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Erschüttert: NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU).
© imago images/Political-Moments

29 NRW-Polizisten unter Verdacht: Hat die Polizei ein Rechtsextremismus-Problem?

Jahrelang sollen Polizisten in NRW verfassungsfeindliche Inhalte ausgetauscht haben. Der Druck wächst, die Polizei bundesweit genauer unter die Lupe zu nehmen.

Herbert Reul ist die Erschütterung spürbar anzumerken. Ganz kurzfristig hat der Innenminister von Nordrhein-Westfalen zu einer Pressekonferenz eingeladen. Und der Inhalt es in sich.

Knapp 30 Polizisten sollen an Chatgruppen mit rechtsextremen Inhalten beteiligt gewesen sein.

Nach den Vorfällen um rechtsextreme Bedrohungen aus dem Umfeld der Polizei - mit dem anonymen Unterzeichner NSU 2.0 - ist dies ein Skandal, der zeigt, wie sehr die Demokratie inzwischen von innen unter Druck gerät. Von Beamten, die eigentlich einen Amtseid auf das Schützen der Verfassung abgelegt haben.

Was ist bisher bekannt?

"Ich muss sagen, dass mich dieser Vorgang sprachlos macht", sagt der CDU-Innenminister Reul. Das habe er sich nie vorstellen können.

Gegen 29 Polizistinnen und Polizisten wird bisher ermittelt, wegen des Verbreitens von rechtsextremen Inhalten in mindestens fünf WhatsApp-Chatgruppen, darunter Botschaften mit dem Konterfei von Adolf Hitler, Bildmontagen mit Flüchtlingen in Gaskammern und die Darstellung der Erschießung von Menschen mit schwarzer Hautfarbe.

"Wir reden hier von übelster und widerwärtigster neonazistischer, rassistischer und flüchtlingsfeindlicher Hetze", betont Reul. Das sei eine eine Schande für die Polizei. Es geht um mindestens 126 Bilddateien mit strafrechtlicher Relevanz.

Allein beim Polizeipräsidium Essen geht es um 25 Polizisten

Rund 200 Beamte waren am Mittwoch an Razzien beteiligt, die sich gegen 34 Polizeidienststellen und Wohnungen in Duisburg, Essen, Moers, Mülheim und Oberhausen richteten. Den Polizisten wird das Versenden und Empfangen von rechtsextremistischer Propaganda vorgeworfen.

Im Fokus steht das Polizeipräsidium Essen, wo allein 25 Polizisten verwickelt sein sollen, darunter ein Dienstgruppenleiter.

Alle 29 Verdächtigen seien vorläufig suspendiert worden, sie mussten Waffen und Dienstkleidung abgeben und dürfen ihre Dienststellen nicht mehr betreten. Mindestens 14 Verdächtige sollen aus dem Dienst entfernt werden. Den übrigen 15 beschuldigten Beamten seien Disziplinarverfügungen zugestellt worden, so Reul.

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Die Hälfte hatte laut den Ermittlern aktiv Bilder eingestellt, die andere Hälfte habe mitgelesen. Reul bestätigte, dass unter den 29 Beamten auch welche mit Migrationshintergrund seien. Die allermeisten Beteiligten hätten irgendwann mal in derselben Dienstgruppe in der zum Polizeipräsidium Essen gehörenden Polizeiwache in Mülheim an der Ruhr gearbeitet.

Heute arbeite einer der Beamten im Landeskriminalamt, einer im Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten (LAFP), zwei seien im Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) tätig.

Polizisten einer Einsatzhundertschaft - die Polizei in NRW wird von einem Rechtsextremismus-Skandal erschüttert.
Polizisten einer Einsatzhundertschaft - die Polizei in NRW wird von einem Rechtsextremismus-Skandal erschüttert.
© imago/Deutzmann

Was sind weitere Konsequenzen?

Reul hat eine Sonderinspektion für das vor allem betroffene Polizeipräsidium Essen angekündigt. Zudem werde er einen Sonderbeauftragten für rechtsextremistische Tendenzen in der nordrhein-westfälischen Polizei berufen.

Es gehe hier um das Vertrauen in die Polizei und den Rechtsstaat. Rechtsextremisten und Neonazis seien niemals in der Polizei zu dulden. "Da muss man glasklare politische Kante zeigen", betont Reul, der sich zuvor schon einen Namen machte, als er im Kampf gegen kriminelle Clans die Daumenschrauben anzog.

Auch für den Bewerber um den CDU-Vorsitz, Ministerpräsident Armin Laschet wird die Affäre zu einem Lackmustest. "Nicht lamentieren, nicht diskutieren, sondern handeln", gibt Reul als Motto aus, muss aber auch einräumen, dass man sich grundsätzlich die Frage stellen müsse, was in der nordrhein-westfälschen Polizei schief laufe.

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Das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten (LAFP) erfasst seit 2011 Mitarbeiter der NRW-Polizei, gegen die sich ein Extremismus-Verdacht richtet. Bis Ende 2019 gab es erst zehn Verdachtsfälle, in diesem Fall wird diese Zahl deutlich steigen - und niemand weiß, wie hoch die mögliche Dunkelziffer ist.

Wie lange gibt es schon diese Chatgruppen?

Die erste der Chatgruppen soll schon 2012 gegründet worden sein, die letzte verfassungsfeindliche Nachricht fand sich auf einem sichergestellten Handy mit Datum 27. August 2020. Das ist auch für Reul und Laschet höchst unangenehm.

