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Raed Saleh spricht sich für Volksentscheide vor Richtungsentscheidungen in Berlin aus.
© dpa Picture Alliance

SPD-Fraktionschef Saleh zu Volksentscheiden: Keine Angst vor Demokratie!

Bei großen Richtungsentscheidungen soll das Parlament die Meinung der Bürger und Bürgerinnen einholen, meint SPD-Fraktionschef Raed Saleh.

In Berlin wird ständig diskutiert. Die Beteiligung der Bürger ist für Bauleitplanungen schon seit den 1970er Jahren rechtlich geregelt. Es wird informiert, einbezogen, die Abwägung der verschiedenen Interessen muss nachvollziehbar vollzogen werden. Auch für andere Zwecke gibt es vielfältige Beteiligungsverfahren, von der Zukunftswerkstatt bis hin zum bezirklichen Bürgerhaushalt. Abgeordnete bieten Sprechstunden an, genau wie Stadträte und Bezirksbürgermeister. Für fast jede Bevölkerungsgruppe werden Beiräte gewählt, vom Landesseniorenbeirat bis hin zu Kinder- und Jugendbüros. Die Einbeziehung der Bürgerschaft in politische Entscheidungen ist gelebter Alltag – und zwar seit Jahrzehnten. Berlin war nie eine Top-Down-Demokratie, der Austausch der Argumente und eine lebendige Stadtgesellschaft sind keine Neuerfindung.

Schon im letzten Jahrzehnt stellte die Stadt fest, dass Beratung und Dialog nicht ausreichen. Jeder gute Diskussionsprozess sollte auch in eine Entscheidung münden. Deshalb haben wir 2006 mehr direkt-demokratische Elemente eingeführt. Der Volksentscheid macht es möglich, dass die Bevölkerung selbst Entscheidungen trifft, die genauso verbindlich sind wie Parlamentsbeschlüsse.

Votum der Bevölkerung vor Großprojekten

Diese Instrumente sind ein Erfolg. Selbst wenn das Ziel nicht dem Inhalt des Begehrens entsprach – wie beim Volksbegehren zur Offenlegung der Wasserverträge – hat die Politik das Anliegen verstanden und die Wasserbetriebe zurückgekauft. Das Volksbegehren zum Energienetz hatte zwar technische Schwächen und scheiterte am Quorum, aber es hat die SPD in ihrem Ziel der Rekommunalisierung gestärkt und die Gründung eines Stadtwerks unterstützt. Beim Kita-Volksbegehren gab es eine zwar teure, aber gute Verhandlungslösung.

Es gibt also keinen Grund, vor direkter Demokratie Angst zu haben. Dazu gehört für mich aber auch, dass die Bevölkerung nach langen Diskussionen auch Entscheidungen treffen kann. Deshalb reagierten Stadtgesellschaft und Politik positiv auf meine Initiative vom Mai 2014. Damals forderte ich, vor einer möglichen Olympiabewerbung das Votum der Bevölkerung einzuholen. Der Wissenschaftliche Parlamentsdienst des Abgeordnetenhauses hielt dies für rechtlich möglich.

Wir sind damit, auch ohne Olympia, auf dem Weg zu noch mehr Mitsprache der Bevölkerung einen entscheidenden Schritt vorangekommen: Die Politik kann und wird sich künftig das Recht herausnehmen, die Stadtgesellschaft bei großen Projekten zu überzeugen – und ein Votum der Bevölkerung einzuholen. In Zukunft müssen wir bei wichtigen politischen Fragen nicht mehr warten, bis zwei Züge gegeneinander rollen und teure Planungsprozesse am Ende umsonst waren. Die Politik kann jetzt mutig sein und selbst das Votum der Bevölkerung zu großen Richtungsentscheidungen einholen. Die Mutigen sind also gestärkt und es gibt hinter diese Position kein Zurück mehr: Wer wird in Zukunft noch dagegen sein, das Volk bei wichtigen Großprojekten zu befragen?

Volksentscheid ist kein Wegducken

Es ist immer wieder umstritten, was überregional und was lokal entschieden werden kann. Eine reine Anwohner-Demokratie wäre unmöglich, denn dann würde es nirgendwo mehr BSR-Betriebshöfe geben, selbst gegen Kitas und Spielplätze gab es schon Bürgerinitiativen. Und auch Wohnraum will zwar jeder, aber keinen Wohnungsbau im eigenen Kiez. In diesem Spannungsfeld liegt der Mauerpark. Er wird nun auf Landesebene geplant, weil der Wohnungsbau ein zentrales Problem der Stadt ist. Größere Wohnungsbauvorhaben sind nach dem Berliner Baurecht schon seit Jahrzehnten auf Landesebene anzusiedeln.

Selbstverständlich wird das Parlament der Bevölkerung nur Fragen von herausragender überregionaler Bedeutung vorlegen. Ein mögliches Thema wäre der Ringschluss bei der Stadtautobahn. Sollte man für eine so weitreichende Planung die Berlinerinnen und Berliner nicht vorab befragen, um einen Konsens in der Stadtgesellschaft zu schaffen? Auch Privatisierungen von maßgeblichem Landesvermögen dürfen künftig nicht mehr an den Bürgern vorbei geschehen. Solche Privatisierungen, etwa von städtischen Unternehmen, sollten nicht im kleinen Kreis bei Kalbsleber und Rotwein, sondern von der ganzen Stadt entschieden werden.

Manche Konservative meinen, dass Politiker sich durch Volksabstimmungen vor wichtigen Entscheidungen wegducken. Ich glaube an das Gegenteil. Volksbefragungen brauchen eine Haltung und den Mut, sich der Bürgerschaft zu stellen. Wir dürfen Beteiligung allerdings nicht so verstehen, dass die Stadt nur diskutiert – die Berlinerinnen und Berliner müssen auch entscheiden können. Die Stadtpolitik der Zukunft wird durch mehr Beteiligung gestärkt und belebt.

Nimmt der Berliner Senat die Meinung der Bürger ernst? Lesen Sie hier mehr zum Thema der direkten Demokratie.

Raed Saleh

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