Drogen im Görlitzer Park: Wie Kokain nach Berlin kommt
Die Polizei kontrolliert verstärkt Dealer im Görlitzer Park, um das Drogenproblem zu lösen. Doch wo kommt der illegale Stoff eigentlich her? Wie gelangt er in die Stadt, wer verteilt ihn und verdient daran? Eine Spurensuche.
Ein heller, hoher Raum in einer Pankower Altbauwohnung. Weiße Wände, weißer Aktenschrank, weiße Tulpen in einer Vase auf dem Schreibtisch. Und auch sonst hat der Anwalt, der fünf, sechs Tage die Woche an diesem Tisch verbringt, oft mit Weißem zu tun. Er vertritt Mandanten, die mit Drogen gehandelt haben sollen. Meist geht es um Kokain.
Seit den Razzien im Görlitzer Park, seit der Debatte über die Dealer an der Warschauer Brücke, eigentlich schon seitdem im Januar 140 Kilo Kokain in Bananenkisten in Berliner Aldi-Filialen gefunden wurden, wird in der Stadt verstärkt über Drogen gesprochen. Doch wie kommt Kokain nach Berlin? Wer verdient daran? Und was ist mit – dem viel ungefährlicheren, aber häufigeren – Marihuana? Zeit für eine Spurensuche.
Der Stoff wird mit allerlei Billigem gestreckt
Nur weil es weder um einen konkreten Fall noch einen moralischen Vorwurf geht, nimmt der Anwalt sich Zeit. „Ich selbst habe es nie probiert“, sagt er. „Es heißt ja immer, Anwälte und Künstler koksen.“ So teuer, das sich den Stoff nicht auch Bauarbeiter leisten könnten, ist er nicht mehr – auch weil er mit allerlei Billigem gestreckt wird.
Kokain ist ein aufputschendes Pulver, de facto ein Salz, gewonnen aus den Kokasträuchen der Anden in Peru, Kolumbien und Venezuela. Kokain wird oft durch gerollte Geldscheine in die Nase gezogen. Es euphorisiert bis zum Draufgängertum, hält wach bis zur Schlaflosigkeit und wird auch zur Vollrauschkompensation geschnupft: Wer lallend durch eine Bar wankt, wirkt nach einer Kokainnase oft erstaunlich nüchtern.
Kokain gilt als harte Droge, weil sie abhängig und den Körper kaputtmacht. Der Handel mit dem Pulver wird deshalb härter bestraft als der mit weichen Drogen, etwa den Rauchwaren der Hanfpflanze. Doch sowohl Kokain als auch Marihuana wurden zuletzt im Görlitzer Park, an der Warschauer Brücke und diversen U-Bahnhöfen angeboten. Vor allem Kokain gelangt auch durch Lieferanten, die in Privatautos unterwegs sind, an seine Kunden, die dazu vorher anrufen.
Ein Kilo Kokain ist in den Anden nur 2000 Euro wert
Bis das Pulver in den Nasen seiner Konsumenten verschwindet, lässt sich dessen langer Weg in fünf Schritten skizzieren.
Erster Schritt: Oft arme Andenbauern verkaufen die geernteten Blätter ihrer Kokasträucher sackweise an südamerikanische Drogenkartelle. Letztere haben oft so viel Macht, dass den Bauern wenig anderes bleibt, als für wenige hundert Euro pro Ernte zu kooperieren. Aus den Blättern wird in provisorischen Vor-Ort-Laboren eine Paste geätzt, aus der das weiße Pulver gewonnen wird. Ein konsumfertiges Kilogramm davon ist etwa 2000 Euro wert. Nach diesem zweiten Schritt beginnt der Weg des Stoffes nach Europa.
Nur weil Kokain so massiv verfolgt wird, verdienen die Kartelle so viel am dritten Schritt, die Ware auf Schiffe und – seltener – in Flugzeuge zu bekommen. Da wird der Stoff schon gestreckt: im besten Fall mit Arzneimitteln, im schlechten mit Baumarktchemikalien. Mittelsmänner in Europa werden über die Reise der Ware informiert. Kommt ein Kilo in Häfen in Spanien, Holland oder Deutschland an, ist es mehr als 30 000 Euro wert.
Kokain wird in Autos nach Berlin geschmuggelt
Nun beginnt die vierte Phase. Aus dem Polizeipräsidium in Tempelhof heißt es: Wer das in Schiffscontainern versteckte Kokain in Rotterdam oder Hamburg abhole, schmuggele es meist in Autos nach Berlin. Das gelingt nicht immer. Unter zehntausenden Containern können Schmuggler nicht nur leicht den Überblick verlieren. Das unter legalen Waren versteckte Kokain lassen sie zuweilen auch aus Sicherheitsgründen unangetastet. Denn der Zoll kontrolliert zwar nur einzelne Frachten, die aber gründlich. Die 140 Kilo Kokain, die im Januar zwischen Bananen gefunden wurden, waren aus Kolumbien nach Hamburg verschifft worden. Weil sie kein Dealer abholte, wurden sie erst in den Supermärkten von Aldi-Mitarbeitern entdeckt.
