Fliegen, Rauchen, Religion: Die wichtigsten Berliner Volksentscheide
Immer wieder haben engagierte Berliner versucht, mit einem Volksbegehren politisch Einfluss zu nehmen. Vier davon haben es bislang zum Volksentscheid geschafft. Ein Überblick.
Sie kämpften gegen die Rechtschreibreform und für die Offenhaltung des Flughafens Tempelhof, für die Wahlfreiheit von Gastwirten beim Rauchverbot und für bessere Betreuung an Grundschulhorten. Immer wieder haben engagierte Berliner versucht, mit einem Volksbegehren politisch Einfluss zu nehmen. Vier davon haben es bislang zum Volksentscheid geschafft, dessen Entscheidung bindend ist, falls eine Mehrheit mit Ja stimmt und die Abstimmungsbeteiligung hoch genug ist – das war jedoch vor dem heutigen Sonntag nur einmal der Fall.
Manchmal haben die Initiatoren jedoch schon vorher Erfolg: 1981 führte ein Volksbegehren für Neuwahlen mit 300 000 gesammelten Unterschriften sogar dazu, dass der SPD-FDP-Senat aufgab und den Weg für Neuwahlen freimachte. Anlass war damals der größte Finanzskandal der West-Berliner Nachkriegsgeschichte, die Garski-Affäre. So richtig an Schwung hat die direkte Demokratie in Berlin allerdings erst in den vergangenen fünf Jahren gewonnen, seitdem das 2008 reformierte Berliner Abstimmungsgesetz und die Landesverfassung die Volksgesetzgebung erleichterten. Davon profitieren jetzt auch die Initiatoren des Volksentscheids über das Stromnetz und ein kommunales Stadtwerk an diesem Sonntag. Wir geben einen Überblick über die wichtigsten bisherigen Volksbegehren.
2008: Für die Offenhaltung des Tempelhofer Feldes
Die Schließung des Innenstadtflughafens polarisierte die Berliner und provozierte eine teilweise sehr emotional ausgefochtene öffentliche Debatte. Unter dem Titel „Tempelhof bleibt Verkehrsflughafen!“ startete die „Interessengemeinschaft City-Airport Tempelhof e.V.“ im November 2006 eine erfolgreiche Initiative zur Einleitung des Volksbegehrens. Der Senat wurde aufgefordert, „sofort die Schließungsabsichten aufzugeben und den Widerruf der Betriebsgenehmigung aufzuheben“. Im Erfolgsfall hätte der Volksentscheid die Wirkung eines Beschlusses des Abgeordnetenhauses gehabt. Rechtlich wäre das für den Senat aber nicht bindend gewesen. Die damals in der Opposition sitzende CDU und die FDP unterstützten das Vorhaben, SPD, Linke und Bündnis 90/Grüne waren dagegen. Berlinweit kamen 204 907 gültige Unterschriften für ein Volksbegehren zusammen – das genügte, um den Weg für einen Volksentscheid freizumachen. Die Abstimmung fand am 27. April 2008 statt – und scheiterte. Zwar waren 60,1 Prozent der Abstimmenden für das Volksbegehren, der Anteil der Nein-Stimmen betrug nur 36,1 Prozent. Aber das Zustimmungsquorum von 25 Prozent wurde verfehlt, da nur 21,7 Prozent der Abstimmungsberechtigten Berliner mit „Ja“ stimmten.
2009: Für die Einführung eines Wahlpflichtfaches Religion
Die Auseinandersetzung verlief in einer ähnlich aufgeheizten Stimmung wie das Tempelhof-Volksbegehren. Die Einführung des Pflichtfachs Ethik in den siebten Klassen im Schuljahr 2006 provozierte Widerspruch der Kirchen und anderer Interessenvertreter, die sich im Verein „Pro Reli“ zusammenschlossen. Sie warben dafür, Religion als gleichberechtigte Wahlalternative zu erlauben. Nachdem das Abgeordnetenhaus den von gut 34 000 Berlinern unterstützen Vorschlag abgelehnt hatte, begann die Initiative im September 2008 mit der im Januar 2009 erfolgreichen Sammlung der Unterschriften fürs Volksbegehren. Doch beim Volksentscheid im April 2009 scheiterte „Pro Reli“: Eine Mehrheit von 51,3 Prozent der Abstimmenden stimmte gegen den Vorschlag. Bezogen auf alle Wahlberechtigten wurde zudem das Zustimmungsquorum von 25 Prozent mit 14,2 Prozent der Ja-Stimmen nicht erreicht. Die Beteiligung lag bei 29,2 Prozent.
2009: Für die Wahlfreiheit der Gastwirte zum Rauchverbot
Mit prominenter Unterstützung sammelte die „Initiative für Genuss Berlin“ 23 252 Stimmen für die Zulassung ihres Volksbegehrens. Ziel war, dass der Senat Gaststätten vom Rauchverbot ausnehmen und Wirten Wahlfreiheit lassen sollte. Bei der Abstimmung im Juni 2009 reichten die Ja-Stimmen aber bei Weitem nicht aus. Sieben Prozent der Stimmberechtigten hätten zustimmen müssen, um ein Volksbegehren durchzuführen – es waren nur 2,5 Prozent.
