zum Hauptinhalt
Viel gegrübelt, lange gekämpft und dann verhandelt: Jetzt hat der Schülerausschuss sein Ziel erreicht.
© promo

Erfolg für Berlins Schülervertreter: Politik kommt aufs Zeugnis

Das Schulfach Politik soll ein eigenständiges Fach werden, Ethik wird wohl Stunden verlieren: So sieht er aus, der Kompromiss zur Stärkung der politischen Bildung.

Nicht locker gelassen - und am Ende das Ziel erreicht: Berlins Landesschülerausschuss kann endlich einen Haken unter seine langjährige Forderung nach einem eigenständigen Schulfach Politik machen. Am Mittwoch war sein gesamter Vorstand in die Bildungsverwaltung am Alexanderplatz eingeladen, um zusammen mit Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) den Kompromiss für das neue Fach vorzustellen.

Demnach ist ab Sommer 2018 geplant, dass das Fach Politische Bildung gestärkt wird. Als erster Schritt soll es als Teilnote auf dem Zeugnis erscheinen. Damit soll verhindert werden, dass das Fach im Unterricht weiterhin an den Rand gedrängt wird. Ab dem Schuljahr 2019/20 dann soll es eine leicht veränderte Stundentafel für die Klassen 7 bis 10 geben. Von Schulleitern und den Bildungsexperten von SPD und Grünen gab es Zuspruch. Vertreter betroffener Fächer, der CDU und des Humanistischen Verbandes äußerten sich kritisch.

Basis der Lösung ist eine Erweiterung des bisherigen Lernbereichs der Gesellschaftswissenschaften um das Fach Ethik. Das war nach einem Vorstoß der SPD-Bildungsexpertin Maja Lasic bereits absehbar. Konkret bedeutet das, dass Schulen dem bisher achtstündigen Fach Ethik - je zwei Stunden pro Jahr - maximal zwei Stunden wegnehmen können. Dann blieben also sechs Wochenstunden verteilt auf vier Jahre. Die Schulen könnten aber auch bei Geografie oder Geschichte Abstriche machen. All dies ist bei dem am Mittwoch vorgestellten Kompromissvorschlag möglich. Allzu sehr soll aber kein Fach gekürzt oder gestärkt werden: In einer neu zu überarbeitenden Verordnung sollen Mindest- und Höchststundenzahlen noch festgelegt werden.

Schüler aus Steglitz-Zehlendorf hakten nach

„Das Fach Politik kann ein Motor für die ganze Schule sein“, lautet die Erwartung von Klaas Wolf vom Vorstand des Landesschülerausschusses (LSA). Auch die Arbeit der Schülervertretung könne gestärkt werden, wenn mit dem Politik-Wissen das Interesse an demokratischen Abläufen und Teilhabe wachse. Scheeres lobte das jahrelange Engagement der Schülervertreter. Die Senatorin geht davon aus, dass durch den neuen Lernbereich Profile wie interkulturelles Lernen oder Demokratieerziehung gestärkt werden könnten.

LSA-Sprecher Franz Kloth erinnerte daran, wie die Diskussion 2010 durch Steglitz-Zehlendorfer Schülerinnen in Gang gekommen sei, die sich nicht damit abfinden wollten, dass Begriffe wie Erst- und Zweitstimme selbst in der Oberstufe noch Achselzucken erzeugten. Auf dieses Manko waren sie eher zufällig gestoßen, wollten es aber nicht hinnehmen: Erst wandten sie sich an die BVV, dann an das Jugendbüro des Bezirks und schließlich machte der LSA den Vorstoß zu seinem Thema und legte die Forderung nach einem gestärkten Fach Politik dem Senat Jahr für Jahr vor, erläuterte Kloth die Genese.

Ausgangspunkt: Nicht noch mehr Unterricht

Die Kompromissfindung war schwierig: "Wir hatten Angst, dass die Kernforderung aus den Augen verloren wird", berichtete Landesschülersprecher Philipp Mensah rückblickend angesichts der Auseinandersetzungen um die Umsetzung. Seit Mai 2017 stand zwar die grobe Richtung fest, aber danach wurde die Lage zunehmend verzwickt: Obwohl es viele Stimmen gab, die Forderung nach mehr Politik in der Schule unterstützten, aber im Detail wurde es dann immer wieder schwierig. Vor allem ging es um die Fragen, ob es insgesamt mehr Unterricht geben sollte oder ob die benötigten Stunden zwischen Klasse 7 und 10 einem anderen Fach weggenommen werden könnten.

Beide Varianten erzeugten Widerspruch, wobei der zusätzliche Unterricht besonders deutlich abgelehnt wurde. In diesem Zusammenhang meldeten sich auch die Gymnasien zu Wort.

Ihre wichtigste Vertretung, die Vereinigung der Oberstudiendirektoren (VOB), positionierte sich entschieden gegen „jegliche Erhöhung der Stundentafel“ an Gymnasien. Mit bis zu 34 Stunden pro Woche sei das Volumen „ausgereizt“. Auch eine Kürzung von Profil- oder Wahlpflichtstunden zugunsten des Politikunterrichts wurde einstimmig abgelehnt.

