Ehemaliger Ärzte-Bassist: Hagen Liebing - der Unglaubliche
"Hallo, Hagen, willst du Popstar werden?", fragte ihn Bela B. 1986. Nach einem kurzen Gastspiel bei der Band Die Ärzte wurde Hagen Liebing Musikjournalist - erst beim Tagesspiegel, dann beim Tip. Ein Nachruf.
Der Traum von einem Leben als Musiker war längst abgehakt, doch dann dieser Anruf: „Hallo, Hagen, willst du Popstar werden?“ Die Ärzte, Punkrock-Kapelle in heftigem Aufwind, brauchten im Sommer 1986 einen neuen Bassisten, und da hatte eben Dirk Felsenheimer alias Bela B. seinen früheren Kumpel Hagen Liebing angerufen. Die beiden kannten sich „aus alten Punk-Tagen Ende der siebziger Jahre in Berlin-Spandau“, wie Liebing später erzählte. Eine unverhoffte Chance, allerdings studierte er schon – Diplom-Medienberater, was nicht gerade auf eine wilde Rock-Karriere hindeutete. Doch es war eines dieser Angebote, die man nicht ablehnen kann, wenngleich Liebing nur Angestellter mit festem Gehalt sein wollte, nicht reguläres Bandmitglied, das alle Risiken mitzutragen hätte.
„Ich bin ein schlichtes Rockgemüt“
"The Incredible Hagen“ (Bandschnack) gehörte der Truppe bis zu ihrer Auflösung 1988 an, zuständig für Bass und Hintergrundgesang. Bei der Wiedergründung 1993 war er nicht mehr dabei, blieb aber in lockerem Kontakt, stand auch 2002 auf dem Kreuzberger Mariannenplatz bei den Ärzten als Überraschungsgast auf der Bühne und freute sich, dass die Fans ihn nach so vielen Jahren noch kannten.
Eine solche Reunion kann es nie wieder geben: Am Sonntag ist Hagen Liebing im Alter von 55 Jahren in Berlin gestorben. Er litt an einer schweren Krankheit, der Tod kam dann aber doch überraschend. Das Kapitel Ärzte hatte er für sich ohne Wehmut abgeschlossen, fand es völlig in Ordnung, nicht mehr dabei zu sein. „Es wurmt mich nicht. Diese Gelassenheit habe ich wirklich“ – so kann man es auf seiner Homepage luckyliebling.de nachlesen. Dem Rock’n’Roll aber ist er als Musikjournalist treu geblieben, zuletzt lange Jahre als leitender Musikredakteur des Berliner Stadtmagazins „Tip“. Schon als die Band sich wieder zusammenschloss, hatte er diesen Weg eingeschlagen – unter anderem beim Tagesspiegel.
„Ich bin ein schlichtes Rockgemüt“, so hatte er sich 1991 in dem damals neugegründeten Ressort „Stadtszene“ vorgestellt. Das war ebenso zutreffend wie schlichtweg untertrieben, denn Liebing erwies sich, bei allem liebenswürdig-gelassenen Auftreten, also großer Kenner und kluger, formulierungssicherer Kritiker der Rockszene.
Musik auch im Privaten
Einer, der ohne jeden Anflug von Eitelkeit porträtierte und rezensierte, selbst in negativen Urteilen noch voller Respekt vor der Arbeit der Musiker. Eben einer, der das Geschäft auch von der anderen Seite des Bühnenrandes kannte.
Als der Tagesspiegel 1994/95 umstrukturiert wurde, die Themen der „Stadtszene“ auf Berlin- und Kulturressort aufgeteilt wurden, endete die Zusammenarbeit, und Liebing fand bald eine neue journalistische Heimat im Musikressort des „Tip“. Und auch im Privatleben blieb die Musik immer präsent, lebte doch Liebing seit vielen Jahren mit Anja Caspary, Musikchefin bei Radio Eins, und den beiden gemeinsamen Kindern zusammen.
Auch mit der Sportstadt Berlin war Liebing, selbst gebürtiger Berliner, eng verbunden. Von 2003 bis 2010 leitete er die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Fußballverein Tennis Borussia. Und wenn auch die Zeit bei den Ärzten für ihn endgültig abgeschlossen war: Er erinnerte sich doch gerne daran, auch öffentlich, sei es in Buchform in „The Incredible Hagen – Meine Jahre mit ,Die Ärzte’“ oder bei „Spiegel online“ über das furiose Abschiedskonzert der Band 1988 auf Sylt. Am Schluss spielten sie damals Piaf vom Band, „Non, je ne regrette rien.“