Öffentliche Toiletten in Berlin: Streit ums stille Örtchen
Der Senat will den Toiletten-Vertrag mit der Wall AG Ende 2018 beenden. Dem Rat der Bürgermeister und Behindertenbeauftragten geht das aber zu schnell.
Wer für ein dringendes Bedürfnis eine öffentliche Toilette sucht, hat es naturgemäß eilig. Wenn es aber um die Zukunft der Toiletten selbst geht, sollte nach Meinung der Bezirksbürgermeister nichts überstürzt werden. Soeben hat der Rat der Bürgermeister den Senat gebeten, den Betreibervertrag mit der Wall AG für deren „City-Toiletten“ um mindestens ein Jahr zu verlängern. Die Kooperation des Landes Berlin mit der Außenwerbefirma soll frühestens Ende 2019 enden statt, wie bisher geplant, im Dezember 2018.
„Es ging darum, uns von dem Zeitdruck zu befreien“, argumentiert der Charlottenburg-Wilmersdorfer Rathauschef Reinhard Naumann (SPD), der die Verlängerung vorgeschlagen hatte. In der Sitzung habe Verkehrsstaatssekretär Jens-Holger Kirchner (Grüne) den Terminplan für eine Neuvergabe der WC-Anlagen als „sehr ehrgeizig, aber machbar“ bezeichnet. Die Bürgermeister seien trotzdem skeptisch geblieben. „Wir wollen nichts übers Knie brechen.“
Immerhin habe Kirchner bis Mai oder Juni ein Konzept angekündigt, sagt Naumann. Außerdem stehe nun fest, dass die Verwaltung von Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos) zuständig ist. Das sei im neuen Senat nach der Aufspaltung der Stadtentwicklungsverwaltung nicht gleich klar gewesen.
Standorte von den Bezirken festgelegt
Es geht um 172 City-Toiletten und 86 weitere WC-Anlagen. Bisher betreibt die Außenwerbefirma Wall diese ohne Kosten für Berlin. Dafür darf sie Werbeflächen auf öffentlichem Straßenland nutzen (die nicht zu den Toiletten gehören, sondern andernorts stehen). Ex-Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD), der mittlerweile das Innenressort leitet, hatte die Abkehr von diesem Modell mit Kritik des Landesrechnungshofs an dem „unzulässigen Koppelungsgeschäft“ begründet.
Einen weiteren Grund nannte der Sprecher von Senatorin Günther, Matthias Tang, auf Nachfrage: „Die aktuelle Vertragsgestaltung ist vollkommen undurchschaubar.“ Die Landesregierung kenne weder die Kosten für den Betrieb der Toiletten noch die Einnahmen durch die Werbung. „So kann das Land Berlin nicht beurteilen, ob der Vertrag tatsächlich wirtschaftlich ist.“
Außerdem „sollten die Standorte und die Ausstattung öffentlicher Toiletten grundsätzlich nicht von den Interessen eines Werbetreibenden abhängen, sondern von den Bedürfnissen der Menschen“, sagte Tang. Dem entgegnet die Sprecherin der Firma Wall, Frauke Bank: „Die Standorte wurden von den Bezirken festgelegt.“ Diesen stehe es frei, „neu zu bewerten“, wo City-Toiletten und andere WCs stehen sollen.
Die Wall AG hat wiederholt betont, dass sie in erster Linie ein Werbeunternehmen sei und kein Toilettenbetreiber. Bleibe es bei der Vertragsauflösung, könne das Land Berlin die City-Toiletten „zum Zeitwert kaufen“, sonst würden sie abgebaut. Das erste der modernen und barrierefreien WCs hatte Wall vor rund 25 Jahren in Friedrichshain aufgestellt. Auch nach der Kündigung durch den Senat „gehen wir davon aus, dass eine Verlängerung möglich ist“, sagte Frauke Bank. Die Umwelt- und Verkehrsverwaltung teilte mit: „Die rechtliche Lage wird noch geprüft.“
130 Millionen Euro für den Toilettenbetrieb
Für Wall sei „fairer Wettbewerb okay“, betonte die Unternehmenssprecherin. Man wünsche sich nur ein Ausschreibungsverfahren, das die „Möglichkeit der Refinanzierung“ durch Werbung nicht ausschließe. Nach diesem Modell betreibt der Mutterkonzern JCDecaux auch Toiletten in Paris und Stockholm.
Mit Blick auf den barrierefreien Zugang zu den City-Toiletten gehen der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, Jürgen Schneider, und bezirkliche Behindertenbeauftragte noch weiter als der Rat der Bürgermeister: In einem Brief forderte man die Vertragsverlängerung mit Wall um mindestens zwei Jahre. Darüber hinaus haben die CDU-Politiker Stephan Schmidt und Felix Schönebeck eine Online-Petition gestartet, mit der sie Unterstützer für eine dauerhafte Fortsetzung der Zusammenarbeit suchen. „Eine Trennung von Toilettenbetrieb und Werbung ist aus meiner Sicht nicht praktikabel“, sagte Schmidt.
Im Haushaltsentwurf der rot-rot-grünen Koalition sind 130 Millionen Euro für den Toilettenbetrieb im Laufe von 15 Jahren eingeplant. Welche Einnahmen mit einer separaten Vermietung der landeseigenen Werbeflächen erzielt werden könnten, ist dagegen noch unbekannt.