Chef der Berliner Volksbank: „Ideologie baut keine Wohnungen“
Carsten Jung, Chef der Berliner Volksbank, spricht im Interview über das Mietendeckel-Debakel, Corona-Hilfen, das Filialsterben und die steigende Inflation.
Herr Jung, Ihre Bank betätigt sich besonders stark in der gewerblichen Immobilienfinanzierung. Klingt nicht nach großem Vergnügen in Corona-Zeiten.
Doch, es geht eigentlich, weil wir innerhalb dieses Segmentes den Fokus auf die Wohnungswirtschaft legen. Unter unseren Kunden sind Wohnungsbaugesellschaften, Baugenossenschaften oder Privatgesellschaften. Das Geschäft läuft weiterhin stabil und gut. Unsere Kunden wissen, dass wir risikobewusst und verlässlich handeln. Wir begleiten relativ wenige Büroanbieter, Hotels oder klassische Einzelhändler. Die aber sind natürlich ziemlich hart getroffen.
Was erwarten Sie, wenn Bund und Land ihre Corona-Hilfen einstellen und die Insolvenzantragspflicht wieder einführen?
Wir rechnen mit einem Szenario, das man nach fast jeder Krise beobachten kann: Viele Mittelständler halten zwar lange durch. Aber im folgenden Aufschwung fehlt ihnen oft die Liquidität oder das Eigenkapital, um wieder zu investieren. Zugleich bin ich nicht sicher, ob das dauerhafte Aussetzen der Insolvenzpflicht eine gute Idee ist: Sie war in einer Phase der Pandemie zwar richtig, aber sie verschiebt Probleme nur, sie löst sie nicht. Die Themen kommen dann irgendwann geballt wieder auf uns zu.
Wie bewerten Sie das Karlsruher Urteil zum Berliner Mietendeckel vor dem Hintergrund ihres Wohnimmobiliengeschäfts?
Das Urteil ändert nichts am Grundproblem: Wenn es zu wenige Wohnungen gibt, gibt es zu wenige Angebote. Ist das Angebot knapp, steigen die Preise. Man kann es nur lösen, indem man mehr Wohnungsbau organisiert. Ich habe Verständnis für die unterschiedlichen Sichtweisen: Die einen fürchten, dass ihre Mietwohnung zu teuer wird, die anderen, dass sich die Investition nicht mehr lohnt. Zwischen diesen Interessen muss es zu einem fairen Ausgleich kommen. Klar ist aber auch: Instandhaltungen und Modernisierungen wird es nur geben, wenn die Eigentümer auch eine Rendite mit ihrem Objekt erzielen können.
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Wir sehen aber auch Luxussanierungen, mit dem Ziel, die Immobilie so stark aufzuwerten, dass sie für die Bestandsmieter nicht zu halten ist.
Das stimmt. Da muss es Regeln geben. Aber viele Sanierungen dienen auch dem Klimaschutz, davon profitieren alle Seiten. Und dass wegen der negativen „Erbmasse“ des DDR-Wohnungsbaus nach wie vor noch enormer Sanierungsbedarf besteht, kann ja bei seriöser Beurteilung niemand bestreiten.
Den einen fällt wenig mehr ein als „bauen, bauen, bauen“, den anderen wenig mehr als der Ruf nach „Enteignungen“ und staatlich fixierten Mietpreisen: Wo sehen Sie denn einen Ausweg aus diesem Konflikt?
Andere Städte machen vor, wie es gehen kann: In Hamburg haben sich alle beteiligten Gruppen an einen Tisch gesetzt und zusammen eine deutlich höhere Wohnungsbauquote zu erreicht. Die Patentlösung habe ich auch nicht. Aber die Erkenntnis: Ideologie baut keine Wohnungen.
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Wenn Berlin im September wählt, wird sich laut aktuellen Umfragen wenig ändern. Was hieße das für die lokale Wirtschaft? Für Infrastrukturprojekte, den Wohnungsbau oder die Stadtautobahn?
