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Nur für Erwachsene? Anja Caspary ist seit 1997, von Beginn an, bei Radio Eins als Moderatorin dabei. Mit 50 hat sie nun ihren ersten festen Job angenommen.
© Kai-Uwe Heinrich

Radio-Eins-Musikchefin Anja Caspary: Immer anders, immer gleich

Wie macht man Musik nur für Erwachsene? Seit fast 100 Tagen ist Anja Caspary Musikchefin von Radio Eins, als Nachfolgerin des legendären Peter Radszuhn. Eine Begegnung.

Ein grauer Montagmorgen in Potsdam-Babelsberg. Anja Caspary, die neue Musikchefin von Radio Eins, kommt ein paar Minuten zu spät in die Redaktion, zum Termin mit dem Reporter. Sie hat einen Parkplatz beim Radiohaus vom RBB gesucht. Die Stimmung ist gedrückt. Was nicht an der Verspätung liegt, oder an Anja Caspary.

Es ist der erste Werktag nach den Terror-Anschlägen von Paris. Kurz vor zehn Uhr läuft auf Radio Eins ein Stück der Eagles of Death Metal. Das ist jene US-Band, die im Pariser Club Bataclan gespielt hat, als dort Terroristen um sich schossen. Anja Caspary ist, das sagt sie gleich, ein großer Fan dieser Band. Seit Anfang September, seitdem sie in Nachfolge des überraschend verstorbenen Peter Radszuhn Musik-Chefin von Radio Eins ist, sind die Eagles of Death Metal öfter im Radio-Eins-Programm zu hören.

Die Rockband wurde nach den Anschlägen in einen Zusammenhang mit den Motiven der Attentäter gebracht, was Anja Caspary ziemlich aufregt. Gleich ein starkes Thema für die leidenschaftliche Musik-Expertin, vielen Radio-Eins-Hörern als Moderatorin mit der sanft-verführerischen Stimme bekannt, vor allem aus der Sendung „Radio Affair“. Sie ist seit den Anfangsjahren von Radio Eins, seit 1997, am Mikro dabei.

Sie konnte Musik in ihren Spezialsendungen spielen, aussuchen, schwärmen und streiten. Jetzt muss sie eine 30-köpfige Musik-Redaktion aus festen und freien Mitarbeitern beim RBB leiten. Vielleicht auch einen Auftrag erfüllen. Klingt nach Stress. Auch Radio-Machen ist nicht einfacher geworden, in diesen Zeiten, wo sich für jeden musikalischen Geschmack ein Online-Streamingdienst findet.

Radio Eins müsse sich auch nicht neu erfinden

„Es gibt keinen Auftrag“, sagt sie nach kurzer Überlegung. „Unsere Reichweiten sind ja stabil.“ Radio Eins müsse sich auch nicht neu erfinden. Was so gesagt wird, wenn ein neues Amt die Worte noch mehr wägen lässt. Ist es aber nicht doch so, dass die beliebte Moderatorin und das Radio-Eins-Urgestein anders denken, anders ticken muss als jetzt die Musikchefin?

„Nicht unbedingt“, sagt Anja Caspary. „Schon als Moderatorin habe ich mich auch als Anwältin der Hörerinnen und Hörer gesehen. Dies und eine gewisse Unbefangenheit können bei der Überarbeitung eines Musikprogramms nicht schaden.“ Sie lege viel Wert auf Teamgeist und Transparenz, arbeite, anders als Peter Radszuhn, auch in einem Großraumbüro. Im Übrigen sei sie ein bisschen stolz darauf, eine der ersten Musikchefinnen der ARD zu sein. „Sie dürfen nicht vergessen, dass die Musik-Branche über viele Jahre sehr männerdominiert war, vielleicht auch noch ist.“

Der Weg in diese Männerdomäne war weit. Anja Caspary stammt aus Frankfurt/Main, Jahrgang 1964. Ausbildung zur Physiotherapeutin, Studium der Germanistik und Theaterwissenschaft an der FU. Auf einer Party nach dem Abitur sagte jemand zu ihr, ihre Stimme erinnere ihn an Nena, ob sie singen könne. Ein Musikproduzent, durch den Anja Caspary einen Plattenvertrag für eine Single bekam.

