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Die Bürgerbeteiligung, ein weites Feld - nicht nur in Tempelhof.
© DPA

Direkte Demokratie: Nimmt der Senat die Bürgerbeteiligung ernst?

Die Diskussion über die Bebauung des Alex und auf dem Tempelhofer Feld wirft die Frage auf: Misst der Senat eigentlich Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie genügend Bedeutung bei? Die Piraten finden "nein". Diskutieren Sie mit!

Ein knappes Jahr nach dem Volksentscheid zum Tempelhofer Feld ist nicht klar, was aus dem ehemaligen Flugfeld werden soll. Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) hält die Vorschläge aus der Bevölkerung für die Gestaltung des riesigen Geländes für „eher spärlich und kleinteilig“ und überlegt, die Bürgerbeteiligung mit einem internationalen Wettbewerb zu überprüfen. Das Gesetz, das durch den Volksentscheid beschlossen wurde, sieht für das Tempelhofer Feld einen „Entwicklungs- und Pflegeplan“ vor. Die Kritik der Opposition: Der Senat lasse die damit verbundene Beteiligung der Bürger ins Leere laufen.

Der Pirat Philipp Magalski beklagte die mangelnde Beteiligung des Senats und der zuständigen Bezirke an den Beteiligungsplattformen, die es online und offline gebe. Das Projekt sei personell und materiell unzureichend ausgestattet. Offenbar wolle der Senat dafür sorgen, dass es im Sande verläuft. Die Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek warf der rot-schwarzen Regierung vor, „nicht einmal ein Jahr nach dem Volksentscheid dessen Ergebnisse schon wieder infrage zu stellen“. Das mache die Bürgerbeteiligung zu „einer Lachnummer“. Auch die Linken-Abgeordnete Katrin Lompscher kritisierte, dass sich der Senat „nicht ernsthaft mit dem Bürgerwillen für das Tempelhofer Feld“ befassen wolle. Die Neukonstituierung eines bürgerschaftlichen Begleitgremiums für die künftige Gestaltung stehe immer noch aus, nachdem der Nutzerbeirat aufgelöst worden sei.

Außerdem gibt es zu den langfristigen Absichten der Regierung widersprüchliche Signale. Während Senator Geisel versicherte, dass er keine neue Diskussion über eine spätere Bebauung des Feldes wolle, schloss der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) dies nur für die „nächsten drei, vier Jahre“ aus. Rechtlich gesehen ist es möglich, nach der Berliner Wahl 2016 das Ergebnis des Volksentscheid durch einen Parlamentsbeschluss zu ändern.

Andreas Geisel (SPD), Senator für Stadtentwicklung.
Andreas Geisel (SPD), Senator für Stadtentwicklung.
© Promo

Die öffentliche Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der Bürgerbeteiligung wird auch noch an anderer Stelle angeheizt. Beim Mauerpark und den Rudower Feldern zog der Senat das Planungsrecht an sich, um dort den beabsichtigten Wohnungsneubau vor bezirklichen Bürgerbegehren zu retten. Und es könnte sein, dass das örtlich umstrittene Baugelände in Lichterfelde-Süd auch zu einem Gebiet von „außergewöhnlicher stadtpolitischer Bedeutung“ erklärt wird. Der Grünen-Landeschef Daniel Wesener nennt dies „Stadtentwicklung von oben“. Die Koalitionsparteien SPD und CDU weisen dagegen auf gesamtstädtisches Interesse der wachsenden Stadt Berlin an neuen Wohnungen hin.

Oliver Wiedmann, Sprecher von „Mehr Demokratie“ in Berlin-Brandenburg ist nicht gegen Wohnungsbau, aber er forderte den Senat auf, die gesetzlichen Regelungen zur Übernahme strittiger Bauprojekte klarer zu formulieren. Was ein Gebiet von außergewöhnlicher Bedeutung sei, liege letztlich im Ermessen des Senats, der offenbar versuche, „ein Neubauklima zu verordnen, anstatt die Bürger zu überzeugen“. Nicht immer geht es um den Wohnungsbau.

Ein Dauerbrenner ist beispielsweise die weitere Planung für den Alexanderplatz, inklusive des Baus von Hochhäusern. Aus formalen Gründen ist am Alex nur eine Bürgerbeteiligung auf freiwilliger Basis möglich. Darauf drängt vor allem die Linke, während der CDU-Stadtentwicklungsexperte Stefan Evers, sonst ein Befürworter frühzeitiger und intensiver Beteiligungsverfahren, eine klare Gegenposition vertritt. Er schlug vor, die Planung von Hochhäusern in Berlin generell in die Verantwortung des Landes zu legen, also der bezirklichen Planungshoheit zu entziehen. Konkrete Pläne für solche „City-Towers“ gibt es gegenwärtig auch in Neukölln und Charlottenburg.

Währenddessen kommt die Entwicklung einer „Berliner Partizipationsplattform“ für eine systematische Online-Beteiligung der Bürger, an der die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit dem Bezirk Treptow-Köpenick arbeitet, nur langsam voran . Das Vorhaben wurde inzwischen mit dem Senatsprojekt „Bebauungspläne Online“ fusioniert. Die passende Software stellt der Verein „Liquid Democracy“ zur Verfügung, aber noch ist die Plattform nicht in Betrieb.

Eine weitere Debatte um Bürgerbeteiligung hat der SPD-Fraktionschef Raed Saleh angestoßen. Er schlägt vor, dass das Abgeordnetenhaus bei Großprojekten die Bürger befragen soll. So etwas gibt es, wie berichtet, bisher nur in Bayern. Saleh lässt aber noch offen, ob eine solche Abstimmung in der Verfassung verankert werden soll und wie groß die Parlamentsmehrheit sein muss, um eine Befragung in Gang zu setzen.

Lesen Sie zum Thema Bürgerbeteiligung auch ein Plädoyer von Berlins SPD-Fraktionsvorsitzendem Raed Saleh.

Ulrich Zawatka-Gerlach

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