess das Werk kurz nach seiner Rückgabe zu Christie’s in die Auktion einlieferte. Vom Förderverein des Museums wurde in Zweifel gezogen, ob der Verkauf des Gemäldes im „Dritten Reich“ tatsächlich unter Druck geschah. Er ließ das Bild nur unter Protest gehen. Inzwischen sind die Bestände des Brücke-Museums komplett durchforstet, ein weiteres Werk, das restituiert werden müsste, hat sich nicht gefunden.

Der Fall Kirchner führte in Berlin dazu, dass die Landesmuseen die Sichtung ihrer Sammlungen beschleunigten, vor allem wurde mehr Geld dafür im Haushalt bereitgestellt. Berlinische Galerie, Stadtmuseum, Zentral- und Landesbibliothek arbeiten weiter daran. Allein die Stadtbibliothek hat 200.000 Bücher im Altbestand zu überprüfen, das Märkische Museum muss 10.000 Objekte untersuchen. Häufig fehlen entscheidende Unterlagen – beim Märkischen Museum sind die Inventarbücher für die Jahre 1943 bis 1945 verschollen.

Gipfelstück. Caspar David Friedrichs "Watzmann" blieb trotz Rückgabe am Ort.
Gipfelstück. Caspar David Friedrichs "Watzmann" blieb trotz Rückgabe am Ort.
© SMB / A. Kilger / DekaBank

Heute hängt Kirchners „Straßenszene“ in New York, im „Neuen Museum“ von Ronald S. Lauder, der es für einen Rekordpreis von 30 Millionen Euro ersteigerte. Der Sprecher des World Jewish Congress ist eine wichtige internationale Stimme in Sachen Restitution und ein scharfer Kritiker der Bundesregierung im Fall Gurlitt.

Als die Taskforce „Schwabinger Kunstfund“ Mitte Januar 2016 ihren Arbeitsbericht an Kulturstaatsministerin Monika Grütters übergab, zeigte sich Lauder enttäuscht über das magere Ergebnis der Provenienzforscher.

Von den 500 Werken, die zunächst als „verfolgungsbedingt entzogen“ verdächtigt wurden, erwiesen sich allein fünf tatsächlich als Raubkunst; nur zwei wurden bislang restituiert. Sowohl der Fall Kirchner als auch der Fall

Gurlitt werfen Schlaglichter auf das mühsame Geschäft der Provenienzforscher, die manchmal jahrelang brauchen, alle Spuren eines Bildes aufzudecken. Durch Flucht, Krieg, Verfolgung sind Besitzerwechsel und deren Umstände nicht immer lückenlos zu rekonstruieren. Erst durch den Mauerfall und die Fusion der einst in Ost- und West-Berlin geteilten Museumsarchive ließen sich vielfach Zusammenhänge erschließen.

Zwei Wiedehopfe. Der jüdischen Familie Arnhold wurden 1940 zahlreiche Kunstwerke entzogen. 2008 erhielten die Erben unter anderem diese Porzellanfiguren zurück.
Zwei Wiedehopfe. Der jüdischen Familie Arnhold wurden 1940 zahlreiche Kunstwerke entzogen. 2008 erhielten die Erben unter anderem diese Porzellanfiguren zurück.
© bpk / Saturia Linke

So stellte sich auch für Caspar David Friedrichs Gemälde „Der Watzmann“ (1824/25) erst im Jahr 2004 heraus, dass der Berliner Kunstsammler Martin Brunn dieses Hauptwerk des Romantikers 1937 nur an die Nationalgalerie verkauft hatte, um seiner Familie die Flucht in die Vereinigten Staaten zu finanzieren. Hitler bewilligte damals sogar 10.000 Mark, den Erlös behielt dann allerdings der Staat gleich wieder ein, als sogenannte „Judenvermögensabgabe“. Der Fall lag für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz damit klar, sie restitutierte das Bild – und durfte es dennoch behalten. Denn die Deka-Bank kaufte als Sponsor das Werk von den Erben und überließ es im nächsten Schritt der Alten Nationalgalerie als Dauerleihgabe. Das Gemälde blieb, von allen Verhandlungen unberührt, unverändert an seinem Platz hängen.

