Gründungsjubiläum der Berliner Loveparade: Techno, marsch!
Vor 25 Jahren ließ die erste Loveparade den Kurfürstendamm erbeben. Aus dem Umzug der Raver wurde ein riesiges Festival, bis der Niedergang und die Katastrophe von Duisburg folgten. Was ist von dem Spektakel eigentlich geblieben?
Gerade mal rund 150 Freunde und Bekannte von Matthias Roeingh aus Spandau, besser bekannt als „DJ Dr. Motte“, tanzen vor 25 Jahren hinter einem Pritschenwagen mit großen Lautsprechern zu Techno-Beats über den Kurfürstendamm. „Friede, Freude, Eierkuchen“, heißt das Motto des als Demo angemeldeten kleinen Umzugs, Passanten staunen und schütteln die Köpfe. Niemand ahnt, dass diese Loveparade am 1. Juli 1989 der Ursprung eines weltweit beachteten Massenspektakels ist – aber auch nicht, dass dessen Geschichte im Jahr 2010 mit vielen Toten und Verletzten in Duisburg enden wird.
Als die erste Parade über den Ku’damm rollt, steht noch die Berliner Mauer. Vom heutigen Bau-Boom mit Hochhäusern wie dem „Zoofenster“ und dem künftigen „Upper West“-Turm können Stadtplaner nur träumen. Doch es gibt eine vielfältige Clubszene, zu den bekannten Vertretern gehören der „Dschungel“ in der Nürnberger Straße (heute ein Teil des Ellington Hotels) und das „Linientreu“ im Keller des Bikini-Hauses, das seit dem April dieses Jahres ein Einkaufszentrum ist.
Techno ist in den meisten Clubs damals noch ein Fremdwort, aber elektronische Musik wird aufgelegt – darunter House-Music, die deutschen Elektro-Pioniere von Kraftwerk oder Depeche Mode.
Aus Sicht vieler Raver war die Parade nie besser als am Ku'damm
Rund um die Musik-Laster der Loveparade vervielfachen sich die Teilnehmerzahlen. 1995, bei der letzten Parade auf dem Ku’damm, kommen 500 000 Menschen. Im Rückblick ist es für viele langjährige Besucher die beste Zeit. Die Bässe wummern wegen der reflektierenden Hausfassaden viel lauter als später im Tiergarten. Jeder Techno-Truck mit seinen Tänzern ist aufwendig geschmückt, auch die mitlaufenden jungen „Raver“ lassen sich modisch einiges einfallen.
Zum Ritual gehören Wasserpistolenschlachten. Einmal hat ein Sponsor große Wasserbottiche entlang der Strecke platziert, damit die Teilnehmer bei der Hitze ihren Durst aus Plastikbechern löschen können. Tatsächlich freuen sich vor allem die Wasserpistolenbesitzer, der ganze Boulevard wird nass.
Für die Beamten geht es nur um Lärm
Der erste Rückschlag kommt 1995, als der damalige Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) die Parade nicht mehr als Demonstration anerkennen will. Seine Beamten schreiben trocken von einer Fete, die „ihr eigentliches Gepräge durch den von ihr ausgehenden Lärm erhält“. Nun müssen die Veranstalter um Dr. Motte und die damaligen Chefs des „E-Werk“-Clubs mit hohen Kosten für Müllbeseitigung und Sicherheit rechnen.
Heckelmann wird zunächst von Senatskollegen zurückgepfiffen. Doch im Jahr 2001 degradiert die Justiz die Parade tatsächlich zum Straßenfest, das Bundesverfassungsgericht bestätigt ein Urteil des Berliner Oberverwaltungsgerichts.
1,5 Millionen Besucher sind der Rekord, doch auch der Streit nimmt zu
In der Zwischenzeit ist man 1996 auf die Straße des 17. Juni umgezogen, weil es auf dem Ku’damm zu eng wurde. Mit 750 000 Teilnehmern geht es im Tiergarten los. Der Höhepunkt wird 1999 mit bis zu 1,5 Millionen Menschen erreicht – zumindest nach der Zählung der Organisatoren, die Schätzungen der Polizei liegen stets niedriger. Bilder der friedlich und ausgelassen feiernden jungen Leute gehen um die Welt, Berlins Tourismuswerber sind begeistert über den „unbezahlbaren“ Imagegewinn für die Stadt.
