„Wir hätten deutlich besser sein müssen“: RBB-Chefredakteur gibt Fehler beim Kalbitz-Interview zu
Zunächst versucht der RBB-Chefredakteur das umstrittene Gespräch mit AfD-Mann Kalbitz zu verteidigen. Erst jetzt sieht auch Singelnstein Probleme beim Sender.
Es war ein lauschiges Interview, im Hintergrund plätschert es. So wie immer in der Interview-Reihe „Politik am See“ des RBB mit „Spitzenpolitikern aller Parteien im Brandenburger Landtag“. Sieben Minuten lang durfte Andreas Kalbitz, Chef der Brandenburger AfD, im RBB Fernsehen reden (eine Langversion von 40 Minuten ist ausschließlich online verfügbar). Dabei ist er ein Rechtsextremist, wird vom Verfassungsschutz beobachtet, die Landespartei wird als Verdachtsfall für extremistische Bestrebungen geführt. Kalbitz war auch Kopf des Ende April offiziell aufgelösten „Flügel“. Der Bundesverfassungsschutz hat das Netzwerk im März als „erwiesen extremistisch“ eingestuft.
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Der RBB musste sich für das Interview heftige Kritik gefallen lassen. Denn der Rechtsextremist Kalbitz wurde nicht gestellt. Stattdessen war es ein harmloses Geplänkel, das Gespräch plätscherte genauso seicht dahin, wie das Wasser im Hintergrund – so wie öfters bei diesen Sommerinterviews (auch ohne AfD), mit denen der RBB, aber auch ARD und ZDF seit Jahren regelmäßig ihre Zuschauer versorgen, wenn im parlamentarischen Tagesbetrieb nicht so viel los ist.
Wieso eigentlich? Ist der Ansatz richtig? Bei diesem Format sollen Politiker lockerer befragt werden, ihre großen Linien darstellen.
Konfrontation bei Kalbitz nun? Ein bisschen. Hart nachhaken? Nicht wirklich. Oder wie die „taz“ zum Sommerinterview generell kommentierte: „Das lauschige Setting dieser Interviewform wurde mal erfunden, damit ein gewisser Helmut Kohl die Weltöffentlichkeit an seinen sommerlichen Abspeckerfolgen am Wolfgangsee teilhaben lassen konnte.“
Das Format kam Kalbitz zugute, er konnte sich als falsch verstandener Politiker präsentieren und als Opfer. „Gerade im Osten ist die Sensibilität ja viel größer. Da weiß man, was es heißt, wenn die Regierung den Geheimdienst losschicken muss gegen die Opposition, weil sie mit Argumenten nicht mehr beikommt.“
Widerspruch von der RBB-Journalistin? Keiner. Der RBB ließ den Eindruck zu, als sei rechtsextrem das neue „völlig normal“. Die Kritik in den Medien fiel entsprechende heftig aus.
Der RBB hat einige Zeit gebraucht, um sich zu sortieren und eine Krisenkommunikation aufzubauen. Zunächst machte es RBB-Chefredakteur Christoph Singelnstein noch schlimmer. Dem Nachrichtenportal „Watson“ sagte er: „Die Sommerinterviews sind nicht investigativ angelegt, sondern machen politische Positionen deutlich. Wir führen diese Interviews, damit man über die Inhalte diskutieren kann, nicht über das Interview selbst.“ Also über Inhalte von Rechtsextremisten?
Der RBB-Chefredakteur sah in dem Interview mit Kalbitz auch keinen Fehler. „Wir können und wollen als öffentlich-rechtlicher Sender den Fraktionschef der größten Oppositionspartei und zweitstärksten politischen Kraft im Land nicht ignorieren." Der RBB bilde in der Interview-Reihe die politische Wirklichkeit ab, die die Wählerinnen und Wähler in Brandenburg geschaffen hätten und sehe es als Verpflichtung an, das gesamte demokratisch legitimierte Spektrum zu Wort kommen zu lassen.
