Schulferien in Berlin: Bloß keinen Stress!
Ist die Schule anstrengender geworden? Soll man auch in den Ferien lernen? Und wie können Eltern ihren Kindern helfen, entspannt zu bleiben? Hier geben Fachleute Tipps.
Leiden Kinder und Jugendliche vermehrt unter Schulstress?
Erst sechs oder sieben Stunden Unterricht, dann Hausaufgaben und später noch zur Klavierstunde oder zum Fußballtraining: Schüler kommen schnell auf eine wöchentliche Arbeitszeit von über 40 Stunden. „Viele Schüler haben einen Terminkalender wie Erwachsene“, sagt Klaus Seifried, Schulpsychologe aus Tempelhof-Schöneberg. „Die Verplanung der Kinder ist ein Problem.“
Seifried führt das unter anderem darauf zurück, dass der Leistungsdruck in der Gesellschaft zugenommen habe. „Die Arbeit wird immer mehr verdichtet. Ich zum Beispiel mache heute die Arbeit, die vor zehn Jahren von zwei Personen erledigt wurde.“ Viele Eltern spüren die steigenden Leistungsanforderungen und geben das, bewusst oder unbewusst, an ihre Kinder weiter. Die Kinder verinnerlichen schon früh, dass sie ein möglichst gutes Abitur brauchen, um einen Studienplatz zu bekommen. „Schon in der Grundschule stehen Kinder unter Notendruck, damit sie es auf ein bestimmtes Gymnasium oder eine nachgefragte Sekundarschule schaffen“, sagt Seifried.
Was sagen Studien?
Eine Studie der Universität Bielefeld und der Bepanthen-Kinderförderung befasste sich 2015 mit dem Thema „Burn-out im Kinderzimmer“. 1100 Kinder und Jugendliche von sechs bis sechzehn Jahren nahmen teil. Fast ein Fünftel der Befragten leidet demnach deutlich unter Stress. In einer Studie des Deutschen Kinderschutzbunds und des Prosoz-Instituts für Sozialforschung von 2012 gab jedes dritte Kind zwischen sieben bis neun Jahren an, sich gestresst zu fühlen. Für das „LBS-Kinderbarometer“ (2015) wurden 11 000 Kinder im Alter von 9 bis 14 Jahren befragt. Ein Drittel gab an, regelmäßig von der Schule gestresst zu sein. Einer Langzeitstudie des Robert-Koch-Instituts zur Kindergesundheit zufolge haben psychische Störungen allerdings nicht zugenommen. Sie bewegen sich seit Beginn der Studie 2003 auf gleichem Niveau. Hinweise auf Auffälligkeiten gibt es demnach bei etwa einem Fünftel.
Was löst den Stress aus?
Stress entsteht durch Überforderung, sagt Schulpsychologe Klaus Seifried. Die Schüler sollen Anforderungen bewältigen, die ihre Fähigkeiten und Kapazitäten immer wieder übersteigen. „Ein Schultag ist so anstrengend wie ein Arbeitstag“, sagt Seifried. „Nicht nur das Lernen, auch das Zusammensein mit vielen Menschen auf engstem Raum stresst Kinder und Jugendliche.“ Dazu kommt die Verdichtung des Lernstoffes, etwa durch die Verkürzung der Schulzeit für das Abitur nach zwölf Jahren. Der Studie der Universität Bielefeld zufolge sagen 70 Prozent der stark gestressten Kinder, dass sie ihre Hausaufgaben oft nicht bewältigen.
Laut dieser Studie beeinflussen insbesondere zwei Faktoren das Stressempfinden der Schüler: die Anzahl und die eigene Entscheidung über ihre Termine. Fast vierzig Prozent der Zwölf- bis 16-Jährigen haben an drei oder mehr Tagen pro Woche feste Termine nach der Schule. Nicht immer freiwillig. 85 Prozent der gestressten Kinder sagen, sie müssten Termine wahrnehmen, die ihnen keinen Spaß machen.
Ein Stressfaktor kann auch sein, wenn Kinder Aufgaben übernehmen müssen, die eigentlich in der Verantwortung der Eltern liegen. Beispielsweise wenn sie sich um kleine Geschwister kümmern oder viele Arbeiten im Haushalt übernehmen müssen. 80 Prozent der stark gestressten Kinder fühlen sich dadurch belastet. Besonders betroffen sind Mädchen und Jungen aus sozial benachteiligten Familien.
Seifried macht noch auf einen anderen Punkt aufmerksam: Computerspiele und Smartphones. „Viele Jugendliche warten ständig auf die nächste Chatnachricht. Das ist eine permanente Präsenz, auch das kann stressen. Und führt andererseits dazu, dass weniger Zeit für Ruhe, Entspannung oder zum Lernen bleibt.“
Wie reagieren Kinder auf Stress?