Damit wurde sie zum Hessischen Rundfunk eingeladen. Im Studio merkte sie, „Moderieren ist mein Traumjob“. Erste Radioerfahrungen 1989 bei SFB2. Dann Stimme von Radio Eins. 2012 wurde sie vom Grimme-Institut für den Deutschen Radiopreis als Beste Moderatorin nominiert. Nun der erste feste Job für die Mutter zweier fast erwachsener Kinder: Musik-Chefin bei einer öffentlich-rechtlichen Anstalt, mit 50.

Ewiger Slogan: „Nur für Erwachsene.“

Ein Wagnis? Nicht unbedingt. Keine Angst haben, das sei ihr Lebensmotto. Das mit den stabilen Reichweiten bei Radio Eins kommt ihr natürlich entgegen, seit Jahren weisen die Radio-Quoten regelmäßig um die 90 000, 100 000 Hörer aus. Bei aller Kritik, die der Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) über sich ergehen lassen muss – Radio Eins gibt dem Mittelalter-Bürger tatsächlich das gute Gefühl, dass Älterwerden nicht der größte Schrecken im Leben sein muss. Ewiger Slogan: „Nur für Erwachsene.“

In Abwandlung eines alten John-Peel-Satzes: Radio Eins ist immer anders, aber immer das Gleiche, das Gute. Viele Berlin-Besucher wundern sich über dieses Radio-Programm, das in anderen Bundesländern seinesgleichen sucht. Keine albernen Spielchen, selten gekünstelte gute Laune.

Dennoch, viele Stammhörer monieren, dass sich manche Musikrichtungen wie Hip-Hop oder elektronische Musik im Tagesprogramm kaum wiederfinden. Andere wollen mehr Charts hören. In der Tat trifft man an einem ganz normalen Radio-Eins-Werktag häufiger auf alte Bekannte wie Johnny Cash, Pink Floyd oder Kraftwerk. Das Ganze sei sehr rocklastig ausgelegt, Anja-Caspary-Musik eben. Ihr bevorzugt schwarzes Outfit, Jeans und Shirt, ihr Faible fürs Motorradfahren weisen auf musikalische Vorlieben hin, die eher bei der Rock-Gitarre liegen.

Casparys Programmchef Robert Skuppin sprach anlässlich ihres Job-Einstiegs im September von „neuen Abenteuern in der Musikwelt“. Jetzt sind fast 100 Tage rum. Anja Caspary hat in der Richtung einiges getan. „Unsere Playlist entsteht weiterhin nicht aus dem Musik-Research und auch nicht anhand der Charts, sondern aus einem Bauchgefühl und vor allem aus Repertoirekenntnis.“

Mehr Schätze heben

Sie möchte nach 18 Jahren Radio Eins frischen Wind hineinbringen. „Wir sichten und bewerten gerade im Team rund 15 000 Titel neu. Ich möchte gern mehr Schätze heben, habe auch alle Radio-Eins-Mitarbeiter ermutigt, ihren Geschmack, ihre Vorlieben einzubringen.“

Die privaten Vorlieben der Radio-Eins-Musikchefin haben sich mit dem Jobwechsel nicht geändert. Sie ist abends oft in Berlin unterwegs, in Konzerten oder Clubs. Sie ernährt sich gesund, kein Zucker, kein Alkohol. „Ich mache jeden Morgen eine Stunde Yoga und Meditation. Ansonsten: Motorradfahren und Gartenarbeit in meinem Haus in Charlottenburg.“

Dazu kommt sie in den ersten Wochen als Musik-Chefin eher weniger. Anja Caspary muss gleich in die Konferenz. Auf Radio-Eins wird es an diesem Montagmittag eine Schweigeminute geben, nach den Anschlägen von Paris. Auch das ist neu.

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