Fall "Piatto" steht im Mittelpunkt: NSU-Untersuchungsausschuss in Brandenburg beginnt
Als siebtes Bundesland hat nun Brandenburg einen NSU-Untersuchungsausschuss eingesetzt. Am Dienstag trifft sich das Gremium zum ersten Mal.
Nun zieht auch Brandenburg nach: Im Landtag nimmt jetzt ein NSU-Untersuchungsausschuss seine Arbeit auf. Seine Aufgabe ist es vor allem, Verwicklungen und Versäumnisse des brandenburgischen Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit der Mordserie des Terror-Trios und beim Einsatz von V-Leuten in der Neonazi-Szene zu untersuchen.
Wenn sich das Gremium am Dienstag konstituiert, nichtöffentlich, wird es zunächst um Formalien und Verfahrensfragen gehen. Die erste reguläre Sitzung ist für den 1. September angesetzt. Es ist der siebte NSU-Untersuchungsausschuss, den es in Landtagen und dem Bundestag inzwischen gibt. Man will sich austauschen, Doppelarbeit vermeiden. „Wir wollen von den Erfahrungen, vom Know-how der anderen profitieren“, sagte der Vorsitzende des Ausschusses, Ex-Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD), am Montag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz aller Obleute zum Start. Zu möglichen Zeugen, die vernommen werden, hielt sich Rupprecht bedeckt.
Alle Parteien wollen zusammenarbeiten
Doch ein Name rückt ins Visier: Es ist der Fall „Piatto“, der Brandenburg einholt, und der den Untersuchungsausschuss auslöste: „Piatto“ ist der Deckname des früheren V-Mannes Carsten Szczepanski, einem selbst Anfang der 90er Jahre wegen Mordversuchs an einem Nigerianer verurteilten Schwerkriminellen aus der rechten Szene. Durch den hatte die hiesige Verfassungsschutzbehörde schon im Sommer 1998 Hinweise auf das NSU-Trio, auf untergetauchte sächsische Skinheads, „zwei Männer und eine Frau“, die dabei seien, Waffen zu besorgen.
Es war einer der wenigen Hinweise, die es überhaupt auf Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gab, bevor die ab 2000 ihre Serie von Morden an neun Migranten und einer Polizistin starteten. V-Mann-Führer von „Piatto“ war Gordian Meyer-Plath, heute Sachsens Verfassungsschutzchef. Zwar hatte Brandenburg damals andere Verfassungsschutzämter informiert, allerdings allgemein. Den Thüringer Behörden, die per Haftbefehl nach dem Trio suchten, hatte Brandenburg damals nähere Angaben zur Quelle verweigert. So steht die Frage im Raum, ob die NSU-Mordserie womöglich hätte verhindert werden können, wenn sich Brandenburgs Behörden damals anders verhalten hätten.
Der Fall „Piatto“ werde eine zentrale Rolle einnehmen, sagte Rupprecht. „Wir müssen uns mit dem Mann befassen. Das ist unser Auftrag.“ Er tauche in mindestens 14 der 34 Fragen des Untersuchungsauftrages auf. Die Einsetzung des NSU-Untersuchungsausschusses hatte der Landtag im April einstimmig beschlossen. Alle Parteien versprechen, bei der Aufklärung zusammenzuarbeiten.
In der Geschichte der Untersuchungsausschüsse im seit 1990 ununterbrochen von der SPD regierten Brandenburg wäre das allerdings ein Novum. In den letzten U-Ausschüssen zur Krampnitz–Affäre und zur Bodenreform-Affäre, beide in der letzten Wahlperiode, hatten vor allem die SPD-Obleute alles darangesetzt, Verstrickungen und Versäumnisse von SPD-Ministerien zu relativieren.
Fragen für die Bekämpfung des Rechtsextremismus
Diesmal versicherte SPD-Obmann Björn Lüttmann, parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion und selbst seit 2014 im Landtag: Die SPD werde zu „vollumfänglicher Transparenz“ beitragen. Und zwar unabhängig davon, so Lüttmann, ob es um die 90er Jahre und „unseren Innenminister“ gehe, den heutigen SPD-Abgeordneten Alwin Ziel, oder später um den CDU-Innenminister – es war Jörg Schönbohm – in der Zeit der NSU-Taten. Er verwies auf die Dimension beim NSU, die sich von „profanen“ Untersuchungsausschüssen wie um Finanzen unterscheide. „Hier geht es um eine Mordserie, die zehn Menschenopfer gefordert hat, um die Grundsatzfrage der Abwehr von Rechtsterrorismus.“
Und einig sind sich auch alle, dass es nicht allein um Geschichte, sondern um hochaktuelle Fragen und Konsequenzen für die Bekämpfung des Rechtsextremismus gehen soll. Es müsse geklärt werden, ob es personelle Kontinuitäten in der Neonazi-Szene von den 90er Jahren bis heute gebe, sagte Ex-Justizminister Volkmar Schöneburg, Obmann der Linken.
Und die Grünen-Obfrau, die Innenexpertin Ursula Nonnemacher, verwies auf die nach einem Brandanschlag in Nauen ausgehobene Neonazi-Zelle. „Wir haben gute Gründe, da ganz, ganz genau hinzuschauen.“ Zum Untersuchungsauftrag gehört aber auch, betonte CDU-Obmann Jan Redmann, ob Brandenburgs Innenministerium gegenüber dem NSU-Prozess in München oder anderen NSU-Untersuchungsausschüssen gemauert hat, etwa durch restriktive Aussagegenehmigungen oder bei Akten. Entsprechende Vorwürfe hatte es von Opferanwälten gegeben, aber auch von Petra Pau, der Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses im Bundestag.
Sorgen, dass das Innenministerium mauert, hat zumindest Rupprecht nicht. „Ich habe das Gefühl, dass es eine große Bereitschaft gibt, mit uns zu kooperieren.“ Wie belastbar das sei, fügte Redmann hinzu, werde man allerdings erst sehen. Für 2016 sind zunächst vier weitere reguläre Sitzungen geplant, die nächste am 1. September. Und sie sollen in der Regel öffentlich sein, versicherte Rupprecht, wofür noch ein veraltetes Gesetz geändert werden soll.