Doch auch der Ärger wächst. Umweltschützer und das Bezirksamt beklagen die Schäden am Grün – von zerzausten Büschen über Müllberge bis hin zu enormen Urinlachen. Entlang der Strecke stinkt der Tiergarten tagelang. Gleichzeitig wird die Parade immer kommerzieller. Unzählige Werbeflyer werden von Musiklastern geworfen. Auf den Wagen tanzen zunehmend professionelle Go-Go-Girls und einmal eine Gruppe von Porno-Darstellerinnen.
Vom Raver-Umzug zum Volksfest
Im Jahr 2000 lässt der damalige Sender Freies Berlin (SFB) sogar den 72-jährigen Gotthilf Fischer auf einem Podium am Brandenburger Tor seine Volkslieder anstimmen. Aus dem Umzug der Raver ist ein Volksfest geworden. Nun stehen am Straßenrand ganze Familien, Biertrinker und angereiste Fußballvereine, die meist nur zuschauen statt zu tanzen oder wenigstens im Rhythmus mitzuwippen. Viele Männer begnügen sich damit, die leicht bekleideten jungen Frauen auf den Wagen anzuglotzen.
Die Berliner Club- und Musikszene hat sich bereits ab Mitte der 90er Jahre nach und nach zurückgezogen. Ab dem Jahr 2000 sinken die Besucherzahlen, große Sponsoren springen ab. Als auch noch der Demo-Status verloren geht und die Kosten steigen, macht die Veranstalterfirma Planetcom nur noch Verluste.
2004 und 2005 fällt die Parade aus. Einmal noch kehrt sie 2006 in Berlin zurück. Aber unter dem neuen Hauptsponsor und Mitveranstalter, Rainer Schaller von der Fitnesskette McFit, sinkt die Stimmung weiter. So lässt Schaller die Techno-Trucks weitgehend einheitlich gestalten, der Anblick wird langweilig.
21 Tote in Duisburg – die Parade ist am Ende
Schließlich meldet das Ruhrgebiet Interesse an. Von den ursprünglichen Veranstaltern ist keiner mehr dabei. Nach Stationen in Essen und Dortmund kommt es 2010 in Duisburg im Gedränge am Eingang zur Katastrophe. 21 Besucher sterben, mehr als 500 werden verletzt. Es ist das Aus für die Loveparade. Duisburgs Bürgermeister wird zwei Jahre später abgewählt, die juristische Klärung der Schuldfrage läuft noch immer. Einen Toten hatte es zuvor auch in Berlin gegeben: 1999 wurde ein Mann erstochen.
Dr. Motte wird 54 und feiert im Club
Heute sind die großen Zeiten der Techno-Bewegung vorbei. Die Beats hämmern aber noch in Clubs wie dem Berghain. Ehemalige Loveparade-Diskjockeys wie Marusha, WestBam und Paul van Dyk touren durch die Welt. Und Dr. Motte bleibt ebenfalls aktiv. Am 9. Juli wird er 54 Jahre alt, anschließend will er seinen Geburtstag im Friedrichshainer Technoclub „Suicide Circus“ in der Revaler Straße 99 nachfeiern – am 12. Juli ab 23.55 Uhr.
Hinzu kommen Festivals im Flughafen Tempelhof und Open-Air-Partys im Umland. Letztere galten schon zu Paradezeiten als Alternative für alle, die das Gedränge scheuten. Gestandene Raver erinnern sich gern an die „Hirschbar“, die brach liegende Äcker und alte Gutshäuser in Brandenburg zum Dancefloor machte.
Eine kleine Technoparade hat Berlin noch: den Karneval der Kulturen
Nach Berliner Vorbild sind einige Techno-Paraden im In- und Ausland entstanden und wieder verschwunden. Übrig geblieben ist vor allem die „Street Parade“ in Zürich. Wer aber in Berlin etwas davon spüren will, wie es mal war, geht zum Karneval der Kulturen. Dort sind die letzten Wagen des Umzugs traditionell Partymobile, aus denen Techno, Reggae und Disco schallt. Hunderte junge Leute tanzen um diese herum. Und manche haben auch wieder Wasserpistolen dabei.
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