Ein Jahr nach den Krawallen: Freital - Sachsens Keimzelle für Fremdenhass
Freital ist zum Synonym für Fremdenfeindlichkeit in Sachsen geworden. Am Mittwoch ist Jahrestag der Anti-Asyl-Krawalle, am Samstag wollen Neonazis in Freital wieder aufmarschieren.
Die Neonazis sind in Feststimmung. Ein Jahr nach den teilweise gewalttätigen Demonstrationen am ehemaligen Leonardo-Hotel in Freital mobilisieren Asylgegner für diesen Samstag zur "Ein-Jahr-Feier" nahe der Flüchtlingsunterkunft, die nach einem Beschluss des Landkreises vom Mai schrittweise geräumt werden soll. Zuletzt lebten dort 330 Asylbewerber.
"Wir haben es geschafft! Wir haben gezeigt, dass sich Widerstand lohnt!", erklären die Veranstalter. Als "Gäste" angekündigt haben sie führende Rechtsextremisten aus dem In- und Ausland. Erwartet werden unter anderem der sächsische Landeschef der Partei "Die Rechte", Alexander Kurth aus Leipzig, NPD-Mann David Köckert vom thüringischen Pegida-Ableger Thügida, den mehrfach wegen Gewaltstraftaten verurteilte Gründer des Potsdamer Pegida-Ablegers Pogida, Christian Müller, sowie der Schweizer Rechtsextremist Ignaz Bearth. Anmelder ist nach Informationen der "Sächsischen Zeitung" der Dresdner Rechtsanwalt Jens Lorek, der schon mehrfach bei fremdenfeindlichen Demos in Freital und auch als Organisator bei Pegida in Dresden auftrat.
Auch eine Gegendemonstration der "Organisation für Weltoffenheit und Toleranz" soll es geben, Motto: "Solidarität statt Ausgrenzung". Offenbar, um Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Demonstranten zu verhindern, untersagte das Landratsamt als Versammlungsbehörde am Dienstag Proteste unmittelbar am ehemaligen Leonardo-Hotel und wies den Organisatoren der beiden Kundgebungen andere Plätze in der Stadt zu.
Die Eskalation der Anti-Asyl-Proteste vor einem Jahr hatte Freital zum Synonym für Fremdenfeindlichkeit in der sächsischen Bevölkerung gemacht. Als die Unterkunft im ehemaligen Hotel von den Behörden überraschend zur Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende erklärt wurde, entlud sich der Volkszorn gegen das angebliche "Glücksritter-Heim". Pegida-Chef Lutz Bachmann hetzte auf Facebook gegen die "Überrumpelungsaktion", bei der "unangemeldet 150 Asylanten angekarrt" worden seien. "Das muss ein Ende haben! Auf die Straße! Wehrt Euch!" Er kam dann auch selbst noch am ersten Abend der Spontanproteste zu der Flüchtlingsunterkunft.
Die Betreiber der Facebook-Seite "Freital wehrt sich. Nein zum Hotelheim" kündigten damals an, der sächsischen Stadt die "entscheidende Rolle für ein Ende der Asylwirtschaft" zu geben. Kommentatoren dort schrieben: "Kauft Euch Hunde, bringt Frauen und Kinder in Sicherheit!" Auch zu einem Brandanschlag gegen den Bus mit den Asylsuchenden wurde aufgerufen: "Kann nicht jemand auf den Tank vom Bus schießen?" Es war ein Aufruf, der später sogar Eingang in den sächsischen Verfassungsschutzbericht fand. Die Polizei reagierte damals verspätet - und aus Sicht von Flüchtlingsaktivisten auch falsch.
Tagelang wurde vor dem Heim demonstriert. Rechtsextremisten gingen mit einem Baseballschläger auf die Teilnehmer einer Willkommensdemo in Freital los, später wurde auf das Auto eines Linken-Stadtrats ein Sprengstoffattentat verübt.
Auch im kürzlich vorgestellten Amnesty-Bericht "Leben in Unsicherheit - wie Deutschland die Opfer rassistischer Gewalt im Stich lässt" ist Freital eine längere Passage gewidmet. Enthalten ist der Hinweis, dass die Demonstrierenden im Juni 2015 in Freital mehrere Gewaltdelikte wie Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung begangen haben.
Vor allem aber wurden die Aktionen in Freital zum Auftakt einer ganzen Serie fremdenfeindlicher Aktionen in Sachsen, von den tagelangen gewalttätigen Protesten im August gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in einem ehemaligen Baumarkt in Heidenau bis zur Blockade eines Busses im Februar durch einen Mob aufgebrachter Bürger in Clausnitz im Erzgebirge.
Parallel entwickelte sich Freital zur Keimzelle einer Bürgerwehr, gegen die die Bundesanwaltschaft inzwischen wegen Verdacht des Rechtsterrorismus ermittelt. Ein Aufschrei ging trotzdem nicht durch die Stadt - eher drängte sich Beobachtern der Eindruck einer Mischung aus Wegschauen, Verdrängen und Versagen auf.
Oberbürgermeister Uwe Rumberg (CDU) lässt sich mit der Aussage zitieren: "Eine Neonaziszene, wie man sie klischeehaft aus den 1990ern kennt, gibt es in Freital nicht." In der Stadt Freital sei kein Platz für Menschenfeindlichkeit, Extremismus, gewaltbereite Demonstranten und aggressive Auseinandersetzungen, "auch des Nachts ist es in Freital friedlich". Die ganz überwiegende Mehrheit in Freital "sind friedliebende, fleißige Bürger, die hier gern leben, hier gern arbeiten", versichert Rumberg. "Es macht uns sehr betroffen, dass eine Minderheit das Ansehen unserer Stadt in so hohem Maße nachhaltig beschädigt hat."
"Warum ist Sachsen so rechts?" - diese Frage wird auf dem Tagesspiegel-Debattenportal Causa gestellt. Zur Diskussion mit Beiträgen von Annedore Bauer, Martin Dulig, Anna Kaleri, Jürgen Kasek, Frank Kupfer, Juliane Nagel und Peter Wawerzinek geht es hier.
Matthias Meisner