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Zwei Männer, zwei Welten. Campino von den Toten Hosen konnte nicht immer mit Farin Urlaub von den Ärzten.
© dpa

Berlin ist ihre Bühne: Auf den Spuren der Ärzte und der Toten Hosen

Sie prügelten sich im Ballhaus Tiergarten, wetteten in Schöneberg, versöhnten sich im SO 36. Auf den Spuren der Ärzte und der Toten Hosen in Berlin.

Dirk Felsenheimer und Jan Vetter warteten auf den Bus. Der Dekorateur-Lehrling Felsenheimer, der noch bei den Eltern im Spandauer Arbeiterviertel in der Seegefelder Straße wohnte, hatte den Frohnauer Beamtensohn Vetter-Marciniak, der noch aufs Gymnasium ging, im Ballhaus Spandau an der Dorfstraße kennengelernt. Das war ein angesagter Teenagertreff – von den älteren Politpunks und deren düsteren Lokalen in Kreuzberg hielten die beiden damals nicht viel. Angeblich haben sie sich in der Spandauer Lokalität aber immerhin beim Pogotanzen die Köpfe zusammengehauen.

Sie kamen gerade von den Proben ihrer Band „Soilent Grün“ im Proberaum an der Möckernstraße am Anhalter Bahnhof, gelegentlich spielten sie in der Wilmersdorfer Straße in der Fußgängerzone, um sich ein bisschen Taschengeld zu verdienen. Nun aber standen sie hier, mitten in Frohnau am Sennheimer Platz, dort, wo sich auch die anderen gelangweilten Jugendlichen der gutbürgerlichen Wohnhäuser der Umgebung trafen. Sie hingen herum und hatten plötzlich eine Idee: Eine Punkkapelle wollten sie gründen, die eine Parodie auf alle anderen Popkapellen war. Das war im Jahr 1982, an einer Bushaltestelle in Frohnau, die Geburtsstunde der Ärzte. Dirk Felsenheimer wurde zu Bela B., Jan Vetter zu Farin Urlaub. Und Hans Runge, ein alter Schulkamerad von Jan Vetter aus dem Nachbarviertel Hermsdorf, der für die befreundete Band Suurbiers spiele, wurde zum Bassisten Sahnie.

Etwa zur selben Zeit entschieden Andreas Frege und Andreas von Holst im fernen Düsseldorf, ihr eigenes Ding zu machen. Aus der Band ZK entstanden die Toten Hosen, aus Frege wurde Campino, von Holst nannte sich fortan Kuddel. Regelmäßig waren die Hosen schon damals im geteilten Berlin zu Gast, denn hier ging der Pogo ab, wie man damals sagte, hier war was los. Bei einem Konzert der Suurbiers im Ballhaus Tiergarten in der Perleberger Straße trafen Teile der Bands backstage aufeinander. Der Rest ist Legende.

Zwei Bands - zwei Rivalen

Eine Flasche Wodka, die Bela B. mitgebracht hatte, ein Wutausbruch von Campino, dessen Ursprung ungeklärt ist, ein Streit über Ehre, Frauen und anderes Machozeugs. Mitten im Winter kam es vor dem Ballhaus Tiergarten zu einer Prügelei – die Grundlage der jahrelangen Rivalität der beiden Bands. Sahnie und Bela B. gegen Campino, der sagte: „Zwei Ärzte gegen mich, das ist ungefähr fair.“

Worum es wirklich ging, weiß heute niemand mehr. Nur, dass Bela B. ein blaues Auge davontrug und die Mär von der tiefen Feindschaft der Bands in Umlauf ging – geschürt von regelmäßigen gegenseitigen Hasstiraden in diversen Interviews. Das war eben Punkrock, viel Attitüde – und beiden Karrieren hat es sicherlich nicht geschadet.

