Rechtsfreie Räume und No-Go-Areas: Henkel, Müller und die Angst vor dem anderen Berlin
Rechtsfreie Räume? Gibt es in Berlin nicht, findet Michael Müller. Dabei sehen das viele in der Stadt anders. Aber der Regierende Bürgermeister und sein Innensenator ignorieren das. Ein Kommentar.
Berlin hat in den vergangenen Jahren prächtig gelebt von seinem Image, das als cool, tolerant und offen beschrieben und empfunden wurde. Das half auch den Landesregierungen, so manche Unzulänglichkeit bis hin zur Verwahrlosungstendenz zu einer Frage der Haltung, ja der Weltanschauung umzudichten. Funktioniert mal wieder nichts so richtig? Egal – so sind wir eben!
Doch die Verheißung eines allzeit lässigen Lebensgefühls hat inzwischen eine solche Dynamik ausgelöst, dass die harten Einschläge der Wirklichkeit immer näher kommen. Schon fragt die BBC besorgt: „Kann das coole Berlin die Gentrifizierung überleben?“ Dabei geht es eigentlich schon längst darum, ob das tolerante Berlin die zunehmende Angst vor der Kriminalität überstehen wird. Und ganz praktisch, fern von all den schönen Bildern: Wird das Leben in Berlin, zumindest an einigen Orten, zu gefährlich?
Die Antworten, die der Regierende Bürgermeister Michael Müller und der Innensenator Frank Henkel darauf geben, also die beiden für die Sicherheit in der Stadt verantwortlichen Politiker, lassen jeden neuen Tag zum Fest für die AfD werden. Keiner von beiden vermittelt das Gefühl, bei ihm sei das Problem in guten Händen, und zusammen wirkt ihre Politik wegen gegenseitiger Versäumnisvorwürfe schlicht desaströs. Vom Versprechen, das SPD und CDU der Stadt in ihrem Koalitionsvertrag gegeben haben, nämlich die „Kraft der Verlässlichkeit und der Gestaltung“ zu sein, ist bei der inneren Sicherheit nichts zu spüren.
Die Worte – und die wenigen, affektgeleiteten Taten – rinnen ihnen durch die Finger. Besonders deutlich wurde das gerade beim Auftritt Müllers vor dem nationalen „Tagesthemen“-Publikum. Stoisch redete der Regierende Bürgermeister gegen die Wahrnehmung vieler Menschen an und verstieg sich zu der Behauptung, „No-go-Areas“ gebe es nicht. Seine Begründung: „Das wären ja Räume, in denen man sich nicht mehr frei bewegen kann, in denen man Angst haben muss um sein Leben, und das gibt es in Berlin nicht.“
Was ist das, wenn nicht ein rechtsfreier Raum?
Es kann nicht sein, was nicht sein darf, um das schöne Bild Berlins aufrecht zu erhalten. Vielleicht hätte er mal ein paar Anwohner vom Kottbusser Tor fragen sollen, wie sie die Sache so sehen, oder vom Görlitzer Park, oder Touristen an der Revaler Straße, oder die Streifenwagenbesatzungen in ihren Mini-Opels, die in Neukölln lieber vorbeifahren an den getunten Limousinen, die von ihren nicht minder getunten Insassen provokativ in der zweiten Reihe geparkt werden. Was ist das, wenn nicht ein rechtsfreier Raum? Die Polizei kann Müller sicher eine Liste der absurderweise geheim gehaltenen „gefährlichen Orte“ zeigen.
Tiefpunkt im TV: die Abschiebung der Angelegenheit an seinen Koalitionspartner Henkel mit den Worten „Es ist wieder dringend überfällig, dass der Innensenator die Dinge angeht“. Wie jetzt – also doch? Ausgerechnet demjenigen übergibt der Chef den Auftrag, den er vor dem versammelten Parlament – und nicht nur dort – als Underperformer bloßgestellt hat? Wie, bitte schön, soll das dann konkret aussehen? Darauf hat Müller keine Antwort. Henkel aber auch nicht. Der schiebt zwar das Problem nicht ab wie Müller, aber er verschiebt es auch nur. Durch mehr Präsenz der personell völlig überforderten Polizei vom einen Ort zum nächsten und wieder zurück.
Es fehlen die Antworten auf die Probleme
Statt der Kraft der Verlässlichkeit offenbart sich hier die Schwäche der Verunsicherung, die um so deutlicher wird, je markiger die Worte sind. Da ist es dann beinahe egal, ob kurzfristig hier oder dort die Zahl der Einsatzkräfte versechsfacht wurde, wie der Senator behauptet, oder verdreifacht, wie es tatsächlich ist. „Wie in jeder Metropole gibt es Kriminalitätsschwerpunkte“, sagt Müller über seine Stadt. Das stimmt. Aber andere Metropole haben darauf Antworten gegeben, mal radikale wie die „Zero Tolerance“- Strategie in New York, mal eher autoritäre wie in London. Beide passen nicht zum Bild, das die Koalition gerne von Berlin zeichnet. Wenn sie es weiter mitgestalten wollen, dann müssen sie sich mehr einfallen lassen als bisher.