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Am Mittwochabend trat der Chefredakteur dann in der Nachrichtensendung „Brandenburg aktuell“ auf und musste sich erneut erklären. Immerhin gestand er nun doch ein, dass das Interview in dieser Form nicht optimal war. Zwar sei ein Gespräch mit Kalbitz in der Interviewreihe „unumgänglich“ gewesen, denn „wir sind durch unseren öffentlich-rechtlichen Auftrag zur Ausgewogenheit verpflichtet“, und Kalbitz sei Chef der zweitgrößten Fraktion im Landtag.
Doch dann erklärte Singelnstein, dass etwas beim Sender nicht rund läuft. „Ich denke, dass wir das, was wir an Expertise im Haus haben, an dieser Stelle nicht haben gut genug mit in das Interview einfließen lassen.“ Und: „Wir haben viel über Andreas Kalbitz und Rechtsextremismus recherchiert. Von diesem redaktionellen Wissen ist nicht genug eingeflossen. Da hätten wir deutlich besser sein müssen.“ Singelnstein mahnte deshalb eine bessere Zusammenarbeit der Redaktionen an, ohnehin arbeite der Sender dafür bereits an den internen Strukturen.
Was ist aus diesem Sommerinterview und für das Format generell zu lernen? Muss es da nicht doch kritischer zugehen?
Die Sommerinterviews seien gerade in diesen Zeiten relevant, böten sie doch die Möglichkeit, in einer entspannten Gesprächssituation den Positionen der Parteien beziehungsweise der Parteivorsitzenden zu den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen auf den Grund zu gehen, teilt ein ZDF-Sprecher zur Formatfrage mit.
Gerade in der digitalen Medienwelt seien die ARD-„Sommerinterviews“ ein geeignetes Format, um parteipolitische Floskeln journalistisch zu entlarven, sagt Tina Hassel, Chefin des ARD-Hauptstadtstudios. „Schließlich wissen mittlerweile auch die Parteien, wie Kommunikation im Netz funktioniert und versuchen, ihre Botschaften direkt an die Wählerinnen und Wähler zu adressieren. Mein Ko-Moderator Oliver Köhr und ich sorgen dafür, dass die Politiker ihre Komfortzone verlassen müssen.“
Dazu gehöre auch, dass kritische Stimmen zu Wort kommen, aus der eigenen Partei und aus dem „richtigen Leben“. „Menschen, die betroffen sind. So wurde Annegret Kramp-Karrenbauer im letzten ARD-Sommerinterview mit den Vorwürfen des Bundeswehrverbandssprechers, André Wüstner, konfrontiert. Er warf der Verteidigungsministerin vor, große Ankündigungen zu machen, aber sich nicht durchsetzen zu können.“
Es handele sich eher um eine Freizeitaktivität als um ein professionelles Gespräch
Der Begriff „Sommerinterview“ sei unglücklich, weil er nahelegt, es handele sich eher um eine Freizeitaktivität als um ein professionelles Gespräch, sagt Singelnstein am Donnerstag dem Tagesspiegel.
„Gleichzeitig müssen wir uns längere Gesprächsformen bewahren, weil sich nicht alles in der Politik oder der Gesellschaft in zwei bis drei Minuten erklären oder behandeln lässt.“ Wichtigster Beitrag zum Gelingen sei die professionelle Haltung eines erstklassigen Journalisten oder einer hervorragenden Journalistin.
Ein Interview sei keine Plauderei, sondern soll einen Beitrag zur Meinungsbildung oder demokratischen Willensbildung leisten. „Am Ende müssen vor allem die Zuschauerinnen oder Zuhörer profitieren, nicht der oder die Interviewte.“
Ob und wie das gelinge, sei dann vor allem noch eine Frage der redaktionellen Vorbereitung. „Das sollte im besten Fall immer Teamwork sein, da haben wir im RBB zuletzt Lehrgeld zahlen müssen. In diesem Sinne: Interviews im Sommer: Ja. ,Sommerinterviews': Künftig nicht mehr.“