Ihr erstes Konzert gaben die Ärzte Ende 1982 in einem besetzten Haus, dem „Besetzereck“ in Kreuzberg, nicht weit vom SO 36. Die Hardcore-Punks allerdings verstanden die Texte nicht, fühlten sich veräppelt und gingen die Band ziemlich hart an. Das hier war nicht die Welt der Ärzte, sie schauten, dass sie schnell in die U-Bahn und zurück in ihre Charlottenburger WG kamen.

Dazu passt, dass erst ein Rockwettbewerb des Senats den Punkrockern 1984 zum Durchbruch verhalf. Das Finale fand im Quartier Latin, dem heutigen Wintergarten in der Potsdamer Straße in Tiergarten, statt, direkt gegenüber dem damaligen Tagesspiegelgebäude. Monika Döring, Chefin des „Loft“ am Nollendorffplatz, glühender Ärzte-Fan, saß in der Jury und beschimpfte jeden, der „ihre Ärzte“ nicht zu Siegern erkor. Und auch die Mütter der Bands brachten ihre Gefolgschaft mit und lieferten gnadenlos massig kopierte Stimmzettel ab. Mithilfe des Preisgeldes in Höhe von 10 000 D-Mark nahmen die Ärzte die Mini-LP „Uns geht’s prima …“ auf, die noch im selben Jahr beim Berliner Label Vielklang mit Sitz am Görlitzer Park veröffentlicht wurde.

Die damalige Promoterin Sylvie, heute als Wahrsagerin bei einem Berliner Esoterik-Sender tätig, hatte die Jugendzeitschrift „Bravo“ überredet – angeblich mit einem erotischen Tänzchen auf dem Tisch des Redakteurs –, eine Serie mit der damals völlig unbekannten Band zu machen. Das war der Durchbruch: Es folgten Hype und Plattenvertrag.

Mittlerweile fahren Campino und Farin Urlaub einen Kuschelkurs.
Mittlerweile fahren Campino und Farin Urlaub einen Kuschelkurs.
© DAVIDS/Darmer

Geheimkonzert am Rosa-Luxemburg-Platz

Durch einen Hinweis des damals auch als Musikproduzent arbeitenden Berliner Fotografen Jim Rakete nahm die CBS Schallplatten GmbH die Ärzte unter Vertrag. Von 1977 bis 1987 führte Jim Rakete in einer Altbauwohnung in der Charlottenburger Leibnizstraße die Fotoagentur „Fabrik“. Er fotografierte und managte viele Musiker der Neuen Deutschen Welle, darunter auch die Ärzte und Nena. Zum Start ihrer Karriere mit „99 Luftballons“ waren die Ärzte glühende Nena-Fans und lauerten als Groupies bei ihren Konzerten herum, zum Beispiel im Schöneberger Metropol am Nollendorffplatz. Heute ist dort das Goya.

Bassist Sahnie, der es vorzog zu studieren, wurde 1986 durch den Berliner Medienstudenten Hagen Liebing ersetzt. Das erste Konzert danach war ein Benefizkonzert für „den wahren Heino“ Norbert Hähnel. Der Berliner Plattenladenbesitzer trat als Heino-Double regelmäßig im Vorprogramm der Toten Hosen auf und wurde vom echten Heino daraufhin verklagt. Die Toten Hosen organisierten ein Benefizkonzert im Berliner Tempodrom, In den Zelten in Tiergarten, damit Hähnel den Anwalt zahlen konnte. Doch der wollte das nicht. Dann gab es ein zweites Benefizkonzert im Tempodrom. Auch das letzte Konzert der Figur des wahren Heino fand dann dort statt. Im Anschluss daran wurde der wahre Heino zeremoniell begraben. Neben den Toten Hosen waren auch die Ärzte und Fury in the Slaughterhouse Gäste des Abschiedskonzerts. Während die Ärzte ihr eigenes Repertoire spielten, gröhlten Freunde immerzu „Sahnie, Sahnie“, angefeuert von dessen Bruder Kröte, was Farin Urlaub erheblich nervte, so dass er schließlich handgreiflich wurde.

