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Grenzgebiet. Der Kottbusser Damm trennt Kreuzberg und Neukölln. Dabei unterscheiden sich die Kieze zu beiden Seiten der Straße kaum voneinander - Kreuzkölln eben.
© Kai-Uwe Heinrich

Namen für Berliner Kieze: Sagt endlich Kreuzkölln!

Ja, wir wissen: Sie als alte Berlin-Profis halten es für einen ganz schlimmen Anfängerfehler, wenn jemand das Grenzgebiet zwischen Kreuzberg und Neukölln mit einem Eigennamen versieht. Den hat es aber verdient.

Es war mir klar, bevor ich nach Berlin kam. Aus Büchern wusste ich, dass nicht nur bei den Ur-Berlinern, sondern auch bei der mittleren Generation der Zugereisten, den Neu-West-Berlinern der 70er und 80er Jahre, ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln bestand. Herr Lehmann bekam hier Beklemmungen, und auch für den Protagonisten in Johannes Groschupfs charmantem Neukölln-Roman „Hinterhofhelden“ bedeutete die Übersiedlung von da nach dort Überwindung.

Ich wusste, bevor ich meine erste Bleibe an der Urbanstraße bezog, dass sie eben nicht am Rande Kreuzköllns lag. Sondern mitten in Kreuzberg. Und dass Neukölln erst jenseits des Kottbusser Damms begann. Kreuzkölln gab es nur als Anfängerfehler im Sprachgebrauch Zugereister. Wie jeder Ankömmling, der dazugehören möchte, machte auch ich mir den ortsüblichen Sprachgebrauch zunächst zu eigen. Die nervige Suada „Kreuzkölln gibt’s gar nicht, es gibt Kreuzberg und Neukölln, und das sind sozial und historisch zwei völlig unterschiedliche Welten“ erklang auch aus meiner Kehle. Dafür schäme ich mich heute.

Grenzen sind, wie das letzte Jahr weltpolitisch noch einmal nachdrücklich gezeigt hat, grundsätzlich zweifelhafte Gebilde. Und in so etwas Dynamischem, Freiem und Vielschichtigem wie einer Großstadt, in ihren altlinken und migrantisch geprägten Bezirken zumal, sollte deren Beschwörung auf das Nötigste beschränkt bleiben.

Ohnehin war die Ächtung des Begriffs Kreuzkölln dort, wo ich sie erlebt habe, immer ein Instrument, um Diskursmacht aufzubauen. Wer auf die Falschheit Wert legte, bezweckte damit mehr als nur die Wahrung der Klarheit in der Sprache. Es ging auch darum, Neulingen zu signalisieren, dass sie keine Ahnung und ergo auch in anderen Fragen der Stadt nicht mitzureden hätten.

Wer durch den Kiez spaziert, wird links und rechts vom Kottbusser Damm kaum Unterschiede finden

Das aber macht blind für gegenwärtige Entwicklungen: Kreuzkölln existiert! Der Begriff ist eine absolut brauchbare Bezeichnung für ein weitgehend kohärent erscheinendes Gentrifizierungsgebiet zwischen Graefe- und Pannierstraße, vielleicht da und dort auch noch darüber hinaus. Wer an einem Frühlingssonnabend quer durch den Kiez spaziert (Oh doch, es ist einer!), wird zwischen den beiden Seiten des Kottbusser Damms kaum Unterschiede bemerken. Weil die Gegend voll ist mit Menschen, die nicht plötzlich an irgendwelchen historischen Demarkationslinien innehalten – es sei denn, sie warten auf eine Grünphase.

Und auch die, die Bars, Kneipen und lustige Läden eröffnen, tun das hüben wie drüben. Das kann man finden, wie man will – aber diese Menschen prägen die Gegend längst mehr als die Alten, die ab und an aus ihren Wohnungen kommen und am Tresen des Schlawinchens über korrekte Stadtteilnamen wachen. Wer sich dessen nicht bewusst ist, kommt zu merkwürdigen Schlüssen: wie etwa der Regierende Bürgermeister Michael Müller. Der versuchte sich jüngst, in den „Tagesthemen“ nach Kriminalitätsproblemen am Kottbusser Tor gefragt, unter anderem mit dem Verweis auf eine positive Entwicklung in Nord-Neukölln herauszureden. Hier sei ein Präventionskonzept aufgegangen. Nun mag das von Müller erwähnte Vorzeigeprojekt Rütli-Campus noch als politischer Erfolg durchgehen. Doch vieles von dem, was den Nordwesten Neuköllns gut dastehen lässt, hat auch damit zu tun, dass er eben, sozial, längst kein Teil des Problemstadtteils Neukölln mehr ist. Sondern eine vorgelagerte Insel der Toskana Kreuzbergs, um mal einen weiteren Begriff zu verwenden, den niemand verwenden will, der aber die Gegend zwischen Hasenheide im Süden und Urbanhafen/Landwehrkanal im Norden eigentlich ganz gut beschreibt.

Nun bietet auch dieser Text gewiss Anlass für allerlei schlaue Anmerkungen. Etwa jene, dass Kreuzkölln nach amtlicher Wikipedia-Auffassung gar nicht das hier benannte grenzübergreifende Gebilde meint, sondern nur dessen östliche Hälfte, den Neuköllner Reuterkiez. Das ist schön für alle, die immer alles ganz genau wissen. Vielleicht möchten sie ja auf dem Mittelstreifen des Kottbusser Damms ein Heimatmuseum eröffnen.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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