War beim „Watzmann“ das Museum selbst in seinen Archiven fündig geworden und auf die Erben zugegangen, so wurden bei den drei Meißner Porzellanfiguren aus der Sammlung Arnhold die Nachfahren ihrerseits aktiv. Siebzehn Objekte musste die Familie des Bankiers Adolf Arnhold 1940 dem Berliner Schlossmuseum überlassen, damit sie ihren restlichen Kunstbesitz bei der Ausreise mitnehmen durfte. Bis auf vier Silberleuchter, die 1949 wieder aufgetaucht waren, galt das Dagebliebene später als „Kriegsverlust“. Auf Anfrage der Erben forschte das Kunstgewerbemuseum genauer nach und identifizierte 2008 die drei Meißner Porzellanfiguren, zwei Wiedehopfe und einen Eichelhäher mit Eichhörnchen und Hirschkäfer, als Teil der Sammlung. Sie gingen an die Familie zurück.

Kuppelreliquiar. Teil des Welfenschatzes im Kunstgewerbemuseum.
Kuppelreliquiar. Teil des Welfenschatzes im Kunstgewerbemuseum.
© SMB / F. Fröhlich

Noch immer ungeklärt ist die Lage beim 42 Objekte umfassenden Welfenschatz, der als einer der bedeutendsten deutschen Kirchenschätze des Mittelalters gilt und das Highlight des Kunstgewerbemuseums am Kulturforum darstellt. Ein Frankfurter Konsortium jüdischer Händler hatte das Ensemble 1935 über eine deutsche Bank an den preußischen Staat verkauft. Der Schatz selbst befand sich zu dem Zeitpunkt außerhalb Deutschlands, um anderen internationalen Interessenten vorgeführt zu werden. Über die Umstände des Verkaufs gibt es heute Uneinigkeit: War der Preis angemessen? Stand das Geld den Händlern später auch zur Verfügung? Die streitenden Parteien wandten sich deshalb 2012 an die Limbach-Kommission, eine Schlichtungsstelle, deren Entscheidung jedoch nur empfehlenden Charakter besitzt.

Zu den Bedingungen der Anrufung gehört es trotzdem, dass sich die Kontrahenten dem Urteil beugen. Es sollte anders kommen. Die Vertreter der Händlerseite brachten Anfang 2015 den Fall vor ein amerikanisches Bundesbezirksgericht, den U.S. District Court for the District of Columbia, dessen Zuständigkeit die Preußenstiftung jedoch nicht anerkennt. Der Fall schwelt weiter.

Fundstücke. 17 Bücher und Broschüren Leo Baecks entdeckte die Staatsbibliothek bei sich und konnte sie als Besitz des Rabbiners und Philosophen identifizieren.
Fundstücke. 17 Bücher und Broschüren Leo Baecks entdeckte die Staatsbibliothek bei sich und konnte sie als Besitz des Rabbiners und Philosophen identifizieren.
© null

Zum Image der Stiftung passt dies eigentlich nicht – sie bemüht sich ansonsten stets um größtes Einvernehmen. Seit 1999 hat sie 350 Kunstwerke und mehr als 1000 Bücher restituiert. Darunter befinden sich auch 17 Bücher und Broschüren aus der Schöneberger Privatbibliothek des Rabbiners und Religionsphilosophen Leo Baeck. Für die Rechercheure der Staatsbibliothek war dies ein besonderer Erfolg, denn die Zuordnung von Büchern gestaltet sich ungleich schwieriger als bei Gemälden, die auf ihrer Rückseite Vermerke und Aufkleber der Händler sowie Stempel der Museen tragen. Bei der Aufarbeitung der Bestände waren die Provenienzforscher auch auf das Konvolut an Drucken in jiddischer Sprache und Sonderdrucken von Baecks Aufsatz „Der Ibri“ (1939) gestoßen. Notizen und Besitzvermerke brachten sie schließlich auf die richtige Spur.

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