Auflösungserscheinungen bei den Rechten: Immer mehr AfD-Mitglieder bieten Verfassungsschutz Spitzeldienste an
Die Beobachtung der AfD durch Brandenburgs Verfassungsschutz hat Folgen: Deutschlandweit wollen Parteimitglieder mit den Nachrichtendiensten zusammenarbeiten.
In der AfD hat die Beobachtung der Partei durch den Brandenburger Verfassungsschutz über die Landesgrenzen hinaus große Unruhe ausgelöst. Die Angst, einer Partei anzugehören, die weiter an den braunen Rand in den Rechtsextremismus abrutscht, wächst offenbar in allen Bundesländern und ist durch das Vorgehen in Brandenburg befeuert worden.
Immer mehr Mitglieder melden sich nach Tagesspiegel-Informationen jetzt aktiv bei den Verfassungsschutzämtern der Länder und des Bundes, um ihre Dienste anzubieten. Sie wollen als sogenannte „Selbstanbieter“, wie es im Fachjargon heißt, den Nachrichtendiensten Informationen über die Rechtsextremisten in den eigenen Reihen liefern – und offenbar so ihre Partei und sich retten.
Mitte Juni hatte Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) bekannt gegeben, dass die AfD-Landespartei als Verdachtsfall eingestuft wird. Brandenburg ist damit das zweite Bundesland nach Thüringen.
Es gebe hinreichende Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen der Brandenburger AfD gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung, hieß es.
Der Verfassungsschutz in Brandenburg kann seit nunmehr knapp vier Wochen Funktionäre und Gremien der Landes-AfD beobachten. Dafür stehen ihm eine Reihe von nachrichtendienstlichen Mitteln wie das Sammeln personenbezogener Daten und verdeckte Ermittlungen zur Verfügung.
„Reger Zulauf von AfD-Mitgliedern, die Zusammenarbeit anbieten“
Aber es melden sich nun auch AfD-Mitglieder, die die Rechtsextremismus-Vorwürfe als Gefahr sehen und sich deshalb als Quelle andienen wollen. Ein Sprecher des Innenministeriums in Brandenburg sagte dem Tagesspiegel am Donnerstag: „Seit der Einstufung der AfD in Brandenburg verzeichnet der Verfassungsschutzverbund deutschlandweit regen Zulauf von AfD-Mitgliedern, die ihre Zusammenarbeit anbieten.“
AfD-Landeschef Andreas Kalbitz selbst gibt sich bislang betont gelassen und stellt sich als Opfer dar. „Gerade im Osten (…) weiß man, was es heißt, wenn die Regierung den Geheimdienst losschicken muss gegen die Opposition, weil sie mit Argumenten nicht mehr beikommt“, sagte Kalbitz kürzlich in einem umstrittenen RBB-Interview. Der Verfassungsschutz werde politisch instrumentalisiert bei der „Agitation gegen die AfD (…) als Regierungsschutz“.
Seit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz merke er keinen Unterschied in der Parteiarbeit, sagte Kalbitz. Doch wie die „Bild“-Zeitung berichtet, zeigen sich erste Auflösungserscheinungen. In mehreren Kommunalparlamenten haben sich Gemeindevertreter und Stadtverordneten aus den AfD-Fraktionen verabschiedet, Fraktionen in Kreistagen haben sich gespalten. Tenor: Ein Teil der AfD-Mandatsträger wollen nichts mit jenen zu tun haben, „die sich nicht zur Verfassung bekennen“.
Der Verfassungsschutz geht von einer „Verflügelung“ der Brandenburger AfD aus. Brandenburg gilt neben Thüringen und Sachsen als Stammland des Ende April aufgelösten, völkisch-nationalistischen „Flügels“ der AfD, der vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als rechtsextremistisch eingestuft wird.
Rechtsextrem in der AfD: „Flügel“, Identitäre, „Zukunft Heimat“
„In der Brandenburger AfD ist der Flügel längst der ganze Vogel“, hatte Innenminister Stübgen Mitte Juni erklärt. „Auch dessen vermeintliche Auflösung macht daher keinen Unterschied." Die Brandenburger AfD habe sich seit ihrer Gründung stetig radikalisiert und werde von Bestrebungen dominiert, die ganz eindeutig gegen unsere freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind.“
Neben dem Wortführer des „Flügels“, Thüringens AfD-Chef Björn Höcke, galt Kalbitz als mächtiger Stratege und Strippenzieher. Der Bundesvorstand hatte ihm auf drängen von Parteichef Jörg Meuthen mit knapper Mehrheit die Mitgliedschaft entzogen, weil er die Mitgliedschaft bei der 2009 verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ verschwiegen haben soll.
Durch ein Urteil des Landgerichts Berlin ist Kalbitz wieder Mitglied bis das Bundesschiedsgericht der AfD entscheidet. Auch Fraktionschef im Landtag ist er wieder. Aus Sicht des Brandenburger Verfassungsschutzes gibt es hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass Kalbitz selbst in der rechtsextremistischen Szene verwurzelt und rechtsextremistisch eingestellt ist.
Bundesamt beobachtet „Flügel“-Einfluss
Die Beobachtung des „Flügel“ und des AfD-Nachwuchses „Junge Alternative“ hat maßgeblich zum Anstieg des rechtsextremen Personenpotenzials in Deutschland geführt. Das wird in dem am Donnerstag vorgestellten BfV-Jahresbericht für 2019 mit 32 080 Personen angegeben – ein Rekordniveau.
Darunter sind schätzungsweise 7000 Anhänger des „Flügel“. Im Jahr zuvor waren es insgesamt noch 24 100 Rechtsextremisten. BfV-Präsident Thomas Haldenwang erklärte, es werde genau beobachtet, wie viel Einfluss „Flügel“-Personal künftig auf die AfD hat.
Personelle Verflechtungen zu rechtsextremen Gruppen
Die Extremismus-Einstufung der AfD in Brandenburg beruht auch weiteren personellen Verflechtungen etwa mit der als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuften Identitären Bewegung. Der Verfassungsschutz registrierte schon seit geraumer Zeit die Mitarbeit von Aktivisten der Identitären in der Landtagsfraktion. In den vergangenen Jahren waren mehrere solcher Fälle durch die Presse enthüllt worden.
Hinzu kommt der Vereiin „Zukunft Heimat“, der vor allem in Cottbus mit flüchtlingsfeindlichen Protesten auffiel. Vereinschef Christoph Berndt war bei der Landtagswahl 2019 auf Platz zwei der Landesliste der AfD hinter Kalbitz angetreten und im Gegensatz zum Parteichef mit Direktmandat in den Landtag eingezogen.
Im Januar war auch „Zukunft Heimat“ als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung und als vollständiger Beobachtungsfall eingestuft worden. Grund sind auch Verstrickungen mit dem 2012 verbotenen Nazi-Netzwerk "Widerstandsbewegung Südbrandenburg" - auch bekannt als "Spreelichter" - und dessen Führungsfigur Marcel F.