Denn bisher war es die Linie von Reul, einzelne Affären als Einzelfälle abzutun. Schlagzeilen machte Anfang des Jahres der Fall eines Verwaltungsbeamten des Polizeipräsidiums Hamm, der wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer rechtsterroristischen Vereinigung in Haft genommen worden war. Im Zuge der Ermittlungen trennte sich die Polizei in Hamm von zwei weiteren Mitarbeitern. Als die SPD-Vorsitzende Saskia Esken im Juni in einem Interview sagte: "Auch in Deutschland gibt es latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte, die durch Maßnahmen der Inneren Führung erkannt und bekämpft werden müssen", verteidigte Reul die Polizei gegen pauschale Kritik. Er verwies auf umfangreiche Überprüfungen der Bewerber bei der Polizei.

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Bevor junge Leute zur Polizei in NRW kämen, würden sie vom Verfassungsschutz gecheckt und bei Beginn der Ausbildung noch einmal überprüft. Während der Ausbildung gebe es Ethikunterricht. "Und wir machen in der Fortbildung eine ganze Menge. Das ist überhaupt kein Vergleich mit den USA", sagte er mit Blick auf die dortigen Vorfälle. Doch wenn acht Jahre lang dutzende Polizisten rechtsextreme Inhalte austauschen und sich sicher sein können, dass niemand aus der Runde plaudert, mithin der Korpsgeist greift, wirft das Fragen auf.

Irene Mihalic von den Grünen fordert eine bundesweite Untersuchung zum Extremismus in der Polizei.
Irene Mihalic von den Grünen fordert eine bundesweite Untersuchung zum Extremismus in der Polizei.
© picture alliance / Bernd von Jut

Wie groß ist das Problem rechtsextremer Polizisten in Deutschland?

Es gibt bislang keine Statistik und keine Zahlen dazu, wie breit rechtsextremistischer Ansichten unter Polizisten verbreitet sind. Unter Wissenschaftlern ist jedoch klar, dass Polizisten eher konservativ eingestellt sind. Hinzu kommen die Erfahrungen im Arbeitsalltag auch mit Migranten, die durch Straftaten auffallen, und die fehlende Begleitung der Beamten, mit den negativen Erfahrungen umzugehen.

Nach bisherigen Zahlen gab es in den vergangenen Jahren mehr als 200 Fällen, in denen gegen Polizisten wegen rassistischer und/oder rechtsextremer Vorfälle strafrechtlich und disziplinarrechtlich ermittelt wurde. Dabei ist aber zu beachten, dass bei Strafverfahren parallel ein Disziplinarverfahren eröffnet wird.

In anderen Fällen laufen nur Disziplinarverfahren. Zuletzt sorgte die Affäre um die Drohmails, die anonym mit NSU2.0 unterzeichnet waren, für Aufsehen. Die Spuren führen zur Polizei in Hessen. Die in den Drohmails gegen Künstler, Rechtsanwälte und Politiker verwendeten Daten sollen aus dem System der hessischen Polizei abgerufen worden sein.

In Hamburg hatten Zollbeamte bei einem Polizisten fast 1000 Waffen und Waffenteile, Munition sowie Nazi-Devotionalien sichergestellt. Er wurde elf Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt, blieb aber im Dienst. Chatgruppen, in denen Polizisten rechtsextreme Inhalte geteilt haben, wurden bislang in Hessen, Berlin, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg bekannt.

Gibt es in Berlin ähnliche Probleme?

Immer wieder fallen auch in Berlin Polizisten durch rechtsextreme Vorfälle auf. Seit 2017 sind 44 Strafverfahren und 39 Disziplinarverfahren eröffnet worden. Meistens geht es um Rechtsextremismus und Rassismus, in zwei Fällen gibt es einen Bezug zur Reichsbürgerszene.

Doch nicht immer bestätigt sich ein Verdacht, nicht jeder Fall wiegt gleich scher. Aktuell sind 33 Verfahren anhängig. In vier Fällen wurde Disziplinarklage auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erhoben worden. Bei den 15 Verfahren, die bereits beendet sind, war in fünf Fällen eine Geldbuße fällig und in drei weiteren einen Verweis. Fünf Verfahren wurden eingestellt.

Welche Konsequenzen werden nun nach Fall in NRW gefordert?

Nach dem Aufdecken der rechtsextremen Chatgruppen glaube nun doch kaum noch jemand, "dass wir es lediglich mit Einzelfällen zu tun haben", betont die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic, gegenüber dem Tagesspiegel. Sie hat selbst als Polizistin gearbeitet. "Die Innenministerkonferenz sollte beschließen, in allen Bundesländern unabhängige wissenschaftliche Studien über die Verbreitung verfassungsfeindlicher Einstellungen in Sicherheitsbehörden durchzuführen", fordert sie.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hält solche Studien bisher nicht für notwendig. "Die Ergebnisse würden uns in der Debatte um strukturelle Probleme in Polizeibehörden endlich einen Schritt weiterbringen und sicherlich auch einmal mehr zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Polizistinnen und Polizisten mit beiden Beinen fest auf dem Boden unserer Verfassung steht", betont Mihalic.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert ein rigoroses Vorgehen. "Die Bekämpfung des Rechtsextremismus gehört zur DNA der Polizei", betont der stellvertretende nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Michael Maatz. "Die Polizistinnen und Polizisten haben in Deutschland eine zentrale Rolle bei der Entwicklung einer liberalen, weltoffenen Gesellschaft gespielt. Dass es trotzdem Beamte gibt, die in Chatgruppen rechtsradikale, fremdenfeindliche Inhalte teilen, ist unerträglich."

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