Schulsanierung in Berlin-Steglitz: Auferstehen aus Ruinen
Marode Schulen in Berlin: Einst war das Fichtenberg-Gymnasium in Steglitz ein Symbol des Sanierungsstaus. Jetzt werden die ersten Millionen verbaut.
Wo anfangen mit dieser Geschichte von Verfall und Rettung des Steglitzer Fichtenberg-Gymnasiums? Vielleicht 2008 mit dem Wasserschaden, der die Deckenplatten im Direktorenzimmer zum Absturz brachte. Oder 2009? Als die marode Heizung zum „Kältefrei“ führte. Oder doch lieber gleich im Jahr 2014, als der Fassadenputz herunterkam?
Vielleicht ist es aber auch einfach so, dass es keinen richtigen Anfang gibt, sondern nur den schleichenden Verfall, der einsetzte, als Berlin um die Jahrtausendwende anfing zu sparen, bis es erst quietschte und dann krachte.
Dazwischen gingen ein paar Jahre ins Land. Zunächst hörte man nur wenig über marode Schulen. Auch um die „Fichte“, wie das auf die Förderung von sehbehinderten Schülern spezialisierte Fichtenberg-Gymnasium in Steglitz genannt wird, war es still. Erst fiel nur auf, dass die meisten Schulen noch ein bisschen grauer aussahen als früher.
Schon 2007 warnte der Landesrechnungshof vorm Verfall
Aber schon 2007 war der berlinweite Schaden so groß, dass der Landesrechnungshof den Finger hob. Seine Botschaft lautete: Wer an der Unterhaltung der Gebäudesubstanz spart, verschwendet Geld, weil der Schaden durch den Substanzverlust größer ist, als es die rechtzeitige Sanierung gewesen wäre.
Was ein Fanal hätte sein müssen, wurde aber nur als Zwischenruf wahrgenommen: Anstatt die Finanzierung der Gebäudeunterhaltung wieder auf die empfohlene Quote heraufzusetzen, wurde vom Senat nur ein bisschen nachgebessert: Das Schulanlagensanierungsprogramm sollte gezielt die schlimmsten Baustellen angehen. Dass das nicht reichte, war da vielen noch nicht klar.
Dauergast im "Adventskalender der maroden Schulen"
Das wurde erst langsam anders, als Daniela von Treuenfels, Vorsitzende des Bezirkselternausschusses Steglitz-Zehlendorf, mit ihrem berlinweiten „Adventskalender der maroden Schulen“ beispielhaft vor Augen führte, wie der Verfall voranschritt: Mit ihm erschien das Fichtenberg-Gymnasium 2008 auf der Bildfläche – und hatte ab dann Jahr für Jahr einen festen Platz hinter einem der Adventstürchen. So erfuhr die Öffentlichkeit allmählich, was die Sparerei in den Schulen anrichtete – und die Fichte wurde dafür ein Symbol; und damit auch eine Art Katalysator für die berlinweite Abkehr vom Sparen an der Substanz.
Bis es so weit war, musste aber noch eine Menge geschehen. Mit den herabstürzenden Deckenplatten, der maroden Heizung und dem herabfallenden Putz war es nicht getan; auch nicht mit der Vollsperrung der Aula: Einsturzgefahr.
Aus heutiger Sicht ist kaum noch vorstellbar, dass all die Hiobsbotschaften die Sanierung noch immer nicht zum Selbstläufer machten; kaum vorstellbar, dass Schulleiter Rainer Leppin bis zur Erschöpfung weiterkämpfen musste; dass Lehrer, Eltern und Schüler noch etliche Aktionen starten mussten, bis es 2015 irgendwann hieß: Ihr kriegt das Geld.
27 Millionen Euro werden gebraucht
Zwei Jahre später, kurz vor den Osterferien 2017, steht Leppins Nachfolger Andreas Steiner mit seinen Schülern vor der Fichte und strahlt übers ganze Gesicht. Denn all die Proteste, all der Ärger waren nicht umsonst: Die Sanierung ist in vollem Gange. Während die Politik noch überlegt, wie dem Vier-Milliarden-Euro- Sanierungsstau beizukommen ist, gehen in der Fichte seit Monaten die Bauarbeiter aus und ein. Denn die benötigten 27 Millionen Euro sind nicht nur zugesagt, sondern das ganze Vorhaben läuft nach Plan unter der Regie der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. „Man merkt, dass die das gut hinkriegen“, berichtet Steiner beim Gang durchs Haus und schwärmt von regelmäßigen Bausitzungen, in denen Lehrer und Schüler ihre Wünsche einbringen können. Auch die Fassade ist jetzt dran und wird Abschnitt für Abschnitt 2018, 2019 und 2020 erneuert. In der Aula kündet der Abbruch der Bühne von der Komplettsanierung.
"In Friedrichshain-Kreuzberg war es noch schlimmer"
Steiner weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. Er weiß das, weil er vom jahrelangen Kampf seines Vorgängers erfahren hat, und er weiß das, weil er selbst jahrelang in einer maroden Schule gearbeitet hat: Das Friedrichshainer Andreas-Gymnasium war ebenfalls bekannt für eklatanten Verfall, aber damit nicht genug: Steiner beklagte in Friedrichshain-Kreuzberg auch einen besonders intransparenten Umgang bei der Zuweisung der Lehrmittel. „Im Gegensatz zu Friedrichshain-Kreuzberg bin ich bisher als Schulleiter der Fichte von der Politik und der Verwaltung in Steglitz-Zehlendorf ernst genommen worden“, lobt Steiner seinen neuen Bezirk.
Manche wundert dieses Lob. Daniela von Treuenfels zum Beispiel. Wenn sie daran zurückdenkt, wie die Fichte jahrelang vom Bezirk links liegen gelassen wurde, während andere Schulen Geld bekamen, dann wünscht sie sich, dass nicht mehr die Bezirke, sondern – wie in Hamburg – eine übergeordnete Behörde zuständig sein soll für die Verteilung der Sanierungsgelder. Das sei ein Mittel gegen bezirkliche „Klientelpolitik“.
Andere Schulen waren früher dran. Klientelpolitik?
„Ja, es gab Schulen, die bekamen Geld, und andere nicht“, erinnert sich auch Nicole Bartsch-Neumann, die sechs Jahre lang im Gesamtelternvorstand für die Fichte kämpfte. Letztlich weiß sie bis heute nicht, warum die Fichte erst so spät Gehör fand. Unterm Strich bleibe aber die Freude, dass es endlich vorangehe.
So sieht es auch Annika Singh, 17, die sich seit der 8. Klasse für die Sanierung ihrer Schule stark machte. „Es wird jetzt saniert, weil wir zusammengehalten haben“, sagt sie, und dass die Schule sich nie unterkriegen ließ und trotz der Zustände beliebt ist und viele Anmeldungen hat. Es habe ihr damals „im Herzen weh getan“, als die sehbehinderten Schüler wegen der Bauplanen rund um den herabfallenden Putz Probleme hatten, die Schule zu betreten, erzählt Annika bei einem Gespräch am Osterwochenende.
Ein paar Stunden später meldet sie sich noch mal. Denn zwischendurch, da kam sie zufällig an ihrer Schule vorbei, und da hat sie gemerkt, dass sie lächeln musste. Einfach so. Wegen der ersehnten Baugerüste: „Wir sind alle sehr glücklich.“