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Eine Frage des Volkes. Bislang könnte die Regierung in Berlin keine Volksabstimmungen initiieren.
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Nach der Olympia-Entscheidung: Berlin streitet um direkte Demokratie

SPD-Fraktionschef Raed Saleh will von der CSU lernen - denn in Bayern sollen die Bürger auf Betreiben "von oben" stärker in Großprojekte einbezogen werden. Ein Modell für Berlin, ausgerechnet nach der Olympia-Entscheidung?

Sind Großprojekte nur noch machbar, wenn die Bürger damit einverstanden sind? Nach dem Volksentscheid zum Tempelhofer Feld und nach der Olympiaumfrage, die zum Stolperstein für Berlin wurde, sieht es so aus, als wenn der Senat am Volk vorbei wichtige Dinge nicht mehr voranbringen kann. Im Wahljahr 2016 wird es voraussichtlich noch eine Volksabstimmung gegen hohe Mieten geben. Das könnte die rot-schwarze Koalition wieder in Bedrängnis bringen.

Denn es sind Bürgerinitiativen, Verbände und parlamentarische Opposition, die das Instrument der direkten Demokratie in Anspruch nehmen. Senat und Regierungsparteien können darauf nur reagieren. Auch die Meinungsumfrage zu Olympia, die der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) in Auftrag gab, war keine Initiative der Berliner Landesregierung. SPD und CDU hätten lieber Zeit gehabt, bis zu einer gesetzlich geregelten Bürgerbefragung im September für die Sommerspiele 2024 zu werben, um dann ein besseres Ergebnis für Berlin einzufahren.

Diese Chance hat jetzt Hamburg. Aber auch ohne Olympia hält es der SPD-Fraktionschef Raed Saleh für überlegenswert, zu anderen Themen „konsultative Bürgerbefragungen“ einzuführen. Als Beispiele nennt er den Verkauf öffentlichen Vermögens, die Verlängerung der Stadtautobahn A 100 über Treptow hinaus oder große Bauvorhaben, die den Landeshaushalt belasten. In solchen Fällen könnte die Regierung den Spieß umdrehen. Nicht zornige Bürger, sondern die Mehrheit im Abgeordnetenhaus könnte im Schulterschluss mit dem Senat eine Volksabstimmung anzetteln. Saleh hält es zwar für besser, solche Befragungen „perspektivisch“ in der Verfassung zu regeln, aber es reiche auch ein normales Gesetz.

Der Berliner SPD-Fraktionschef orientiert sich damit an der CSU. Die bayerische Staatsregierung setzte gegen den Widerstand von SPD, Grünen und Freien Wählern durch, dass künftig „das Volk zu landesweit bedeutsamen Vorhaben des Staates“ befragt werden kann. Die Änderung des Landeswahlgesetzes trat Ende Februar in Kraft. Das Ergebnis solcher Referenden, die Landtagsmehrheit und bayerische Regierung gemeinsam starten, ist aber nicht rechtlich verbindlich. Ansonsten müssten sie in der bayerischen Verfassung verankert werden.

Wenig Unterstützung für Vorschlag von Raed Saleh

Solche „pro-aktiven Bürgerbefragungen“ kann sich Saleh auch für Berlin vorstellen. Für diese Position findet er derzeit aber keine große Unterstützung. Der Koalitionspartner CDU hält offenbar nichts von staatlich verordneten Volksabstimmungen und die Opposition befürwortet solche Referenden nur unter strengen Bedingungen. „Ich halte viel von frühzeitigen, ergebnisoffenen und verbindlichen Bürgerbeteiligungsverfahren, aber nichts von Volksbefragungen, die von der Regierung in Auftrag gegeben werden“, sagte der CDU-Stadtentwicklungsexperte Stefan Evers dem Tagesspiegel.

Will mehr Bürgerbeteiligung: Raed Saleh.
Will mehr Bürgerbeteiligung: Raed Saleh.
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Evers begründete dies mit der „Gefahr manipulativer Fragestellungen“. Aber vor allem dürften sich politische Entscheidungen nicht an „Stimmungsmache“ orientieren, sondern müssten nach sorgfältiger Abwägung der verschiedenen Interessen getroffen werden. „Wenn dann die Bürger mit solchen Entscheidungen nicht einverstanden sind, können sie die Instrumente der direkten Demokratie nutzen, die in der Verfassung vorgesehen sind.“ Also Volksbegehren und -entscheide. Grüne, Linke und Piraten wären mit konsultativen Bürgerbefragungen nur einverstanden, wenn die Regierung an das Ergebnis der Abstimmung fest gebunden ist und wenn mindestens drei Viertel der Abgeordneten ein solches Referendum unterstützen. Damit wäre die Einbindung der Opposition weitgehend sichergestellt. Außerdem soll ein Gegenentwurf zur Abstimmung gestellt werden können, wenn ein Viertel der Parlamentsmitglieder dies fordert. Dies alles müsste in der Landesverfassung verankert werden, sagt die Opposition, weil es die Bürger – wie beim Volksentscheid – zum Träger der Staatsgewalt macht. Diese Vorschläge der Opposition werden demnächst parlamentarisch beraten.

Mit Ausnahme von Bayern hat sich bisher kein anderes Bundesland an dieses heikle Thema herangewagt. Der bundesweit agierende Verband „Mehr Demokratie“ sieht das Instrument der staatlichen Volksbefragung ebenso skeptisch wie viele Rechtswissenschaftler. Ihre Argumente: „Plebiszite von oben“ schwächten Opposition und kritische Bürger, die Fragen seien durch die Regierung manipulierbar, das Abstimmungsergebnis sei nicht verbindlich und trotzdem stehle sich die Regierung aus der Verantwortung.

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