Grüner Fraktionschef auf der Überholspur: Volker Ratzmann, der kühle Kalkulierer
Der grüne Fraktionschef Volker Ratzmann will das Bündnis mit der SPD offenbar um jeden Preis – auch um den der Glaubwürdigkeit, fürchten Parteifreunde.
Volker Ratzmann wird das nicht vergessen haben. „Es gibt einen klaren Wählerauftrag für Rot-Grün, und die Stadt braucht ein stabiles und handlungsfähiges Regierungsbündnis“, sagte der Fraktionschef der Grünen im Abgeordnetenhaus an die Adresse von Klaus Wowereit. Es kam anders – damals im September 2006. Der Regierende Bürgermeister stoppte kühl die Hoffnungen der Grünen und entschied sich für die pflegeleichtere Linkspartei. Nun stehen erneut alle Signale auf Rot-Grün, wieder führt Ratzmann die Verhandlungskommission – und wieder ist nicht sicher, ob es wirklich zu einer Koalition kommen wird. Zwischen Traum und Trauma liegt manchmal nur ein Geringes.
Auf Augenhöhe zu verhandeln, sich durchzusetzen, das ist dem 51-jährigen Juristen Ratzmann wichtig. Sich bloß nicht wieder in das Koch-und-Kellner-Schema drängen zu lassen, das nicht Altkanzler Gerhard Schröder erfunden hat, sondern weit vor ihm Walter Momper. Dieser schurigelte in der ersten rot-grünen Koalition in Berlin 1989 den kleinen Partner nach Belieben. Ratzmann, seit 1986 bei den Grünen, die damals noch „Alternative Liste“ hieß, hat auch das erlebt.
Auf Augenhöhe sind die Alphatiere der rot-grünen Verhandlungen zumindest äußerlich, mit nahezu gleichem Wuchs und physischer Präsenz. Auch bildlich: Klaus Wowereit, bei den Sondierungen krawattenlos im weißen Hemd, die oberen Knöpfe offen, und Volker Ratzmann, ebenfalls im Anzug mit weißem Hemd, zwei Knöpfe offen. Ein Duell, das zugleich ein Abarbeiten an der Vergangenheit ist. Vor fünf Jahren hat es den Regierenden Bürgermeister fuchsteufelswild gemacht, dass die Grünen schon vor Beginn der Gespräche großspurig und – für die SPD – unangemessen viele Senatorenposten einforderten. Diesen Fehler haben sie nicht wieder gemacht. Dafür aber muss Volker Ratzmann am heutigen Freitag bangen, ob die Delegierten der Grünen den Ergebnissen der Sondierungsgespräche zustimmen werden. Besonders dem auf wenig mehr als dem Prinzip Hoffnung gegründeten Kompromiss mit der SPD zum Weiterbau der Autobahn A100. Vor allem aber muss Ratzmann gegen den Verdacht ankämpfen, für eine Senatsbeteiligung den Markenkern der Grünen – die Glaubwürdigkeit – zu gefährden und einen politischen Kotau als Erfolg umzulügen.
Lesen Sie auf Seite 2, wie Ratzmann bei seinen Parteikollegen ankommt.
Glaube, Hoffnung, Vertrauen – welch unpassende Kategorien für den Macher Ratzmann, der kühl kalkulierende Jurist, der mit der Spitzenkandidatin Renate Künast in einer Kanzlei nahe dem Ku’damm firmiert. Sie hat ihn 2001 in die aktive Politik gebracht, nach dem Bruch der CDU-SPD-Koalition wegen des Bankenskandals. Dem schnellen Denker und ehrgeizigen Strategen, der zuweilen Mühe hat, seine Zuhörer mitzunehmen in seine skizzierten Perspektiven, merkt man zuweilen an, dass er geschult ist vom außerparlamentarischen Politkampf der autonomen Gruppen, Hausbesetzer und Atomkraftgegner. Die Kreuzberger Wohngemeinschaft, wo er mit dem heutigen Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) und dessen Bruder Udo Wolf (Linke-Fraktionschef) zusammenlebte, war ein Gravitationszentrum des linken Berlins. Bei den linken Grünen ist Ratzmann heute gerade noch gelitten, obwohl er längst in der realpolitischen Mitte angekommen ist.
