Berlin stellt Obdachlose an Rummelsburger Bucht vor die Wahl: Kleckx und Hippie wollen in keine Unterkunft
Der Senat startet keine Kältehilfe auf dem größten Obdachlosencamp. Bewohner können in Unterkünfte gehen. Befürchtete Ausweiskontrollen soll es keine geben.
Die Luft ist feucht an diesem Donnerstagmorgen, nasser Nebel zieht über die Rummelsburger Bucht. Auf einer Brache beginnen Arbeiter ihre Schicht. Sie verlegen Rohre, reißen eine große Furche durch die Erde. Daneben sammelt sich in Campingzelten eine Mischung aus Obdachlosen und Leuten, die gegen die Bebauung demonstrieren.
"Wir gehen hier nicht weg", sagt eine junge Frau mit Dreads, die sich vor ihrem Zelt einen Tee kocht. Sie wohnt eigentlich in einer Wohngemeinschaft in Neukölln. "Dort vorne ist das größte Obdachlosencamp in Deutschland und die Stadt will hier ein Aquarium bauen", ruft sie. Gemeint ist die umstrittene Touristenattraktion "Coral World", Baubeginn 2020.
Tiefer in der Brache leben rund 140 Personen, es lässt sich nicht genau sagen. In Zelten, in Behausungen, in Hütten. Es ist geteilt in deutschsprachige Obdachlose und einer kleinen Stadt aus Rumänen und Bulgaren. Von denen ist an diesem Morgen niemand da. "Die sind alle arbeiten", ruft jemand, er stellt sich als Kleckx vor. Mit seinem Kumpel, der sich Hippie nennt, sitzt er an einem Feuer. Viele sind auch über den Winter anderweitig untergekommen, ihre Hütten stehengeblieben.
Um Kleckx und Hippie stehen aufgetürmte Einkaufswagen, Paletten, Fahr- und Leihräder. Keine Kunst, sondern Sichtschutz. Der Eingang zu einer Welt, in der Müll Baumaterial bedeutet. Weiter rein, zwischen den Bäumen, durch den Müll, der auch hier nur noch Müll ist: immer kleinere Zelte, ein Wohnwagen, Plastikflaschen, ausgelöschte Feuerstellen, Einkaufswagen voll mit Flaschen oder Wäsche, Morast, Matsche, Unterhosen an einem Wäscheständer. Aus einem Zelt kriecht ein Mann, reckt sich, geht Pissen am Rand des Camps. "Pass auf, sonst endest du auch hier", sagt er lachend.
Bezirk und Senat streiten um Zuständigkeit
Der Bezirk Lichtenberg und die Stadt Berlin haben darüber gestritten, wer für die Leute auf der Brache zuständig ist. Im letzten Winter waren Sozialarbeiter von Karuna aktiv, brachten Paletten gegen die Ratten, eine Bio-Toilette, einen großen Müllcontainer. In diesem Dezember quillt der Container über, die Toiletten sind weg, die Ratten wieder da. Die Sozialarbeiter kommen und kümmern sich, aber ein Kältehilfeprogramm vor Ort wird es nicht geben.
Bei einem Treffen am Dienstag im Rathaus Lichtenberg haben Bezirk und Senat beschlossen, die Obdachlosen vor die Wahl zu stellen: sie können in eine Notunterkunft an der Köpenicker Allee ziehen, wo eine ehemalige Unterkunft für Geflüchtete hergerichtet wird. Bis Mai stehen ihnen dort auch Beratungsangebote zur Verfügung, teilte die Senatsverwaltung mit. "Die Menschen entscheiden alleine, ob sie Unterstützung und Beratung annehmen. Jetzt, und auch im Mai", twitterte Elke Breitenbach, Sozialsenatorin von Berlin.
Sozialarbeiter werden die Bucht-Bewohner über das Angebot informieren, sagte Stefan Strauß, Sprecher der Senatsverwaltung, auf Nachfrage. "Über die detaillierte Verfahrensweise und Formalitäten bis zum geplanten Bezug der Unterkunft Anfang 2020 wird es in den kommenden Tagen eine Abstimmung geben mit allen Beteiligten."
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Kleckx und Hippie werden das Angebot wohl nicht annehmen. Hippie, über 40 Jahre alt, wird es sich "mal anschauen gehen", aber er habe schlechte Erfahrungen mit diesen Unterkünften gemacht. "Da stellen sie dein Leben auf dem Kopf", meint er.
Der 32-jährige Kleckx wird auch nicht nach Karlshorst ziehen. "Ne, vorher verlasse ich das Land oder bau mir eine Hütte im Wald." Er will keine Wohnung, versichert er. "Ich finde mein Leben ganz nett." Er beziehe keine Leistungen und erwarte keine Hilfe.
"Wir wollen ja so leben", sagt "Hippie" laut. "Wenn hier einer wirklich von der Straße will, würde er das auch machen, es gibt ja Angebote genug." Viele hier seien ohnehin minderjährig, für die gebe es immer Hilfsprogramme.
Senat: Es wird keine Ausweiskontrollen geben
Aber für die Meisten an der Bucht ist das nicht so einfach: Bei einer Notunterkunft werden meistens die Personalien aufgenommen, was einige nicht möchten. Entweder, weil sie gesucht werden, noch offene Strafbeträge abzubezahlen oder Vorstrafen haben - oder einfach, weil sie über keinen Personalausweis oder keine Krankenversicherungskarte verfügen.
Oder weil sie sich weigern, registriert zu werden. Sie möchten ihren richtigen Namen nicht mehr hören, ihr altes Dasein, von dem nur noch der Name auf dem Ausweis übrig ist, hinter sich lassen und vergessen, nicht daran erinnert werden. Sie wollen keine Fragen zu ihrer Vergangenheit hören, nichts dazu wissen, wie es soweit kommen konnte, wie sie hier gelandet sind. Ein Bett, etwas zu Essen, ein Bier, eine Dusche: das alles würden sie gerne nehmen. Aber ohne Fragen, ohne kümmernde Blicke, auf sie gerichtet, ohne Belehrungen. Kleckx und Hippie schätzen, dass rund die Hälfte der Bucht-Bewohner das neue Hilfsangebot annehmen werden.
Am Freitag teilte die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales aber mit, dass es keine Pass- oder Ausweiskontrollen geben werden. „Alle Einrichtungen der Kältehilfe stehen allen obdachlosen Menschen zur Verfügung, unabhängig von Herkunft, Sozialversicherung und sozialem Status“, schrieb Sprecher Stefan Strauß.
"Mit dem neuen Angebot erreicht die Stadt die Räumung"
"Mit dem neuen Angebot erreicht die Stadt die Räumung", kritisiert Kleckx die Hilfe des Senats. "Wir sollen so weit weg wie möglich." Viele wollen die Bucht nicht aufgeben und fragen sich, was aus ihren Behausungen wird, wenn sie wieder zurück wollen im Mai. Derzeit würden sie sich beraten und wollen Gegenangebote einfordern: ein anderes Grundstück zum Beispiel, auf dem sie selbstbestimmt leben können.
"Eine Brache mit Toilette und Wasser, mehr brauchen wir nicht. Dann gehen wir dort hin." Angst vor dem Kältetod hat Kleckx nicht: "Kältetote sind Einzelgänger. Hier an der Bucht passen wir aufeinander auf."