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© Kitty Kleist-Heinrich

Wahl-Serie: Kinder: So wollen Berlins Parteien die Schulmisere lösen

Knappes Personal und marode Gebäude: Familien wollen wissen, wie ihre Kita- und Schulprobleme zu lösen sind. Die Konzepte der Parteien sind ganz unterschiedlich. Ein Überblick.

Dieser Weg wird kein leichter sein, das ahnt Stephan B. schon ein Jahr vor dem Schulstart seiner Tochter. Sie wird wohl in die Grünauer Schule gehen, in deren Einzugsbereich die Familie ohnehin wohnt: Eine Gemeinschaftsschule im Berliner Südosten mit gutem Ruf im Kiez und erstklassigen Bewertungen im Schulinspektionsbericht. Zwar sind die Gebäude so verdreckt, dass es ständig Beschwerden gebe, schreiben die Inspekteure, aber zumindest können die Toiletten guten Gewissens benutzt werden.

„Nach den aktuellen Berliner Maßstäben dürften wir damit dem Paradies schon ziemlich nahe sein“, sagt Stephan B., der trotzdem beunruhigt ist.

Denn in diesem Jahr wurde der Spielplatz auf dem Schulgelände abgeräumt und an seiner Stelle die Grube für einen Neubau ausgehoben. Einen Modulbau, natürlich. Quadratisch, praktisch – aber auch gut? Die Grünauer Schule braucht nicht nur Platz für die gymnasiale Oberstufe, sondern auch für die Schüler, die im neuen Stadtteil „52 Grad Nord“ wohnen werden. Das Wohngebiet auf einer ehemaligen Industriefläche an der Dahme gehört hier zu den größten Neubauprojekten.

Womit Familie B. in einer typischen Berliner Gemengelage steckt: Berlin wächst, die Schülerzahlen auch, und das Gebot der Stunde heißt „Verdichtung“: Horträume werden zu Unterrichtsräumen, und wo das nicht mehr reicht, wird angebaut oder neu gebaut – gern auch auf dem Schulhof. Allerdings ist Berlin aus der Übung beim Schulbau, weil die Schülerzahl jahrelang zurückging: Schulen wurden eher verkauft als neu gebaut.

Retortenarchitektur ohne Atmosphäre

Nun aber hat sich die Lage komplett verändert: Durch den rasanten Schüleranstieg haben die Schulbauer keine Zeit mehr für neunjährige Planungen, weshalb sie Zuflucht zu den „Modularen Ergänzungsbauten“ (MEBs) nehmen. Die MEBs gelten aber als Retortenarchitektur ohne Atmosphäre und haben den Nachteil, dass sie keine Mensen und kaum Fachräume bieten. Darum haben alle Parteien versprochen, die Bauplanungszeiten für „richtige“ Schulbauten zu verkürzen. Die SPD will eine neue Landesgesellschaft gründen, die sich ausschließlich um den Neubau von Schulen kümmert. Falls das Geld knapp wird und die Schuldenbremse einem auskömmlichen Schulbau entgegensteht, soll eine landeseigene Gesellschaft einspringen, für die eine Kreditaufnahme nicht unter die bundesdeutsche Schuldenbremse fällt.

Diesen Weg einer Zentralisierung will auch die Linke gehen. Die CDU hingegen plädiert dafür, die Kompetenzen der Bezirke auszubauen und Verfahren „radikal zu entschlacken“. Die Grünen schlagen einen dritten Weg vor: Sie wollen drei Schul- und Bezirke-Immobilien-Management GmbHs gründen, die alle Schulgebäude bewirtschaften. Eine Gesellschaft wäre jeweils für vier Bezirke zuständig und würde mit Fachleuten aus den Bezirken und der Berliner Immobilienmanagement GmbH ausgestattet.

Nach Hamburger Vorbild würden sie den Sanierungsbedarf der Gebäude bewerten und Neubauvorhaben umsetzen. Alle Parteien wollen sich von den kurzatmigen Sonderprogrammen verabschieden und die Regelfinanzierung erhöhen: Von mehreren Milliarden Euro für Sanierung und Neubau ist die Rede. Zudem sind sich alle darin einig, dass wieder mehr Geld in die Gebäudeunterhaltung fließen muss.