Kinder und Jugendliche berichten über körperliche und psychische Symptome. Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Müdigkeit, Einschlafschwierigkeiten können Warnsignale sein. Eigentlich sind das klassische Burn-out-Symptome. „Kinder reagieren ganz ähnlich wie Erwachsene“, sagt Seifried. Sie versuchen zunächst, den Anforderungen durch vermehrte Anstrengung zu begegnen. Wenn das nicht hilft, wählen viele den Rückzug. „Sie klagen über Bauchschmerzen oder Kopfschmerzen und können deshalb nicht zur Schule gehen“, sagt Seifried. „Das geht teilweise bis hin zur Schuldistanz.“ Andere haben den Leistungsdruck so verinnerlicht, dass sie trotz guter Noten massive Versagens- und Prüfungsängste entwickeln.
Was können Eltern tun?
Die meisten Eltern wollen ihre Kinder optimal fördern. Viele merken aber nicht, wenn sie die Kinder dabei überfordern. „Das ist tatsächlich eine schwierige erzieherische Balance“, sagt Seifried. Eltern sollten zwar den Ehrgeiz und die Anstrengungsbereitschaft ihrer Kinder ein Stück weit fordern, ihnen aber auch Freiräume lassen. Wenn der Sohn also Gitarre lernen möchte, dann soll er das tun dürfen, auch wenn den Eltern Klavier oder Geige lieber gewesen wäre. Wenn er dann aber nach zwei Wochen keine Lust mehr hat, dann könnten Eltern durchaus sagen: Ein halbes Jahr lang machst du das jetzt, und dann sehen wir weiter.
Auch Sport und Bewegung sind wichtig, viele Kinder bekommen davon zu wenig. „Ich sehe viele Kinder, die in ihrer Freizeit fast nur noch vor dem Computer hocken. Denen würde ich Sport verordnen“, sagt Seifried. Aber auch dabei sollten Eltern es mit dem Ehrgeiz nicht übertreiben. „Die Kinder sollen nicht getriezt werden, sie müssen keine Bundesligaprofis werden.“
Bei Schulstress können Eltern ihren Kindern mit einem besseren Zeitmanagement helfen. „Erstellen Sie gemeinsam einen Arbeitsplan, sodass die Kinder nicht am letzten Tag alles auf einmal machen müssen“, rät der Psychologe.
Um den schulischen Druck nicht zu groß werden zu lassen, sollten Eltern die Schule nicht in den Mittelpunkt des Interesses rücken, sagt Swantje Goldbach, pädagogische Leiterin des Nachhilfeinstituts Lernwerk. Gerade in den Ferien ist es wichtig, Zeit für gemeinsame Unternehmungen und Hobbys zu haben.
Wenn Kinder immer weniger Lust haben, in die Schule zu gehen und sich zurückziehen, sollten Eltern aufmerksam werden, mit dem Kind sprechen und sich externen Rat holen, zum Beispiel bei Schulpsychologen des Bezirks oder beim Kinder- und Jugendarzt.
Sollen Schüler in den Ferien lernen?
Nach den Osterferien müssen viele Schüler wichtige Prüfungen absolvieren: Die Klausuren für das Abitur und den Mittleren Schulabschluss stehen an. Ganz ohne Lernen wird es deshalb für viele nicht gehen. „Für den MSA und das Abitur zu lernen, ist unumgänglich. Wichtig ist, sich den Tag gut einzuteilen“, sagt Pädagogin Swantje Goldbach. „Man sollte vormittags mit einer anderthalbstündigen Lerneinheit beginnen und im Anschluss eine Bewegungspause einbauen. Nach dieser kann man wieder anderthalb Stunden lernen. Essen und Trinken nicht vergessen!“ Spätestens am Abend sollte dann Zeit für Freunde und Entspannung sein. „Computerspiele, Fernsehen und ausgedehnte Chats sind keine gute Erholung für das Gehirn.“
Auch Psychologe Seifried hat nichts dagegen, wenn in den Ferien auch gelernt wird. Schüler, die ohnehin gute Leistungen bringen und sich anstrengen, sollte man jedoch in den Ferien mit dem Lernen verschonen. „Aber manche Schüler sind einfach faule Socken, denen schadet es nicht, wenn sie in den Ferien mal eine Stunde lang lernen.“ Viel mehr am Tag sollte es aber nicht sein, wenn nicht gerade Abschlussprüfungen anstehen. Und danach dann am besten gemeinsam etwas unternehmen.
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