SPD-Ausschluss von Sarrazin: Keine Entscheidung im Fall des Ex-Finanzsenators
Das SPD-Landesschiedsgericht hat über den Parteiausschluss Thilo Sarrazins beraten, aber noch nicht entschieden. Er will durch alle Instanzen gehen.
Im Ausschlussverfahren der SPD gegen den Buchautoren und Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin, das am Freitagabend in zweiter Instanz verhandelt wurde, ist noch keine Entscheidung gefallen.
Bereits im Juli hatte das Schiedsgericht des SPD-Kreisverbands Charlottenburg-Wilmersdorf dem 74-jährigen Genossen „antimuslimische und kulturrassistische Äußerungen“ vorgeworfen, außerdem habe er die innerparteiliche Solidarität verletzt, der Partei schweren Schaden zugefügt und erheblich gegen die Grundsätze der Sozialdemokratie verstoßen. Gegen die Entscheidung, ihn deshalb aus der SPD auszuschließen, ging Sarrazin in Berufung.
Die mündliche Beratung in der Weddinger Zentrale der Berliner SPD, die gute zwei Stunden dauerte, wurde von der Landesschiedskommission geführt. Vorsitzender ist Nikolaus Sander, in den neunziger Jahren Mitglied des Abgeordnetenhauses und Kreischef der SPD Zehlendorf.
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Nach der Verhandlung kündigte Sander an, dass über die Berufung Sarrazins zeitnah entschieden werde. Die Schiedskommission hat laut Satzung bis zu drei Wochen Zeit, ein Urteil zu fällen. Sarrazin teilte nach der Sitzung mit, dass er im Verlauf der mündlichen Beratung dem SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil um Zitate aus seinem Buch "Feindliche Übernahme" gebeten habe, die den Vorwurf des Rassismus belegen könnten. Trotz mehrfacher Nachfrage habe Klingbeil dies nicht getan, sondern "er wand sich stets in inhaltsleeren Allgemeinplätzen", so Sarrazin. Der Vorwurf des Rassismus sei damit für ihn ausgeräumt.
Parteiausschluss Sarrazins wird wahrscheinlich bestätigt
Parteiintern wird aber damit gerechnet, dass das Landesschiedsgericht der Berliner SPD den Parteiausschluss bestätigt. Sarrazin will in diesem Fall das Bundesschiedsgericht als letzte innerparteiliche Instanz anrufen. Sollte auch dort entschieden werden, dass der ungeliebte Genosse sein Parteibuch nach 46-jähriger Mitgliedschaft abgeben soll, will Sarrazin alle ordentlichen Gerichte, die dafür zuständig sind, befassen. Dies sind das Landgericht und das Kammergericht Berlin, dann der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht. Das kann Jahre dauern.
Sarrazin ist davon überzeugt, dass er letztlich SPD-Mitglied bleibt. Bisher habe niemand aus der SPD-Führung belegen können, was an seinen Büchern sachlich falsch sei, sagte er am Freitag laut dpa. „Ich lasse mir meinen Ruf als Sachbuchautor nicht kaputtmachen.“
Grundlage der Diskussion sind aus Sicht des SPD-Bundesvorstands ein gemeinsames Gutachten der Historikerin Yasemin Shooman und der Islamexpertin Sarah Albrecht, außerdem eine Stellungnahme der Islamwissenschaftlerin Johanna Pink. Sie haben vor allem das letzte Buch Sarrazins („Feindliche Übernahme“) unter die Lupe genommen haben.
Beide Seiten stützen sich auf Islamwissenschaftler
Der frühere Finanzsenator und Bundesbanker kontert mit einem Gutachten des Orientalisten Tilman Nagel, der in Zweifel zieht, dass die Vorwürfe der drei Kolleginnen gegen Sarrazins Buch wissenschaftlich begründet sind. Darum gehe es, und nicht um die Frage, ob einem Sarrazins Aussagen gefallen. Nagel ist Autor von Standardwerken über den Islam und gilt seit Jahrzehnten als kritischer Kenner dieser Religion.
Die große Keule wurde, wie berichtet, von Sarrazin schon vor der Verhandlung gegen Yasemin Shooman rausgeholt. Die Wissenschaftlerin war bis Herbst 2019 Leiterin der Akademieprogramme des Jüdischen Museums Berlin und wechselte dann zum Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in Berlin. Sarrazin und sein Rechtsbeistand Andreas Köhler, ein ehemaliger Berliner SPD-Abgeordneter, halten Shooman offenbar für befangen und werfen ihr dem Vernehmen nach antisemitische Verbindungen vor, vor allem zum palästinensischen Netzwerk BDS.
Shooman reagierte empört und sprach von Rufmord. „Wenn Herr Sarrazin meine wissenschaftliche Expertise zu diskreditieren versucht, so ist dies ein durchsichtiges Manöver“, sagte sie am Donnerstag dem Tagesspiegel. "Er will offenbar davon ablenken, dass er Muslime als eine geistig unterentwickelte, minderwertige und gefährliche Gruppe porträtiert und sich dabei rassistischer Argumentationsmuster bedient hat." Die Gutachter waren zur Verhandlung am Freitag nicht eingeladen.
"SPD unterscheidet sich nicht mehr von der Linkspartei"
Das Ausschlussverfahren hindert Sarrazin übrigens nicht daran, die aktuelle Politik der Bundes-SPD zu kritisieren. Das Programm, für das die neue Führung um Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans stehe, unterscheide sich nicht mehr von jenem der Linkspartei, schreibt er in einem Rundbrief an "liebe Freunde", zu denen auch eine Reihe von Sozialdemokraten gehören. Bildungseliten, Leistungsträger, Besserverdiener und der wirtschaftliche Mittelstand "können sich von der SPD nichts mehr erhoffen", so Sarrazin. Soweit sie Idealisten seien und eine utopische Gesinnung hätten, wären sie künftig bei den Grünen besser aufgehoben. Die SPD habe den Abschied aus der Mitte der Gesellschaft eingeleitet und "zugunsten abgestandener Träumereien hundert Jahre sozialdemokratischer Geschichte widerrufen".