Familie B. ist von all den Milliardensummen schon ganz schwindlig. Sie freut sich zwar darüber, dass jetzt endlich Geld fließen soll, hat aber auch gelesen, dass es kaum genug Personal gibt, um all das Geld zu verbauen. Stephan B. weiß zwar, dass auf der anderen Straßenseite der Grünauer Schule ein weiteres Schulgebäude und eine neue Turnhalle entstehen sollen. „Aber ob meine Tochter das während ihrer Schulzeit noch erlebt?“, fragt er sich.

Was den Vater aber beinahe noch mehr beunruhigt als der drohende MEB und noch mehr als der fehlende Gehweg vor der Turnhalle und der fehlende Zebrastreifen an der viel befahrenen Wassersportallee ist der Lehrermangel: Berlin braucht jährlich rund 2000 neue Lehrer, hat aber nicht genug Nachwuchs.

Die Verbeamtung als Lockmittel?

Die CDU geht davon aus, dass Berlin Lehrer mit der Verbeamtung locken muss, um konkurrenzfähig zu bleiben. Zudem will sie eine „schulart- und fächerscharfe“ Verdoppelung der Studienplatzkapazitäten sowie ein Stipendienprogramm für Studierende von Mangelfächern. Grundschullehrer, die die neue verlängerte Lehrerausbildung komplett durchlaufen haben, sollen mit demselben Einstiegsgehalt wie Oberschullehrer beginnen, fordert die CDU.

In Sachen Verbeamtung stehen die Christdemokraten allein da. Aber in Bezug auf den Ausbau der Studienplätze und die Angleichung der Bezahlung ähneln sich die Vorschläge der Parteien. Alle gehen auch davon aus, dass es in den nächsten Jahren nicht ohne Quereinsteiger geht. Die Grünen wollen mit den Hochschulen einen Mechanismus vereinbaren, der entsprechend dem tatsächlichen Bedarf die benötigten Ausbildungskapazitäten bereitstellt und „flexibel anpasst“. Die Linke will zudem analysieren, warum aktuell nur 40 Prozent der Lehramtsstudenten ihr Studium abschließen.

Bis zum nächsten Sommer allerdings führt der tägliche Weg von Stephan B.s Tochter in den Waldkindergarten und noch nicht in die Schule. Der Kampf um eine Mittelinsel auf dem Adlergestell hat drei Jahre gedauert. Gerast werde weiter, aber jetzt sei es zumindest beherrschbar, sagt der Vater. Über den Kindergarten kann er wenig Schlechtes berichten, aber manches Bedenkliche: Die Erzieherinnen würden bei dem freien Kita-Träger noch bescheidener bezahlt als bei den Eigenbetrieben, sagen sie. Der Personalschlüssel ist mit zwei Erzieherinnen für 20 Kinder so knapp, dass spätestens im Krankheitsfall improvisiert werden oder aufs Minimalprogramm reduziert werden muss.

Als typische Berliner Durchschnittsverdiener freuen sich die Eltern einerseits darüber, dass sie die Betreuung ihrer Tochter nur 40 Euro Essenszuschuss im Monat kostet. Andererseits würden sie jederzeit Kita-Gebühren bezahlen, wenn es dafür mehr Personal gäbe. „Davon würden die Kinder mit Sicherheit sehr profitieren“, sagt der Vater.

Mehr Personal soll es jetzt erst mal für die Krippen geben, die im Bundesvergleich sehr schlecht dastehen. Bis 2019 will die SPD dies schrittweise umsetzen. Parallel fällt die Krippengebühr weg. Die anderen Parteien sehen die Gebührenfreiheit nicht als vordringlich an, sondern wollen vor allem in mehr Personal investieren. Die SPD setzt dennoch weiterhin auf eine Politik der Gebührenfreiheit: Als Nächstes sollen Horte und Lernmittel kostenlos werden.

Dieser Text ist Teil unserer Serie zur Berlin-Wahl 2016. In der ersten Folge diskutierten wir Wahlfragen rund um das Thema Wohnen, den Text können Sie hier nachlesen. Welche Maßnahmen der rot-schwarze Senat in der ablaufende Legislaturperiode gegen Wohnungsnot getroffen hat, ist hier aufgeschrieben. Was Wohnraum-Experten empfehlen, lesen Sie hier.

Die nächsten Folgen: Gesundheit, 5.8., Klima, 7.8., Verkehr, 9.8., Sicherheit, 11.8., Integration, 13.8., Wirtschaft, 15.8., Ämter, 17.8., Demokratie, 19.8.

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