Zunächst sollten sich Politiker, egal von welchen Parteien, öfter nicht nur die Frage stellen, wie man Geld ausgibt, sondern auch, wie man es einnimmt. Damit meine ich nicht Steuererhöhungen. Die Öffentliche Hand sollte nicht alles machen wollen. Private können es meist besser und preiswerter. Bei den Infrastrukturprojekten, die Berlins Wirtschaft braucht, muss man einen cleveren Weg finden, diese zu finanzieren, ich denke zum Beispiel an Private-Public-Partnerships. Vor allem die überbordende Bürokratie muss drastisch zurückgefahren werden. Sie ist zu teuer und ineffizient. Die Privatwirtschaft ist in aller Regel kreativer und auch kostenbewusster. Ich fände es schwierig den laufenden Autobahnausbau zu stoppen ohne Rücksicht auf das steigende Verkehrsaufkommens.
Schreckt die aktuelle Senatspolitik Investoren ab, wie man bei Kammern und Verbänden oft hört?
Das weiß ich nicht, aber das höre ich auch Aber Politik braucht eine Zukunftsvision Generell gilt: Berlin ist in einem enormen Entwicklungsprozess – stärker als andere Großstädte. Noch immer kommen viele Menschen gern hierher. Aus der Pandemie und den Folgen müssen wir Konsequenzen ziehen. Ich glaube nämlich nicht, dass alles wieder wie früher werden wird, sobald Corona im Griff ist. Viele Dinge, die uns bisher ausgezeichnet haben – also Messen, Kongresse, Tourismus, Kunst und Kultur – sind weggefallen. Wir müssen kreative Ideen entwickeln, dies wieder neu zu beleben – und uns die Frage stellen: Wie soll Berlin künftig dastehen?
Was glauben Sie?
Wir müssen das Know-how, das diese Region mit ihren vielen Hochschulen, der weltweit renommierten Medizinwissenschaft und den vielen Start-ups hat, noch besser sichtbar machen. Das wird Arbeitgeber auf der Suche nach Fachkräften motivieren, sich hier niederzulassen. Berlin und Brandenburg müssen gemeinsam über eine bessere Vermarktung in der Welt nachdenken. Hier dürften Gesundheitswirtschaft und technologische Lösungen für Großstädte, wie sie bald in Tegel entwickelt werden könnten, eine zentrale Rolle spielen.
[Carsten Jung, Jahrgang 1967, hat sein Abitur und eine Ausbildung zum Bankkaufmann in West-Berlin absolviert. An der TU Berlin ließ er sich zum Diplom-Kaufmann ausbilden. Nach Stationen bei der Commerzbank kam er 1999 zur Berliner Volksbank, rückte 2010 in den Vorstand auf, dem er seit Januar 2019 vorsitzt. Ehrenamtlich sitzt er unter anderem im Präsidium der Industrie- und Handelskammer.]
Derweil versucht Friedrichshain-Kreuzberg Unternehmen wie Google aus Sorge vor Gentrifizierung zu verprellen.
Solche Aktionen finde ich nicht nur schade, sondern auch nachhaltig schädlich. Andere Regionen bedanken sich für diese Kurzsichtigkeit. Weil wir um solche Ansiedelungen ringen müssen. So ist ja auch Siemens nach Berlin gekommen. Ressentiments gegenüber bestimmten Konzernen finde ich bedenklich. Politiker sollten der breiten Masse, die sich mehr solche starken Arbeitgeber hier wünschen, eine Stimme geben und der Minderheit, die diese ablehnt, etwas entgegensetzen.
Finanzdienstleister erleben seit zehn Jahren einen Wandel durch die Digitalisierung. Wie geht Ihr Haus damit um?
Wir alle haben im letzten Jahr bei der Digitalisierung noch einmal einen gewaltigen Schub bekommen: 1250 unserer insgesamt rund 1700 Mitarbeiter sind im Homeoffice. Für einige Dienstleistungen in den Filialen geht das nicht, aber auch da bieten wir – so gut es geht – für Mitarbeiter Lösungen an. Wir haben auch noch nie so viele Online-Banking-Zugänge freigeschaltet, noch nie so viele Kunden über Mail, Telefon und Video beraten wie heute.
Auch das kontaktlose Bezahlen nimmt zu, oder?
Ja, dort beobachten wir dramatische Veränderungen. Früher haben viele nur darüber geredet, heute zahlen immer mehr per Smartphone oder Kreditkarte und sparen sich den Weg zum Bargeldabheben. Allerdings holt Deutschland hier nur auf, was man in andere Länder schon früher vollzogen haben. Wir als Bank versuchen auch mehr Einzelhändler von den Vorzügen der bargeldlosen Geschäfte überzeugen.
Digitalisierung geht mit dem Schließen von Filialen einher. Beneiden Sie manchmal die Chefs der Direktbanken wie ING oder bei Fintechs wie N26, die ganz ohne Filialen auskommen?