2010/11: Für die Offenlegung der Privatisierungsverträge der Berliner Wasserbetriebe
Der einzige bislang erfolgreiche Volksentscheid Berlins fand unter dem Titel „Schluss mit Geheimverträgen – Wir Berliner wollen unser Wasser zurück“ statt. Getragen von der Initiative „Berliner Wassertisch“ war das Ziel, alle Verträge im Bereich der Berliner Wasserwirtschaft veröffentlichungspflichtig zu machen. Dagegen sperrte sich der rot-rote Senat. Trotz erfolgreicher Unterschriftensammlung zur Beantragung des Volksbegehrens war er der Meinung, dass das Begehren rechtlich unzulässig sei, da es gegen höherrangiges Recht verstoße. Das Landesverfassungsgericht erklärte das Volksbegehren jedoch für zulässig. Bei der Abstimmung im Februar 2011 sprachen sich 98,2 Prozent der Teilnehmer für eine Offenlegung der Verträge aus, insgesamt stimmten 27 Prozent der Wahlberechtigten mit Ja. Damit wurde das Zustimmungsquorum in Berlin erstmals erreicht.
2011: Für bessere Betreuung an Grundschulhorten
Unter dem Titel „Grundschulkinder, leben und lernen in der Ganztagsschule, 1+ für Berlin“ machte sich der Landeselternausschuss Kita dafür stark, das Betreuungsangebot an Schulhorten zu verbessern. Unter anderem sollte der Betreuungsschlüssel auf eine Erzieherstelle für 16 Kinder gesenkt werden, jedes Kind sollte einen Rechtsanspruch auf einen Hortplatz haben und am subventionierten Mittagessen teilnehmen können. Die Unterschriftensammlung für das Begehren begann im Juli 2011. Statt der erforderlichen 172 000 Unterschriften reichte die Initiative im November jedoch nur 32 000 Unterschriften ein – das Vorhaben war gescheitert.
2011: Für einen gesetzlichen Anspruch auf ein Masterstudium
Ziel des Volksbegehrens sollte ein zulassungsfreier Masterplatz für alle Berliner Bachelor-Absolventen sein. Der Versuch scheiterte jedoch schon in der ersten Phase: In zwei Anläufen konnten die Initiatoren nicht genug Stimmen sammeln, bis zum Ende der Unterschriftensammlung im Februar 2012 kamen nur etwa zehn Prozent der 20 000 Unterschriften zusammen, die für die Einleitung eines Volksbegehrens nötig gewesen wären.
2011/13: Gegen eine Privatisierung der S-Bahn
Die Initiative „Rettet die S-Bahn Berlin“ des „Berliner S-Bahn-Tisches“ scheiterte nicht an mangelndem Zuspruch, sondern an rechtlichen Bedenken. Ziel des Begehrens war unter anderem, bestehende und künftige Verträge zwischen dem Land Berlin und den S-Bahn-Betreibern zu veröffentlichen, auch wurde die Ausweitung gesetzlicher Standards für den S-Bahn-Betrieb gefordert. So sollten unter anderem der Bestand der Züge auf das Niveau von 2005 aufgestockt und die Mitarbeiter nach Tarif bezahlt werden. Der Senat erklärte die von mehr als 31 000 Unterschriften getragene Initiative jedoch für unzulässig. Das Volksbegehren, so hieß es zur Begründung, greife in bestehende Verträge ein. Auch könne man nicht per Gesetz festlegen, ob sich ein S-Bahn-Anbieter finde, der bereit sei, auf die Forderungen des Volksbegehrens einzugehen. Dazu komme, dass bei allen Verkehrsverträgen das Land Brandenburg einzubeziehen sei, das Land Berlin also die Forderungen der Initiative nicht allein erfüllen könne. Eine Klage des S-Bahn-Tisches gegen den Senatsbeschluss war erfolglos, im Mai 2013 erklärte das Landesverfassungsgericht das Volksbegehren ebenfalls für unzulässig.
2012: Für ein Nachtflugverbot am neuen Flughafen BER
Nachtflüge am neuen Hauptstadtflughafen sollen zwischen 22 und 6 Uhr nur in Ausnahmefällen zulässig sein. So lautete das Ziel der „Initiative für ein Nachtflugverbot“. Der Senat sollte aufgefordert werden, in Verhandlungen mit dem Land Brandenburg das Landesentwicklungsprogramm entsprechend zu ändern. Nach der erfolgreichen ersten Phase, der Stimmensammlung für den Volksbegehrensantrag, scheiterte das Vorhaben im Mai 2012 mit der zweiten Phase, der Unterschriftensammlung, um ein Volksbegehren einzuleiten. Lediglich 139 000 Unterschriften kamen zusammen – rund 173 000 wären aber nötig gewesen.
Lars von Törne
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