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Geheimkonzert am Rosa-Luxemburg-Platz

Obwohl oder gerade weil die Ärzte aus dem geteilten Berlin stammen, haben sie erst spät versucht, auf dem ostdeutschen Musiksektor Fuß zu fassen – was sie später bereuten. Der selbst erklärte DDR-Freund Hagen Liebing war es, der erste Kassetten mit Musik der Band bespielte und sie am Alexanderplatz in Kaufhäusern, Restaurants und Jugendclubs vorführte. So wurde der damalige Jugendradiosender DT64 auf die Ärzte aufmerksam und arrangierte ein Interview. Das wurde zwar nie gesendet – dafür aber wurden die Ärzte zum Geheimkonzert einer anderen Band am Rosa-Luxemburg-Platz, gegenüber dem Babylon, gelotst – und plötzlich auf die Bühne gebeten. Instrumente hatten sie nicht dabei, doch das machte nichts. Nach den verdutzten West-Berlinern spielte eine Bluesband aus dem Publikum.

1987 erschien eine EP beim Ost-Label Amiga mit vier Songs. Abnehmer und Fans gab es genug. Trotzdem haben die Ärzte nie ein richtiges Konzert im Osten gegeben. Später resümierte Bela B.: „Im Nachhinein hätten wir mindestens einmal in Ost-Berlin spielen sollen.“

Die Toten Hosen hingegen pflegten guten Kontakt in den Ostteil der Stadt. Mehrere Geheimkonzerte spielten sie unentdeckt, obwohl sie unter ständiger Beobachtung der Stasi standen. Im April 1988 allerdings wurde diese rechtzeitig auf ein geplantes Konzert aufmerksam, getarnt im Hof des Gemeindehauses der Hoffnungskirche in der Elsa-BrändströmStraße 36 in Pankow. Im Hof der Kirche konnte die Stasi das Konzert nicht unterbinden – auch weil die Band keine Instrumente mitbrachte. Angeblich hat ein britischer Soldat eine Gitarre in einem Fahrzeug der Militärverbindungskommission herübergeschmuggelt. Ein Spitzel beschrieb das Konzert am nächsten Tag als „kirchliche Veranstaltung mit musikalischer Untermalung“.

1995 bekamen die Toten Hosen eine wöchentliche Radiosendung beim ORB/SFB-Jugendsender Fritz: Ein Jahr lang waren sie in Berlin und Brandenburg regelmäßig on air. Auch die Ärzte gingen in Berlin auf Sendung: 1987 gab es erste Erfolge der TV-Jugendsendung „Moskito“ im SFB, für die die Band später eigene Songs schrieb.

Die Indizierung einiger Songs wie „Geschwisterliebe“ mündete für die Ärzte in ein finanzielles Desaster. Ihre Musik wurde boykottiert, Bela B. und Farin Urlaub entschieden daraufhin, die Band aufzulösen: Am 9. Juli 1988 gab sie in Westerland auf Sylt das vorläufig letzte Konzert.

Eine Wette zwischen Campino und Farin Urlaub.

Zeit für neue Provokationen. Kurz nach der Auflösung der Ärzte schlürfte Campino gerade sein drittes Bier, vermutlich im Sexton am Schöneberger Winterfeldplatz. Da kam Farin Urlaub herein, bestellte einen Kamillentee. Versöhnlich grinsend schlenderte Campino herbei und bot ihm eine Wette an: Innerhalb der nächsten fünf Jahre würden sich die Ärzte wiedervereinigen, sagte Campino. Farin Urlaub schickte ihm später das Geld. Denn 1993 beschlossen Bela B. und Farin Urlaub zusammen mit dem Depp-Jones-Gitarristen Rodrigo González am Bass die Neugründung der Band.