„Dass wir Geld vom Bund kriegen in 2013, ist so wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto“, glaubt der Vater von zwei kleinen Kindern, verheiratet mit der grünen Bundestagsabgeordneten Kerstin Andreae. Darauf gründet sich seine Hoffnung, dass es nie zum Bau der drei Kilometer langen Betonspur durch Neukölln kommt. Deswegen wäre es eine vergebene Chance, Rot-Grün scheitern zu lassen für eine Autobahn, die nie gebaut wird, weil der Bund die nötigen 420 Millionen Euro eh nicht bereitstellt, argumentiert Ratzmann. Nur, dass Klaus Wowereit nicht bereit ist, die Grünen aus der selbstgestellten Falle herauszulassen. „Lässt sich eine Umwidmung der Bundesmittel nicht erreichen, steht die Koalition zum Weiterbau der A100“, heißt der Satz, den die SPD als Verhandlungsergebnis formuliert, dem aber die grüne Verhandlungsgruppe nicht zugestimmt haben will. So viel zum Vertrauen zwischen den möglichen Regierungspartnern.
Dass der Regierende diesen Satz so explizit hat aufschreiben lassen, hat möglicherweise damit zu tun, dass sein Vertrauen zu Ratzmann als begrenzt gilt. Deswegen der Kampf um die Deutungshoheit der Vereinbarungen. Schließlich war es Ratzmann, der wenige Tage vor der Wahl noch klipp und klar erklärt hatte, eine Koalition mit der SPD werde es nur ohne A100 geben. Deshalb muss vor allem Ratzmann den Delegierten am Freitag erklären, warum der SPD-Satz nicht nur die logische Konsequenz des Satzes ist, den die Grünen gedrechselt haben: „Das Projekt 16. Bauabschnitt der BAB 100 wird nicht grundsätzlich aufgegeben.“
Der Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz findet das so empörend, dass er mit Parteiaustritt droht. Auch andere Spitzenpolitiker fürchten einen irreparablen Glaubwürdigkeitsverlust der Partei. Ohne Not habe man sich von Wowereit vorführen lassen. Dann macht die Koalition mit der CDU, wenn ihr die A100 wollt, hätte man sagen müssen, schimpft einer, der die Partei seit ihrer Gründung begleitet. Wowereit käme mit A100 und der CDU-Option bei seiner Partei nie durch, auch wegen des unerwünschten bundespolitischen Signals einer rot-schwarzen Koalition, ist er überzeugt und erinnert an 2006: Schon damals sei es Ratzmann weniger um Inhalte, sondern um Posten gegangen. Da kommt ein Misstrauen zum Ausdruck, nicht zum ersten Mal. In der Fraktion, die Ratzmann seit 2003 führt, tat er sich einige Male schwer, überzeugende Mehrheiten für die Führungsaufgabe zu bekommen. Mancher nennt es eigenmächtig, wie Ratzmann derzeit agiert; ohne viel Abstimmung mit der Partei.
Seinen unbedingten Willen, endlich mit am Senatstisch zu sitzen, meinen auch andere Parteifreunde zu spüren. Als Senator für Wirtschaft oder Inneres wird der Fraktionschef gehandelt. Auf der Autobahn, wo es ganz schnell geradeaus geht, kann es leicht zum Tunnelblick mit Unfallgefahr kommen, warnen Verkehrsforscher. Auf Ereignisse am Blickrand werde dann nicht mehr angemessen reagiert. Kann sein, dass das auch für Koalitionsverhandlungen gilt.