Berliner Koalitionsverhandlungen: Die alte Angst vor der Einheitsschule ist zurück
Linke und Grüne wollen das Probejahr am Gymnasien abschaffen. Schulleiter befürchten jetzt eine Aushöhlung des Berliner Zwei-Säulen-Modells.
„Lächerlich! Kein Mensch will das Gymnasium abschaffen“. Und nochmal: „Blödsinn“, sei das, was die CDU da immer wieder behaupte. Regina Kittler, die bildungspolitische Sprecherin der Linken, kann sich noch immer aufregen über die Christdemokraten, die im Wahlkampf wieder und wieder behauptet hatten, unter Rot-Rot-Grün drohe das Ende der Gymnasien. Nun gehe das schon wieder los.
"Dann bleibt nur der Name an der Tür"
Tatsächlich stichelt die Schulfachfrau der CDU-Fraktion, Hildegard Bentele, seit einigen Tagen auf Twitter Richtung Linke und ihre Plänen für das Gymnasium. Diesmal geht es darum, dass die Linke das Probejahr abschaffen würde: Es ermöglicht den Gymnasien, die schwächsten Schüler an die Sekundarschulen „abzuschulen“, wie es im Amtsdeutsch heißt.
Das Probejahr ist somit ein wichtiges Regulativ für die Gymnasien: „Wenn es entfällt, verschwimmt der Unterschied zwischen Gymnasiasten und Sekundarschülern noch mehr als bisher, sodass letztlich nur noch der Name an der Tür ein anderer wäre“, lautet die verbreitete Einschätzung. Die Gymnasien fragen sich somit, ob die Abschaffung des Probejahres mehrheitsfähig wäre in der rot-rot-grünen Koalition.
Das Kind auf einem Gymnasium ist zu einem Statussymbol geworden. (...) Es geht nicht mehr um das erworbene Wissen, es geht nur noch um den Namen oder die Schulform auf dem Abschlusszeugnis.
schreibt NutzerIn denkenderBerliner
So einfach ist die Antwort nicht: Zwar lehnten SPD und Grüne noch im Januar diesen Jahres einen entsprechenden Antrag von Kittlers Fraktion ab. Aber innerhalb des linken Spektrums beider Parteien gibt es durchaus Sympathien für dieses Vorhaben der Linken. Die Frage wird somit sein, wer von den Parteien in die Arbeitsgruppen geschickt wird, die den Koalitionsvertrag auszuhandeln haben.
"Das Probejahr ist besser als ein NC"
„Man sollte die Gymnasien so ertüchtigen, dass man Schüler nicht abschulen muss“, wünscht sich die grüne Bildungspolitikerin Stefanie Remlinger. "Wir müssen darüber reden, welche Voraussetzungen notwendig sind, damit dieses unselige Instrument des Probejahrs abgeschafft werden kann", betonte die Abgeordnete. Anders als die Linke wollen die Grünen diesen Schritt nicht sofort vollziehen.
Und die SPD? Maßgeblich in der Fraktion war bislang der gut vernetzte Lars Oberg, der nach zwei Wahlperioden nicht mehr kandidieren wollte. Es gilt als wahrscheinlich, dass er bei den Koalitionsverhandlungen dabei sein wird. „Unsere Position war bisher, dass es ein Regulativ zum freien Elternwillen geben muss. Das Probejahr ist auf jeden Fall besser als ein NC oder eine Aufnahmeprüfung“, fasst Oberg den letzten Stand der Dinge zusammen.
Es gebe aber auch ohne die Abschaffung des Probejahres große „Schnittmengen“ zwischen den drei Parteien. Dazu gehöre etwa, dass die Bedarfsprüfung für den Hort wegfallen soll. Mehrheitsfähig dürfte auch sein, dass die Gemeinschaftsschule zur Regelschule erklärt wird, sobald die Pilotphase abgeschlossen ist.
Die Gemeinschaftsschule, die im Idealfall von Klasse1 bis 13 führt, war unter Rot-Rot auf Druck der Linken eingeführt worden und wird an den meisten Standorten gut angenommen. Regina Kittler hofft daher, dass bei neuen Berliner Schulgründungen in Zukunft „schwerpunktmäßig Gemeinschaftsschulen entstehen“.
Diese Forderung könnte schon bald relevant werden: Wie berichtet werden aufgrund des hohen Zuzugs und des Anstiegs der Schülerzahlen 23 neue Grundschulen benötigt. Kittler plädiert dafür, die neuen Standorte von Anfang an als Gemeinschaftsschulen anzulegen. An diesem Punkt könnte sie bei Grünen und SPD auf offene Ohren treffen. Allerdings sagt Oberg, es müsse „die Schulen geben, die sich Eltern und Schüler wünschen“.
Unklar ist weiterhin, wer künftig das Schulressort leiten wird. Die Grünen scheinen keine übergroßen Ambitionen zu haben, dieses Amt mit der schweren Hypothek des Lehrermangels zu übernehmen. Die Linke würde sich dafür wohl auch nicht verkämpfen, so dass es wieder auf die SPD hinauslaufen könnte. Umso wichtiger ist es den Grünen und den Linken, zumindest im Koalitionsvertrag ihre Handschrift zu zeigen.
Zuletzt mussten 600 Schüler zur Sekundarschule wechseln
Etliche Gymnasiallehrer sind jedenfalls alarmiert und befürchten, dass die Linke diesmal stärker als vor zehn Jahren ihre schulpolitischen Ziele durchsetzen will, zumal auch die SPD-Linke große Sympathien für die „Schule für alle“ bis Klasse 10 hat. Eine schleichende Aushöhlung der Gymnasien halten sie für eine realistische Gefahr.
Ralf Treptow vom Verband der Oberstudiendirektoren erinnert deshalb daran, dass das Probejahr „ein wichtiger Bestandteil des Berliner Zwei-Säulen-Modells“ von Gymnasium und Sekundarschule sei. Insbesondere die Brennpunktgymnasien, auf die viele ungeeignete Schüler in Klasse 7 strömen, würden eine Abschaffung des Probejahres als „Katastrophe“ empfinden, wie Cynthia Segner vom Gymnasium Tiergarten es ausdrückt:„Dann braucht man kein Gymnasium mehr“. Rund 600 Schüler mussten 2015 nach Klasse 7 die Gymnasien verlassen: An Brennpunktschulen können das schon mal 20 oder mehr Schüler sein, an den Spitzengymnasien im bürgerlichen Milieu kommt es kaum vor.
Aus der Bildungsverwaltung hieß es auf Anfrage, das Instrument des Probejahres habe sich als „sinnvoll“ erwiesen: „Wer das Elternwahlrecht beibehalten möchte, braucht das Probejahr“, sagte Sprecherin Beate Stoffers.