Sagen wir so: Das Geschäft mag etwas leichter sein ohne Filialen, aber man kann viel gewinnen, wenn man es richtig macht. Wir passen unser Filialkonzept an. Ja, wir brauchen nicht so viele wie früher. Es gilt das Omnikanal-Vertriebsprinzip: Kunden können über das Internet, das Telefon oder die Filiale zu uns kommen – und erhalten immer die gleiche Leistung. Die Möglichkeit, jederzeit auch persönlich eine Beratung zu bekommen, ist viel wert. Die Frage ist nur, wie viel die Kunden dauerhaft bereit sind, auch dafür zu bezahlen. Ich glaube, die Filiale ist nicht tot, man muss sie nur neu denken.
Volksbanken und Raiffeisenbanken pflegen eine lange Tradition und ein anders Selbstverständnis als klassische Geschäfts- oder Investmentbanken. Wie drückt sich das heute noch aus?
Unsere Kunden sind in der Regel auch unsere Eigentümer, als Genossenschaftsmitglieder. Die bekommen auch bessere Preise. Wir haben mehr als 450 Vertreter, die die Eigentümerinteressen von mehr als 210 000 Mitgliedern vertreten. Wir pflegen also einen sehr engen Draht. Und es gilt der gesetzlich festgeschrieben Fördergedanke bei Genossenschaften: Da geht es um mehr als Dividende…
Nämlich?
Auch um Lösungen praktischer Probleme. Zum Beispiel, indem wir Start-ups gründen, die den Stromtarifwechsel erleichtern. Und wir engagieren und lokal, weil wir hier verwurzelt sind, im wesentlichen hier Geschäft machen und nicht in der Ferne.
Sie verlangen von Kunden ein „Verwahrentgelt“ in Höhe von 0,5 Prozent auf Tagesgeld? Warum findet sich der Hinweis auf diese Strafzinsen bei den Leistungstabelle in der vorletzten Zeile der letzten Fußnote? Dieses Entgelt hat sich im Privatkundengeschäft mittlerweile als Marktstandard durchgesetzt. Wir erheben es bei Neukunden. Für viele Bestandskunden gilt es noch nicht. Dass der Hinweis ganz unten steht, war mir nicht bewusst. Allerdings finde ich es auch richtig, dass wir eher unser Leistungsvorteile an den Anfang stellen und nicht die Kosten.
[Die Ursprünge der Berliner Volksbank reichen bis ins Jahr 1858. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Kreditinstitut neu gegründet und fusionierte 1999 mit dem Berliner Genossenschaftsinstitut Grundkredit-Bank eG-Köpenicker Bank. Heute gilt die Volksbank als Deutschlands größte genossenschaftliche Bank mit mehr als 200.000 Mitgliedern und rund 1700 Mitarbeitern.]
Warum sollte man sein Geld in Zeiten von Strafzinsen überhaupt zur Bank bringen? Warum nicht in ein Haus oder eine Weltreise investieren?
Fragen Sie unsere Kunden! Allein im vergangenen Jahr sind unsere Kundeneinlagen um rund eine Milliarde Euro gewachsen. Wohl auch, weil Volks- und Raiffeisenbanken über eines der besten Sicherungssysteme überhaupt verfügen. Und wir bieten Kunden auch immer einen Zinsdialog an.
Was genau soll das sein?
So nennen wir Beratungsgespräche mit Kunden darüber, was sie mit ihren Vermögen machen können, um negative Zinsen auszugleichen.
Gold und Aktienkurse notieren nahe historischer Höchststände, zugleich steigt die Inflation. Das sind Indikatoren, die die EZB zu einer Zinswende veranlassen könnten. Wann bekommen Kunden wieder echte Zinsen bei Ihnen - auch auf Tagesgeld?
Ja, die steigende Teuerungsrate ist tatsächlich neu und wird uns beschäftigen. Wegen der vielen Corona-Hilfsmaßnamen ist aber weiterhin sehr viel Liquidität im Markt. Daher glaube ich persönlich, dass wir noch eine längere Zeit mit niedrigen Leitzinsen sehen werden. Denn wie will Europa diese Last der Hilfen schultern, sollten die Zinsen plötzlich steigen? Der Druck bleibt hoch auf die Notenbank. Das führt dazu, dass einige andere Anlageklassen überteuert sind.
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