Weltfrauentag 2017: Unsere Berliner Frauen des Tages
Sie bloggen, forschen oder schwimmen. Sie leiten Galerien, Unternehmen oder Medienanstalten. Berliner Frauen sind vielseitig, engagiert und erfolgreich. Zum Weltfrauentag stellen wir elf von ihnen vor.
Nike van Dinther und Sarah Gottschalk, Modebloggerinnen
Dass Feminismus und ein Mode-Blog eben doch zusammenpassen, zeigen Nike van Dinther (28) und Sarah Gottschalk (29) mit „This is Jane Wayne“. Die beiden Wahlberlinerinnen aus Kreuzkölln schreiben über weite Jeans-Hosen, Emma Watsons Brüste und warum sie diese auch als Feministin zeigen darf, Samtsofas und den Frauenverächter Donald Trump. „Ich könnte gar nicht über Mode schreiben, wenn ich mich nicht mit Politik auseinandersetzen würde“, sagt van Dinther.
Gegründet haben die besten Freundinnen das Blog im Oktober 2010, als sie beide mit dem Studium fertig waren und vor der Wahl zwischen unbezahlten Praktika und der Selbstständigkeit standen. Sie entschieden sich für letzteres und heute gehört Jane Wayne mit etwa 390.000 Visits im Monat zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Blogs. Das Team ist auf neun Mitarbeiterinnen angewachsen.
Ihre Definition von Feminismus beschreibt van Dinther so: „Es geht nicht um Sonderrechte für Frauen, sondern mehr um Humanismus, um Gleichberechtigung.“ Sie und Gottschalk lehnen sich an Simone de Beauvoir an, der sie auch ihre erste eigene Mode-Kollektion gewidmet haben, die am 1. März erschienen ist. (Laura Hofmann)
June Tomiak, Abgeordnete
Respekt vor der Aufgabe hatte sie schon. „Die Verantwortung, die ganze Stadt zu vertreten, das ist schon krass“, sagte die 19-jährige June Tomiak letzten Sommer. Kurz darauf zog sie für die Grünen ins Berliner Parlament ein – als jüngste Abgeordnete. Mittlerweile ist sie 20, sitzt in Ausschüssen, schreibt Anträge und arbeitet an einem Jugendförderungsgesetz mit. Der Kampf gegen Sexismus und Antisemitismus ist ihr wichtig. „Wir sollten alle in Freiheit gut zusammen leben können.“ (Maria Fiedler)
Shermin Langhoff, Intendantin
Seit Shermin Langhoff das Maxim Gorki Theater leitet, hat es sich zu einen künstlerischen Kraftwerk in Mitte entwickelt. Schon nach der ersten Spielzeit wurde das Gorki zum Theater des Jahres gewählt. Dort ist das Ensemble berlinisch international, mit starker türkischer, osteuropäischer und nahöstlicher Prägung. Bei Shermin Langhoff werden Stücke entlang gesellschaftlicher Konfliktlinien entwickelt. Einer der Gründe, weshalb sie zum Weltfrauentag das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommt.
Das Gorki ist das kleinste der Berliner Staatstheater, aber keines liegt zentraler - Unter den Linden, zwischen Humboldt-Uni, Deutschem Historischem Museum und dem künftigen Humboldt-Forum. Shermin Langhoff, inzwischen vielfach ausgezeichnet, wurde in der Türkei geboren und kam 1978 in die Bundesrepublik. Sie ist die erste deutsche Staatstheaterintendantin mit türkischem Hintergrund. (Rüdiger Schaper)
Yusra Mardini, Schwimmerin
Yusra Mardini lebt in zwei Welten. Anfang des Jahres reiste die 19-Jährige zum World Economic Forum nach Davos, um Politiker und Wirtschaftsbosse zu treffen. Kurz darauf war die Syrerin wieder in Berlin und gab Kindern der Spandauer Grundschule am Amalienhof Schwimmunterricht.
