NSU-Prozess: Brandenburg will Akten zu V-Mann freigeben
Erst erteilte Brandenburgs Innenministerium einen Sperrvermerk für die Unterlagen zum V-Mann „Piatto“. Nun soll die Geheimhaltung wieder aufgehoben werden.
Brandenburg gilt bundesweit als vorbildlich, wenn es um die Konsequenzen aus dem Morden des Neonazi- Terror-Trios NSU geht. Frühere Todesfälle wurden von unabhängigen Experten auf einen rechtsextremistischen Hintergrund überprüft, bei der Polizei wurde hart durchgegriffen, rechte Straftaten sollen nicht mehr unentdeckt bleiben. Doch in einem Fall steht noch immer der Verdacht von Verstrickungen eines brandenburgischen V-Manns in den NSU-Komplex im Raum – und Brandenburgs Innenministerium befeuert ihn selbst immer wieder – mit Sperrvermerken für den NSU-Prozess in München.
Es geht um Carsten Sz., der als V-Mann unter dem Decknamen „Piatto“ für Brandenburgs Verfassungsschutz spitzelte. 1998 lieferte einen der wenigen Hinweise überhaupt zu den damals gerade erst untergetauchten Thüringer Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe.
Demnach wollte sich das Trio Waffen für Banküberfälle besorgen, um die Flucht nach Südafrika zu finanzieren. Die brisanten Hinweise versickerten aber: Brandenburgs Verfassungsschutz mauerte bei ihrer Verwertung in Sachsen und Thüringen. Mit schrecklichen Folgen: Der NSU erschoss zehn Menschen, verübte Sprengstoffanschläge sowie Raubüberfälle. Mit dem, was „Piatto“ ablieferte, hätte das Trio schon früh gestoppt werden können. Nicht geklärt ist, welche Rolle der militante Neonazi Sz. bei der Waffenbeschaffung gespielt hat.
Auf Druck der Linken gab es Einigung
Zurück nach München: Ende Juli hat der Strafsenat einen Aktenordner beschlagnahmt, den ein Brandenburger Verfassungsschützer zu seiner Zeugenvernehmung über „Piatto“ dabei hatte. Brandenburgs Innenstaatssekretär Matthias Kahl (SPD) verhängte dann im August eine Sperre gegen die Sichtung der Unterlagen.
Kahl warnte, dass die Akten die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes offenbart und verwies auf Nachteilen für das „Wohl des Bundes und eines deutschen Landes“. Daraufhin forderten mehr als 30 Opferanwälte Mitte September vom Gericht, sich für die Aufhebung der Sperre einzusetzen – und notfalls eine Razzia im Ministerium anzuordnen.
Nun lenkte Brandenburgs Innenministerium ein und will die „Piatto“-Akten doch freigeben. Auf Druck der Linken einigte sich die Koalition darauf, dass das Ministerium seine Blockade aufgibt. Man wolle das Anliegen des Gerichts „wohlwollend prüfen“, hieß es aus dem Ministerium. Auch von außen war der Druck groß: Nicht nur durch Opferanwälte, sondern auch durch Bundespolitiker, die den Fall „Piatto“ in einem möglichen zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages näher prüfen wollen.
Bereits vor einem Jahr gab es Querelen
Bereits vor einem Jahr hatte es Querelen zwischen Innenministerium und Strafsenat im Fall „Piatto“ gegeben – es ging um die Vernehmung des unter neuen Identität und unter Polizeischutz lebenden Sz. vor Gericht. Das Ministerium wehrte sich erst mit einem Sperrvermerk gegen eine Aussage, forderte dann eine Vernehmung per Videostream. Opferanwälte und die Linke protestierten. Schließlich gab das Minister nach, wies aber den Verdacht zurück, dass eine Aussage des Ex-V-Mannes verhindert werden sollte. Schließlich gab es von Sz. vor Gericht wenig Erhellendes zu hören.
Beobachter vermuten hinter den wiederholten Schikanen aus Potsdam im Fall „Piatto“ die Sorge vor neuen Enthüllungen. Denn die Umstände der Anwerbung von Sz. 1994 in Haft – nach einem Mordversuch an einem Nigerianer – und seiner vorzeitigen Entlassung sind dubios.
Der Verdacht besteht, dass der Verfassungsschutz die Justiz täuschte. Das Innenministerium hatte stets jede Verantwortung zurückgewiesen. Experten dagegen sprechen von bislang nicht aufgeklärten Verstrickungen – auch weil fraglich ist, ob alle Akten zu „Piatto“ dem Untersuchungsausschuss des Bundestages und dem Münchner Gericht zur Verfügung gestellt worden sind.