Deutschlands größtes Obdachlosencamp: So wollen die Menschen in der Rummelsburger Bucht den Winter überleben
Im letzten Jahr erhielt das Camp in Lichtenberg noch Kältehilfe vom Senat. Dieses Jahr fällt sie aus. Das bringt neue Probleme. Ein Besuch.
Es riecht nach Rauch im Obdachlosencamp in der Rummelsburger Bucht. Zwei Männer stehen um eine Feuertonne, wärmen ihre Hände. Hinter getürmten Einkaufswagen sitzt eine Gruppe um ein Lagerfeuer. Alle versuchen sich warm zu halten, denn in diesem Jahr stellen weder der Senat noch der Bezirk Lichtenberg Kältehilfe für die Obdachlosen bereit. In rund 83 Zelten und improvisierten Hütten wohnen zwischen 130 bis 160 Menschen unterschiedlicher Herkunft – das wohl größte Obdachlosencamp Deutschlands.
"Letztes Jahr war die Situation in der Bucht verheerend, überall waren Müllberge und Ratten“, sagt Lutz Müller-Bohlen. Seit einem Jahr fährt er für die Obdachlosenhilfe Karuna den Kältebus durch die Stadt. Der Senat hat mit Karuna kurzfristig interveniert und Wärmezelte, Ökotoiletten, Holzunterlagen und kleine Zäune zur Abwehr von Ratten bereitgestellt.
„Anfang Mai dieses Jahrs hat die Deutsche Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft (DSK) aber alles abgebaut und seitdem fühlt sich niemand mehr für die Fläche verantwortlich," sagt Müller-Bohlen weiter.
Senat kann nicht mehr helfen, weil sich das Camp auf privatem Grundstück befindet
Für diesen Winter gibt es bisher keine Hilfe vom Senat. Der Grund: Im letzten Jahr befand sich das Camp auf einem öffentlichen Grundstück. Doch die Stadt hat das Grundstück an den Investor des Großraumaquariums „Coral World“ verkauft. Da sich das Camp nun auf privaten Grundstück befinde, könne der Senat nicht helfen, wie der Tagesspiegel-Bezirks-Newsletter berichtete.
Allerdings gehört noch ein kleiner Teil des Grundstücks der Stadt. Die Flächen direkt am Radweg, auch dort campen Obdachlose. Die Senatsverwaltung hat immer betont, nicht räumen zu wollen. Für das Grundstück sei aber primär der Bezirk zuständig, sagt Sozialsenatorin Elke Breitenbach. Das letzte Jahr sei eine Notsituation gewesen, da habe der Senat kurzfristig interveniert.
Senat und Bezirk streiten sich um Zuständigkeit - und der Winter naht
Sie betont, dass der Senat sich nicht aus der Verantwortung ziehe, man sich aber nicht über den Kopf des Bezirkes hinweg entscheiden wollen. Der Bezirk müsse nur die Hilfe beim Senat beantragen - dann könne der Senat sofort helfen. Lichtenbergs Baustadträtin Birgit Monteiro (SPD) sieht das anders. Auf Anfrage sagt sie, der Senat sei für die Kältehilfe zuständig, da es sich offensichtlich um ein landeseigenes Grundstück handele.
Während sich Senat und Bezirk darüber streiten, wer für das Grundstück zuständig ist, rückt der Winter an. Die Tage werden kälter und in der Nacht fallen die Temperaturen bereits auf null Grad. Wie gehen die Camp-Bewohner mit der Kälte um?
„Zwiebeln“, sagt Fiona. Das ist nicht ihr richtiger Name. Sie wohnt seit Mai dieses Jahrs in der Bucht und sagt, sie spreche für das Camp. Die Bewohnerinnen und Bewohner tragen Kleidungsschicht über Kleidungsschicht um den Winter zu überstehen. Doch das reiche nicht aus, sagt sie. Trotz Daunendecken und Kleidung sei es in der Nacht richtig kalt.
„Natürlich haben manche Bewohner Angst, zu erfrieren,“ sagt Fiona. Auch sie habe Angst, dass manche einschlafen und nicht mehr aufwachen. Sie wohnt in einem Wohnwagen in der Mitte des Bucht-Camps. Den hat sie sich gekauft, bevor sie in die Bucht kam. In ihrem Wohnwagen komme sie mit der Kälte natürlich einigermaßen klar.
Die anderen Bewohner wohnen aber in Zelten oder Hütten. Ein Freund von ihr sei vor Kurzem auch krank geworden und wollte in ihrem Wohnwagen unterkommen, doch leider habe Fiona nur für sich und ihren Freund Platz.
Die Kälte verändert das Verhalten der Bewohner. „Sie sitzen den ganzen Tag um ein offenes Feuer und können nicht viel anderes machen,“ sagt Müller-Bohlen. Je kälter es auch werde, desto mehr Energie werde verbraucht, beobachtet er.
Warum Sozialwohnungen und Notunterkünfte nicht immer die Lösung sind
Fiona versteht nicht, warum die Stadt Geld für Bauprojekte investieren kann und aber nicht für ihre eigenen Bürger - die zum Teil auch echte Berliner seien. „Das leichteste wäre es, einfach zwei Container hinzustellen“, sagt sie.
Das findet auch Müller-Bohlen: Eine Sozialwohnung für eine Person würde dem Staat pro Monat 500 Euro kosten. Dabei sei es viel einfacher und günstiger, umfangreiche Kältehilfe im Camp zu leisten.
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Für die meisten Bewohner sei es eine freie Entscheidung in der Bucht zu wohnen, sagt Müller-Bohlen. Die Bewohner in Sozialwohnungen unterzubringen sei in vieler Hinsicht problematisch, sagt er. Hier in der Bucht haben sie ein Gemeinschaftsleben, dass ihnen in Sozialwohnungen fehlen würde. Außerdem seien die persönlichen Geschichten der Bewohner unterschiedlich, doch alle seien von Beziehungsabbrüchen geprägt – sei es von der Familie, von Freunden oder dem Beruf.
Auch Notunterkünfte seien für viele Bewohner keine Option, sagt Fiona. Die meisten verbieten es, ihren Hund mitzubringen. Das gehe für viele nicht, denn schließlich sei Hund für viele Obdachlose der beste Freund. Auch Fiona würde niemals in eine Notunterkunft gehen.
Es gebe zwar einige gute, doch in den meisten rieche es nach Urin und Erbrochenen. Außerdem würde man sich auch „zu 100 Prozent mehr Krankheiten einholen“, sagt sie. Bevor sie dann in so eine Unterkunft komme, möchte sie lieber in der Bucht bleiben – und frieren.
Lisa Kim Nguyen