Mardinis Geschichte ist eben für viele Menschen faszinierend: Gemeinsam mit ihrer Schwester rettete sie auf der Flucht 20 Menschen das Leben, als sie das Boot stundenlang über das Meer bis zur Insel Lesbos schleppten, in Rio de Janeiro trat sie bei den Olympischen Spielen für das Flüchtlingsteam an. In den Wochen danach lernte sie Barack Obama, den Papst und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kennen. In Berlin geht sie nun weiter zur Schule, trainiert bei den Wasserfreunden 04 – und macht als Botschafterin für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR weiter auf Menschen aufmerksam, die ihr Schicksal teilen. (Lars Spannagel)
Beatrice Kramm, Alya Sebti, Vera Gäde-Butzlaff, Emmanuelle Charpentier
Beatrice Kramm, IHK-Chefin
Für die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) ist im vergangenen Jahr eine neue Ära angebrochen. Seit März 2016 steht Beatrice Kramm an der Spitze des Wirtschaftsverbandes – als erste Frau in der 114-jährigen Geschichte der Institution. „Erfolg hat der, der am meisten daran glaubt“, lautet ein Lebensmotto der promovierten Juristin und Geschäftsführerin der Film- und Fernsehgesellschaft Polyphon. Dabei war der Weg nach oben nicht immer leicht: Als Kramm vor mehr als 20 Jahren in die Firma des Vaters einstieg, war die Mutter zweier Söhne alleinerziehend. (Sarah Kramer)
Alya Sebti, Galerieleiterin
Seit knapp einem Jahr ist Alya Sebti das Gesicht der Berliner ifa-Galerie. Die 33-jährige Marokkanerin leitet als Kuratorin dieses Schaufenster des Instituts für Auslandsbeziehungen, einer Dependance des Außenministeriums. Und doch will die in Casablanca aufgewachsene Kuratorin mehr als nur konventionelle Ausstellungen zeigen, sondern auch den Dialog künstlerischer und nicht-künstlerischer Ausdrucksformen befördern. Das lässt sich in der aktuellen Präsentation perfekt studieren, in der Teppiche bildender und angewandter Künstler zu sehen sind.
Die ifa-Galerie profitiert dabei vom Vorgängerjob der neuen Chefin. 2014 verantwortete Sebti die Marrakesch-Biennale und stieß bei ihren Recherchen auf Größen dieser Szene. Mit ihrer Arbeit will sie die hierarchische Trennung zwischen Norden und Süden helfen aufzuheben. „Ich hoffe, dass wir stattdessen die Idee multipler Perspektiven wertschätzen können“, hat sie gleich zu Beginn ihres Starts in Berlin erklärt. (Nicola Kuhn)
Vera Gäde-Butzlaff, Gasag-Chefin
Mit Berufserfahrungen und einer gewissen Hartnäckigkeit hat es Vera Gäde-Butzlaff, 62, dahin geschafft, wo sie heute ist. Seit März 2015 ist sie Vorstandsvorsitzende des Gasversorgers Gasag. Zuvor war sie als Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht in Brandenburg und im Anschluss als Ministerialdirigentin und Staatssekretärin im Ministerium für Raumordnung, Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt tätig. 2003 wechselte sie dann – qualifiziert und vernetzt – zur Berliner Stadtreinigung (BSR), wo sie 2007 Vorstandsvorsitzende wurde. (Marie Rövekamp)
Emmanuelle Charpentier, Mikrobiologin
Nobelpreiskandidatin? Dieses Wort mag Emmanuelle Charpentier schon gar nicht mehr hören. Denn vor der Verkündung der wichtigsten Auszeichnung für Forscher stehen bei der Mikrobiologin – die seit Oktober 2016 am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie arbeitet und viel lieber forscht als Interviews gibt – Jahr für Jahr die Telefone nicht mehr still.
Aber selbst wenn es dieses Jahr wieder nichts werden sollte, schmälert das die Bedeutung von Charpentiers Entdeckung keinen Deut – messbar an gut drei Dutzend anderen Forschungspreisen, die der 48-Jährigen für ihre kaum fünf Jahre alte Entdeckung bislang verliehen wurden: Die Genschere Crispr/Cas9 gilt schon jetzt als ein Meilenstein in der Biologie. Nicht nur, weil das Erbgut schneidende Werkzeug aus Bakterien das Verändern und Erforschen von DNS bereits viel einfacher, kostengünstiger und schneller gemacht hat. Die Technik weckt auch neue Hoffnungen auf die Reparatur defekter, krankmachender Gene und damit die Heilung von Erbkrankheiten.
