Platzmangel durch Gymnasien-Abgänger: Sekundarschulen wollen nicht mehr alle Rückläufer aufnehmen
Die Integrierten Sekundarschulen sind durch den Schülerboom besonders betroffen. Sie schlagen vor, dass Gymnasien, die Platz haben, die Rückläufer behalten.
Sie tragen die Hauptlast bei der Inklusion, haben die meisten verhaltensauffälligen Schüler zu verkraften – und müssen dennoch von Jahr zu Jahr mehr Schüler pro Klasse aufnehmen: Die rund 100 Berliner Integrierten Sekundarschulen (ISS) sind durch den Schülerboom besonders getroffen und wollen das nicht mehr klaglos hinnehmen. Ihre Interessenvertretung schlägt daher vor, dass Gymnasien, die Platz haben, die Rückläufer behalten, die am Probejahr scheiterten. Zudem sollen Gymnasien komplette Sekundarschulklassen und häufiger als bisher Willkommensklassen übernehmen.
Diese drei Vorschläge sind Teil eines Vorstoßes, den die Vereinigung der Berliner ISS-Schulleiter (BISSS) jetzt nach Tagesspiegel-Informationen unternimmt, bevor sich die Lage 2020/21 weiter zuspitzt. Die BISSS-Vorsitzende Miriam Pech weist darauf hin, dass schon in diesem Jahr viele Bezirke ihre Sekundarschulklassen mit 26 Schülern füllen mussten, um alle Bewerber unterzubringen. Damit ist die laut Verordnung maximal zulässige Grenze erreicht. Pech befürchtet, dass es dabei nicht bleibt und auch diese Höchstgrenze demnächst überschritten wird. Das aber sei mit ihrer Schülerschaft nicht zu machen, steht für die Interessenvertretung fest.
Nicht sicher, ob Gymnasien per se Platz haben
Die Höchstfrequenz von 26 Schülern sei „rechtlich verankert und könnte deshalb gar nicht so einfach von den Bezirken überschritten werden“, kommentierte die Bildungsverwaltung die Befürchtung Pechs. Angesprochen auf die weiteren BISSS-Vorschläge sagte Thorsten Metter, der Sprecher der Bildungsverwaltung, sie seien „kaum pauschal zu beantworten“. Wenn etwa ein Bezirk tatsächlich Sekundarschulklassen an Gymnasien führen wolle, müsse das an die Schulaufsicht herangetragen werden. „Und dann müsste die Prüfung im Einzelfall erfolgen“, erläutert Metter. Solche Verlagerungen seien „insgesamt nicht unproblematisch“. Zudem könne auch nicht pauschal gesagt werden, dass die Gymnasien per se Platz haben.
Auch Ralf Treptow, der Leiter des Vereinigung der Oberstudiendirektoren (VOB), war über den Vorstoß des BISSS überrascht und sieht erheblichen Diskussionsbedarf. Der VOB versteht sich als Interessenvertretung der Gymnasien. Angesichts der Übernachfrage an vielen Gymnasien fragt Treptow, ob es „die Probleme der Stadt löst“, wenn Rückläuferklassen oder reguläre ISS-Klassen an Gymnasien verlegt würden: Nicht nur in Pankow seien alle Gymnasien voll. Zudem müsse geklärt werden, ob solche Klassen dann als Filialen anderer Sekundarschulen geführt würden.
2017/2018 mussten über 800 Kinder verteilt werden
Um zu vermeiden, dass Rückläuferklassen überhaupt gebildet werden müssen, fordert Treptow, dass die Sekundarschulklassen anfangs gesetzlich auf 22 Schüler gedeckelt werden. Auf diese Weise habe man Plätze frei, wenn in Klasse 8 die Rückläufer aus den Gymnasien in die Sekundarschulen kämen.
Wie groß das Rückläuferproblem in diesem Jahr ist, konnte die Bildungsverwaltung noch nicht sagen. Im Schuljahr 2017/18 mussten über 800 Kinder aus den Gymnasien auf die Sekundarschulen verteilt werden. Da es nicht genug Platz in den regulären achten Klassen der ISS gibt, müssen die genannten reinen Rückläuferklassen gebildet werden, die als besonders problematisch gelten.
Platzmangel an ISS führt zu mehr Gymnasium-Startern
Zu denen, die im Probejahr scheitern, gehören überproportional viele Schüler, die mit einer Sekundarschulempfehlung auf das Gymnasium kamen. Das liegt allerdings keineswegs immer am übertriebenen Ehrgeiz der Eltern. Vielmehr führt der akute Platzmangel an den besonders beliebten ISS dazu, dass Schüler, die eigentlich an eine ISS wollten, vom Schulamt einem Gymnasium zugeordnet werden, wenn auch andere ISS keinen Platz mehr haben. Wenn sie dann am Gymnasium scheitern, landen sie als Rückläufer an der Sekundarschule.
Besonders betroffen von diesem Phänomen sind Gymnasien, die freie Räume haben, wie das Charlottenburger Gottfried-Keller-Gymnasium. Es musste 2017 so viele Schüler mit ISS-Empfehlung aufnehmen, dass schließlich 34 Schüler am Probejahr scheiterten. Dann hätte es ja theoretisch einen freien Klassenraum, um eine Rückläuferklasse aufzunehmen, argumentiert der BISSS. „Nein“, wehrt sich Schulleiter Uwe Kany. Diese Rechnung gehe nicht auf, denn andernfalls müsse er ja die Verbände der Achtklässler, die sich gerade zusammengefunden hätten, auflösen und zusammenlegen. „Dann können wir die Pädagogik gleich beerdigen“, sagt Kany.