Wer geht diesen vierten Schritt? „Es gab Fälle“, sagt der Anwalt in Pankow unaufgeregt, „da hatten zwei Freunde aus der Berliner Partyszene nach drei Lateinamerika-Urlauben schon Kontakte.“ Die beiden hätten Geld vorgeschossen, daraufhin erfahren, wann und wo Stoff in Deutschland ankommen soll und ihn dann auf eigene Rechnung und eigenes Risiko an Bekannte verkauft.
Schmugglernetzwerke zwischen Banden bieten sich an
In der Regel aber sind es dichte und undurchsichtige Netzwerke, die die Drogen in die Stadt schaffen. In Berlin werden immer wieder Rocker und Söhne arabischer Großfamilien verdächtigt. Weil es Vertreter einschlägiger Biker-Crews und Angehörige bestimmter Clans zugleich in Berlin, Hamburg, Rotterdam, ja selbst in Barcelona gibt, bieten sie sich als Schmugglernetzwerke an. Es gebe aber auch deutsche Täter, teilt die Polizei mit, die sich „für den Drogenschmuggel zusammenfinden und ansonsten keine gemeinsamen Bezüge aufweisen“. Der Anwalt bestätigt: Geschäftspartner auf Zeit seien üblich.
In Berlin kostet ein Kilo Kokain 50 000 Euro
So lange Drogen verboten sind, haben die Händler viel Spielraum, die Margen zu erhöhen. Und so steigt der Preis des Stoffes, wenn er in Berlin ankommt, während die Qualität sinkt. Mehr als 10 000 Kilometer von den Anden entfernt, können Händler erst recht Streckmittel beimischen: Bei Verbraucherschützern können sich unzufriedene Kokser ja schlecht beschweren. In Berlin kostet ein Kilo nun 50 000 Euro. Doch als Ganzes wird es in der Stadt meist nicht mehr verkauft. Werden Dealer in Berlin erwischt, finden Beamte selten mehr als 500 Gramm. Erst 2013 wurden zwei Hells Angels mit einem halben Kilo Kokain erwischt. Die Drogen lagerten in der Wohnung eines Schauspielers.
In Lokalen, an Bahnhöfen und vor allem per Auto veräußern Kleindealer im fünften und letzten Schritt das Gramm für bis zu 100 Euro. Wobei der Stoff meist für 60 Euro in in Folien eingewickelten 0,6-Gramm-Portionen verkauft wird. Der Reinheitsgehalt dieser abendlichen Verbrauchseinheiten überschreitet selten 40 Prozent. „Und zwar egal“, sagt der Anwalt, „was sich Kokser auf irgendwelchen Partys erzählen.“ Gutes Koks gibt es allenfalls in Peru, nicht in Prenzlauer Berg.
Ein Zwischenhändler übernimmt die Lieferung zu den Kleindealern
Anders ist die Lage bei Marihuana und Haschisch, den Produkten der Hanfpflanze. Sie sind nicht nur ungefährlicher, in Berlin gelten bis zu 15 Gramm als Eigenbedarf; wer damit erwischt wird, bleibt meist straffrei. Vor allem lässt sich Hanf in Gewächshäusern züchten. „Beispielhaft seien hier die Niederlande und Albanien genannt“, teilt die Polizei mit. Doch auch im Berliner Umland gibt es in Scheunen und auf Dachböden versteckte Plantagen. Anbau, Ernte und Großverkauf bleiben in einer Hand. Ein Zwischenhändler übernimmt die Lieferung zu den Kleindealern, die etwa im Görlitzer Park feierfreudige Touristen ansprechen.
Woher genau das Marihuana dort stamme, wisse man nicht, heißt es von der Polizei. Doch nicht nur im Präsidium wird davon ausgegangen, das es vorrangig aus Deutschland kommt. Der THC- Gehalt, also die Wirksamkeit, gilt bei in Berlin gezüchteten Pflanzen als hoch. In Berlin wurden im vergangenen Jahr mehr als 11 000 Hanfpflanzen in 80 sogenannten Indoor-Plantagen beschlagnahmt. Die zu Plantagen ausgebauten Räume verraten ihren Zweck oft durch den hohen Stromverbrauch – wegen der nötigen Dauerbeleuchtung der Pflanzen.