Biotechfirmen, die die Technik anwenden, um zum Beispiel Sichelzellanämie oder Cystische Fibrose behandeln zu können, haben an den Börsen bereits Milliardenwert. Aber auch das Züchten neuer Pflanzensorten, Bakterien oder Nutztiere macht Crispr/Cas9 möglich. (Sascha Karberg)
Balbina, Jule Specht und Patricia Schlesinger
Balbina, Sängerin
Mutig, einem Album den Titel „Über das Grübeln“ zu geben. Mutig, zu Elektrobeats und Geigen zu singen: „Der Tag hat einen guten Tag und ich mache das nun nach: guten Tag.“ Balbina rappt Schlager. Die Sängerin, die in Warschau geboren wurde und seit ihrem dritten Lebensjahr in Berlin lebt, baut Brücken, über Abgründe hinweg: zwischen HipHop und Säuselpop, zwischen Grübelei und Wortwitz. Ihre Konzerte sind ausverkauft, sie war mit Grönemeyer auf Tour, gerade ist das dritte Album „Fragen über Fragen“ erschienen. Balbina ist die Antwort auf die Frage, ob der deutsche Pop eine Zukunft hat. (Christian Schröder)
Patricia Schlesinger, RBB-Intendantin
Seit Mitte 2016 ist Patricia Schlesinger die neue Intendantin des Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB). Nach Dagmar Reim ist sie die zweite Frau an der Spitze der Zweiländeranstalt, die 2003 aus dem ORB und dem SFB entstand. Patricia Schlesinger hat einen klaren Auftrag: Sie soll das Fernsehprogramm aus dem Quotenkeller holen. Im Quotenvergleich der Dritten Programme liegt das RBB-Fernsehen schon zu lange ganz hinten. Patricia Schlesinger will dem mit einer Relevanz-Initiative und einer Stärkung des Hauptabendprogramms begegnen. Nicht einmal 100 Tage im Amt stellte sie im Herbst ihre Reformpläne vor.
Nun, im Frühjahr 2017, werden aus den Plänen reale Programme. Eine der ersten reformierten Sendungen wird Anfang Mai „Super.Markt“ sein. Die Verbrauchersendung baut auf dem Magazin „Was – Wirtschaft Arbeit Sparen“ auf, das im Gegensatz zu vielen anderen RBB-Sendungen sogar recht erfolgreich war. Moderator Gerald Meyer wird dennoch ausgetauscht, im „Super.Markt“ hat Berlinerin Janna Falkenstein das Sagen. Die Reform aber wird sich bis ins nächste Jahr hinein ziehen. Erst danach wird sich zeigen, was Patricia Schlesingers Pläne wert sind. (Kurt Sagatz)
Jule Specht, Professorin
„Ein Wunder“ nennt es Jule Specht in ihrem Blog, dass sie zum 1. März eine dauerhafte akademische Heimat an der Humboldt-Uni gefunden hat. Dabei ist die gerade einmal 30-jährige frischgebackene Professorin für Persönlichkeitspsychologie keine Unbekannte in Berlin. Noch als Juniorprofessorin an der FU erhielt sie 2014 den Berliner Wissenschaftspreis in der Nachwuchskategorie. Ausgezeichnet wurde sie für ihre Forschungen zur Persönlichkeitsentwicklung im hohen Alter. Eine Erkenntnis: Gerade ab dem 70. Lebensjahr kann es große Sprünge geben.
Specht selber ist schon in jungen Jahren unglaublich vielseitig, die zweifache Mutter bloggt über ihre Forschung und ihr Leben, publiziert wissenschaftliche Aufsätze und Populärwissenschafliches etwa über die Liebe. Wissenschaftspolitisch kämpft sie für bessere Karrierewege für Nachwuchsforscher. Mit der Lebenszeitprofessur an der HU hat sie es schon geschafft – auf ihre weiteren Sprünge darf man gespannt sein. (Amory Burchard)
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