Ein Dienstagabend in Kreuzberg im Jahr 2000. Das Plakat vorm SO36 kündigt die Berliner Punkband „Die Zuspäten“ und die Düsseldorfer Alt-Punker „Essen Auf Rädern“ an. Auf den ersten Blick handelte es sich hier um zwei blutige Anfängerbands, die wacklig auf der Bühne stehen und keinen Takt halten können. Doch weit gefehlt! Dahinter verbargen sich nicht nur echte Profis, sondern das war in Musikkreisen auch eine kleine Sensation: Die Ärzte und die Toten Hosen luden zu einem gemeinsamen Konzert. Über ihre Fans hatten sie zu einem „Magic-Mystery-Konzert“ geladen. Die Hosen, extra aus Südamerika eingeflogen, begannen um 19.30 Uhr und spielten 90 Minuten lang ihre Hit-Palette, erweitert um Zugaben aus dem Publikum. Die Stimmung kochte, als die Ärzte die Bühne betraten und bis weit nach Mitternacht spielten. Es war das endgültige Ende der medial hochgespielten Rivalität der beiden Bands. „Das war, um endlich mal einen Punkt zu setzen“, sagte Bela B. in einem Interview. „Hosen- und Ärzte-Fans, guckt mal, wir spielen sogar zusammen Konzerte, so schlimm kann unsere angebliche Feindschaft nun wirklich nicht sein!“

Beide Bands spielten immer wieder in Berlin

Am 21. Juni 2002 gab die Gruppe auf dem Mariannenplatz in Kreuzberg vor rund 30 000 Zuschauern ihr 20-Jahre-Jubiläumskonzert mit dem Titel „15 Jahre netto“ – in Anspielung auf die getrennten Jahre. Als Überraschungsgast trat Hagen Liebing auf.

Beide Bands spielten in den vergangenen Jahren immer wieder große Konzerte in Berlin, die Ärzte immer wieder mit besonderen Zusatz- und Geheimkonzerten. Wuhlheide, Waldbühne, alles immer ausverkauft. Doch während die Ärzte ihr Silvesterkonzert 2006 in Köln gaben (was ihnen viele Berliner übelnahmen), waren es die Toten Hosen, die 2012 im alten Ost-Revier in der Max-Schmeling-Halle zu zwei Konzerten kurz vor dem Jahreswechsel luden. Rod Gonzáles half immerhin bei „Schrei nach Liebe“. Die Coverversion des Ärzte-Hits gehört inzwischen zum festen Liveprogramm der Toten Hosen – so, wie der Hosen-Song „Hier kommt Alex“ seit langem zum Programm der Ärzte gehört.

Campino hat mittlerweile einen Zweitwohnsitz in Berlin. Allerdings verspielte er sich einige Sympathien wieder, als der glühende Fan von Fortuna Düsseldorf sich im Zuge der Relegationsspiele gegen Hertha BSC im vergangenen Jahr nicht gerade positiv zu den Berlinern äußerte. Dafür sitzt der Eishockeyfan häufig in der O2-World, und wenn sie nicht gerade gegen die Düsseldorfer EG spielen, feuert er auch schon mal die Eisbären an – vor allem, wenn es gegen Köln geht.

Die Zeiten der Prügeleien sind endgültig vorbei, der Kuschelkurs ist nun Programm. Am heutigen Abend beginnen die Toten Hosen mit ihrem „Krach der Republik“ das Doppelkonzert-Wochenende auf dem Tempelhofer Feld. Am Sonnabend und Sonntag sind dann die Ärzte dran. Für sie ist es schließlich ein Heimspiel.

Das Konzert der Toten Hosen am heutigen Freitag, 18 Uhr (Einlass 14 Uhr) ist ausverkauft, für die Ärzte am Sonnabend 18 Uhr, Einlass 14.30 Uhr) und Sonntag (17 Uhr, Einlass 14.30 Uhr) im Flughafen Tempelhof gibt es noch Restkarten.

Martina Wagner

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