Allerdings unterstützten die Gymnasialleiter den Ansatz der Bildungsverwaltung, die gesellschaftswissenschaftlichen Fächern zu einem Kontingent zusammenzulegen und das Fach Politik aus diesem Kontingent heraus zu stärken: Jede Schule hätte dann einen gewissen Handlungsspielraum für eigene Prioritäten. Entsprechend zustimmend fiel dann auch die Reaktion am Mittwoch aus: "Die VOB begrüßt, dass fast alle Details ihres Vorschlags umgesetzt wurden", schrieb der Vorsitzende Ralf Treptow.

Befürchtungen der Fachvertreter

Die Kontingentlösung hatten allerdings zuvor Fachvertreter mit Hinweis auf eine drohende „Zersplitterung der schulischen Landschaft“ abgelehnt: Sie wollten feste Stundenvorgaben für ganz Berlin. Entsprechend zurückhaltend fielen dann auch die Reaktionen aus. Henning Franzen vom Fachverband Philosophie äußerte die Befürchtung, dass durch die Kontingentlösung der Anteil des fachfremden Unterrichts noch steigen werde.

Der Geschichtslehrer Robert Rauh, der vehement für eine Stärkung des Faches Politik plädiert hatte, war mit dem Kompromiss ebenfalls nicht zufrieden: Damit werde der "Verteilungskampf" zwischen den Fächern nur in die Fachkonferenzen der Schulen delegiert, sagte er auf Anfrage. Wenn die Gesamtstundenzahl der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer nicht erhöht werde, müsse zwangsläufig eines der Fächer "Federn lassen".

Auch die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Hildegard Bentele (CDU), kritisierte, dass die neue Regelung „die Verantwortung zur zeitlichen Ausgestaltung der Fächer Geschichte, Politik, Erdkunde und Ethik auf die Ebene der einzelnen Schulen schiebt“. Zudem warf sie Scheeres vor, die Forderung der Schüler erst mit mehrjähriger Verspätung aufgegriffen zu haben.

Der Mord an Hatun Sürücü und das Fach Ethik

Hingegen merkte der Humanistische Verband (HVD) an: „Der Senat hätte daher besser darauf gesetzt, die Ausbildung der Ethiklehrer zu stärken, als dem Fach Stunden wegzunehmen“. Der Ethikverband selbst hatte bis zuletzt vor einer möglichen Kürzung gewarnt. Auch innerhalb der SPD, die starke personelle Verbindungen zum HVD hat, war die Schwächung des Faches Ethik nicht unumstritten. Zunächst hatte die Bildungsverwaltung denn auch eine Stundenkürzung ausgeschlossen. Allerdings fand sich offenbar keine mehrheitsfähige Alternative: Gegen andere Vorschläge, etwa eine Kürzung der Profilstunden oder insgesamt mehr Unterricht, gab es noch wesentlich mehr Widerstände.

Die Diskussion erinnerte letztlich an das Jahr 2006, als - nach der Ermordung der 23jährigen Berlinerin Hatun Sürücü durch ihre Brüder - die Einführung des Faches Ethik diskutiert worden war: Auch damals sollte die Stundentafel nicht erhöht werden, weshalb kurzerhand bei der Politischen Bildung gespart wurde. In der Folge gab es die Vorgabe, dass im Fach Geschichte ein Drittel der Zeit durch Politik-Inhalte gefüllt werden sollte. Das aber funktionierte nicht so wie erhofft. Die Verdrängung des Faches wurde noch dadurch erleichtert, dass es dafür keine separate Note gab.

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) neben Vertretern des Landesschülerausschusses.
Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) neben Vertretern des Landesschülerausschusses.
© Susanne Vieth-Entus

Schulleiter warnen vor "Schubladendenken"

Auch die Vereinigung der Berliner Leiter von Integrierten Sekundarschulen (BISS) hatte sich vergangene Woche zu Wort gemeldet und plädierte für die Schaffung größerer Lerneinheiten oder Lernbereiche, beispielsweise die Zusammenfassung der Fächer Geschichte/Politische Bildung, Erdkunde und Ethik zum Lernbereich Gesellschaft an Schulen - genau so, wie es jetzt passieren soll.

Der BISS-Vorstand legte zwar Wert auf die Feststellung, "dass er die Bedeutsamkeit politischer Bildung erkennt und betont". Allerdings könnten Schulen politische Bildung auch anders vermitteln. Als Bespiele nannte die Schulleitervertretung themenspezifischer Projekte - etwa im im Rahmen von „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ oder „Lernen durch Engagement“.

Es gebe auch „Tage der Vielfalt, Tage der Erinnerung oder Europa-Tage“. Jedenfalls müsse im Fokus globales, vernetztes oder ganzheitliches Lernen stehen und nicht ein fächerzentriertes „Schubladendenken“.

"Politik ist ein großer Farbmix"

Die Schüler haben allerdings zu oft erlebt, dass es ohne diese oragisatorischen "Schubladen" mit dem Fach Politik nicht funktionierte: Es fand einfach nicht statt. Als der gefundene Kompromiss am Mittwoch kommuniziert wurde, erklärte LSA-Sprecher Kloth nochmal mit seinen Worten, was er sich von systematischem Politikunterricht verspricht: "Politik ist ein großer Farbmix. Je nachdem, wo Du herkommst, bringst Du Deine eigenen Farben mit. Politische Bildung zeigt Dir, wie Du eigene und fremde Filter durchschaust. Dann kannst Du Dir Deine Farben nach der Schule selbst zusammenmischen".

Zur Startseite