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Gauner im Gesundheitswesen: Rund 15 Milliarden Euro werden dort jährlich ergaunert.
© dpa

Krankenkassen werden betrogen: Apotheker und Ärzte erschleichen jedes Jahr Milliarden

Gauner im Gesundheitswesen: Rund 15 Milliarden Euro werden dort jährlich ergaunert - die meisten Milliarden gehen dabei an Ärzte und Apotheker. Doch Krankenkassen und Justiz rüsten jetzt auf.

Viel Geld weckt Begehrlichkeiten. Knapp 300 Milliarden Euro werden pro Jahr im deutschen Gesundheitswesen ausgegeben – doppelt so viel, wie die hiesige Elektroindustrie erwirtschaftet. Da verwundert kaum, dass einige der 4,5 Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen mehr davon wollen, als sie auf legalem Weg bekommen. Schätzungen von Justiz und Krankenkassen zufolge versickern 15 Milliarden Euro durch Betrug bei Ärzten, Apothekern, Klinik- und Pflegedienstleitern. Das meiste Geld verlieren dabei die gesetzlichen Krankenkassen – also AOK, Techniker & Co.

Weil die Abrechnungsregeln kompliziert sind – und selbst Ärzte einräumen, dabei nicht durchzusehen –, ist allerdings oft unklar, wo genau Betrug anfängt. Es gibt Kliniken, bei denen jede dritte Rechnung, die sie bei den Kassen einreichen, fehlerhaft ist. Womöglich unabsichtlich. Jedenfalls werden nur wenige Fälle angezeigt, noch weniger verurteilt.

Ärzte machen krumme Geschäfte gemeinsam mit Apothekern

Die Lage ist also meist nicht so eindeutig wie bei dieser verbreiteten Masche: Ein Arzt verschreibt seinen Patienten ohne deren Wissen teure Medikamente. Er reicht die Rezepte bei einem Apotheker ein. Der bekommt die Summe für die Präparate wie üblich von den Kassen der Patienten erstattet. Arzt und Apotheker teilen das Geld – die Patienten erfahren nichts, die Medikamente brauchten sie ja nicht. Das fällt nur auf, wenn Arzt und Apotheker zu viele oder seltene Medikamente abrechnen, denn bei den Kassen laufen im Monat Millionen Rechnungen ein. „Wir erwischen nur wenige“, sagt der Justiziar einer Kasse.

Wie jenen Apotheker vor ein paar Jahren. Die Kassen nutzen Computerprogramme, die anzeigen, wenn irgendwo Präparate häufiger verschrieben werden als üblich. In einer Kleinstadt wurde massenhaft Genotropin verschrieben – ein Wachstumsmittel für kleinwüchsige Jugendliche. In jener Stadt befand sich aber keine Klinik, die auf Wachstumsbehandlungen spezialisiert ist. Die Apotheke, von der die vermeintlich Kleinwüchsigen das Mittel holten, wurde beobachtet: Mit falschen Rezepten verkaufte der Apotheker das Medikament an Bodybuilder.

Eine Frau drückt ein Frühchen mit Ringelmütze an ihre Brust
Jedes Gramm zählt. Für die Versorgung zu früh geborener Kinder können Kliniken bis zu 77 000 Euro kassieren.
© picture alliance / dpa

Die Versuchung ist groß dank der Fallpauschalen

Oft können Ermittler und Kassenprüfer jedoch kaum eingreifen – obwohl sie wissen, dass etwas nicht stimmt. Hintergrund sind die Fallpauschalen: Bis 2003 bekamen die Kliniken von den Kassen für jeden Behandlungstag einen Betrag. Chefärzte wussten, es schadet also nicht, wenn ein Patient ein bisschen länger liegen bleibt. Dann wurden die Fallpauschalen eingeführt, seitdem wird pro Diagnose gezahlt, nicht pro Tag. Nun sind bestimmte Diagnosen lukrativ: Bei Frühchen macht ein Gramm zuweilen 15 000 Euro Plus aus. Kommt ein Frühchen mit einem Gewicht zwischen 750 und 874 Gramm zur Welt, erhält die Klinik 62 000 Euro. Ist das Kind 749 Gramm schwer, sind es 77 000 Euro. Das erklärt vielleicht, warum in einigen Kliniken offiziell fünfmal so viele Frühchen mit einem Gewicht knapp unter 750 Gramm geboren werden als Kinder, die drei, vier Gramm schwerer sind.

Die Kassen müssen inzwischen eigene Mitarbeiter zur Korruptionsbekämpfung beschäftigen. In einem Büro einer Kassenzentrale in Berlin sitzt ein solcher Mann und sucht nach Auffälligkeiten in den Rechnungen der Kliniken. Was einst Aktenberge waren, sind nun Millionen digitaler Datensätze. „Wir finden oft was, nur stehen wir im Kreißsaal nicht daneben“, sagt er. „Abrechnungstuning nennen wir das mit den Frühchen.“

Wie soll er nachweisen, dass ein Frühchen eigentlich vier Gramm mehr gewogen hat? Frühchen legen schnell an Gewicht zu, sollte ein solcher Fall überprüft werden, ist das Kind schon schwerer. Die Kassen gehen außerdem ein Risiko ein, wenn sie eine Klinik überprüfen: Finden die Prüfer in den Akten vor Ort keine ausreichenden Hinweise auf Verstöße, müssen sie 300 Euro an die Klinik zahlen. Wird ein Krankenhaus bei Verstößen erwischt, bezahlt es oft nur den Schaden.

Falsche Brustkrebs-OPs

Können die Kassen einen Verdacht begründen, geben sie den Fall an die Staatsanwaltschaft. Doch auch damit sei man oft unzufrieden, sagt ein Versicherungsmann: „Dauernd erkläre ich, dass es abrechnungsrechtlich einen Riesenunterschied macht, ob ein Arzt angestellt oder niedergelassen ist.“ Die Fälle seien oft kompliziert. Zunächst sind da 16 Bundesländer mit je eigenen Vorschriften. Dazu kommen verschiedene Modalitäten für Praxen und Kliniken, ambulante Dienste und Heime, Apotheken und Hebammen. „Und dann gibt es Regeln für Universitätskliniken“, sagt ein Beamter. „Wer durchsehen will, muss sich spezialisieren.“

Das geschieht zunehmend. In Berlin gibt es einen runden Tisch von Senatsverwaltung, Kassen und Justiz. Für das Gesundheitswesen sind im Berliner Landeskriminalamt drei Kommissariate zuständig: 18 Beamte ermitteln in Kliniken, Praxen und Apotheken, neun Polizisten sind für Pflegedienste zuständig.

Rund 600 ambulante Dienste konkurrieren in Berlin um pflegebedürftige Kunden. Einige bieten Kliniken dafür Geld, dass diese ihren Dienst empfehlen. „Es gibt sogar Vertreter, die auf Krankenhausfluren rumlungern, um Angehörige in die Finger zu kriegen“, sagt ein Experte.

Manchmal überführen sich Trickser quasi selbst: Eine Klinik ließ sich von der Kasse einer Patientin eine Brustkrebs-OP bezahlen. Ein Kassenmitarbeiter rief „wegen des Nachsorgeprogramms“ ahnungslos in der Klinik an. Der Arzt, den er zu sprechen bekam, wusste von nichts und sah in die Krankenakte: Es stellte sich heraus, dass die Patientin eine Schönheits-OP hatte, der Chefarzt aber wegen einer Bonusvereinbarung einen Krebseingriff brauchte. Die Schönheits-OP hatte die Patientin dazu privat zahlen sollen.

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