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Sandra Scheeres (SPD), Bildungssenatorin von Berlin.
© dpa
Update

Rot-Rot-Grün in Berlin streitet übers Kopftuch: Grüne und Linke werfen Bildungssenatorin Scheeres „Verschleppung“ vor

Religiöse Symbole sollen an Schulen tabu sein. Urteile, die das infrage stellen, will die Bildungssenatorin juristisch klären lassen. Grüne und Linke sind skeptisch - im Senat gibt es Streit.

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) will weiterhin religiöse Symbole und Kleidungsstücke wie Kopftuch, Kippa oder Kruzifix an Berliner Schulen verbieten. Dafür wird sie von Linken und Grünen scharf kritisiert.

Nachdem nun die Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichts zum Kopftuchverbot vorliegt, will Scheeres gegen die Entscheidung vor dem Bundesverfassungsgericht Beschwerde einlegen. Das wurde dem Tagesspiegel aus Kreisen der rot-rot-grünen Koalition bestätigt. Zuerst berichtet die „Bild“-Zeitung darüber.

Scheeres stellte ihre Verfassungsbeschwerde am Dienstag im Senat vor. Sie erntete dafür teils heftige Kritik der Koalitionspartner. Tagesspiegel-Informationen zufolge warf Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) Scheeres „politische Verschleppung“ vor und stellte die Frage: „Welche Grundrechte des Landes Berlin sollen denn hier eigentlich betroffen sein?“

Behrendt soll äußerst aufgebracht gewesen sein. Nach der Sitzung sagte Berlins Justizsenator dem Tagesspiegel: „Das ist sinnfreie Prozesshanselei. Wir sind verwundert, dass neuerdings Verfassungsbeschwerden ohne Senatsbeschluss eingereicht werden.“ Es habe dazu nicht einmal eine schriftliche Vorlage im Senat gegeben. Auch in der Staatssekretärsrunde am Montag soll das Thema nach Tagesspiegel-Informationen nicht besprochen worden sein.

Behrendt sagte: „Die Bildungsverwaltung ist mit ihrer Rechtsauffassung beim Neutralitätsgesetz durch alle Instanzen unterlegen. Es ist bedauerlich, dass die Bildungsverwaltung trotz rechtlicher Bedenken an ihrem Vorgehen festhalten möchte.“

Grüne und Linke wollen Kopftücher bei Lehrern zulassen

Während der digitalen Sitzung am Dienstagmorgen soll Klaus Lederer, Kultursenator und stellvertretender Bürgermeister Berlins, der scharfen Kritik des Justizsenators beigepflichtet haben.

Die Kritik kommt wenig überraschend. Bekanntlich setzen die Grünen, allen voran Behrendt, auf eine weitgehende Zulassung religiöser Symbole – vor allem von muslimischen Kopftüchern.

Auf Grundlage der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist unter Behrendts Verantwortung 2020 muslimischen Referendarinnen das Kopftuch im Sitzungsdienst für die Staatsanwaltschaft im Gerichtssaal unter strengen Vorgaben erlaubt worden. Die SPD wertete das als Affront.

Zuletzt hatte die Migrantenquote für Bewerber im öffentlichen Dienst für Streit in der Koalition gesorgt. Wegen verfassungsrechtlicher Hürden wird es nun keine Quote geben, hier setzte sich die SPD durch. 

Beim Kopftuchverbot an Schulen scheint die SPD nun eine Entscheidung bis über die Wahl des Abgeordnetenhauses im September hinauszögern zu wollen, obwohl das Neutralitätsgesetz angepasst und konkretisiert werden müsste. Damit bliebe das Thema, bei dem Parteichefin Franziska Giffey klar gegen religiöse Symbole an Schulen ist, weiter Wahlkampf-Thema.

Entscheidung am Bundesarbeitsgericht zum Neutralitätsgesetz

Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hatte im August 2020 in einem Einzelfall über das Berliner Neutralitätsgesetz entschieden. Eine Muslimin bekam 5129 Euro Entschädigung wegen Diskriminierung zugesprochen, weil sie wegen ihres Kopftuches nicht in den Schuldienst des Landes Berlin eingestellt wurde. 

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Denn das Neutralitätsgesetz schreibt vor, dass an öffentlichen Schulen keine sichtbaren religiösen Symbole getragen werden dürfen. Die Erfurter Richter bemängelten: Wenn eine angehende Lehrerin wegen eines Kopftuches nach dem Berliner Gesetz abgelehnt wird, muss klarer begründet werden, warum das Kopftuch den Schulfrieden stört – eine Einzelfallentscheidung. 

Eine Lehrerin mit Kopftuch steht mit einer Schülerin vor der Tafel. 
Eine Lehrerin mit Kopftuch steht mit einer Schülerin vor der Tafel. 
© Getty Images/iStockphoto

Die Bundesrichter haben das Neutralitätsgesetz selbst nicht explizit für verfassungswidrig erklärt, es gilt weiterhin. Allerdings riskiert das Land Berlin ohne Novelle weitere solcher Richtersprüche. 

Aus der SPD war am Montagabend zu hören, dass sich Bildungssenatorin Scheeres tatsächlich für eine Klage entschieden hat. Das sei jedoch ihre eigene Entscheidung gewesen und keine Strategie der Berliner SPD als Ganzes. 

Dementsprechend sei ja auch das Wahlprogramm an dieser Stelle offener gefasst. Dort heiß es nur: „Die Vielfalt der Berliner Schüler:innen setzt einen neutralen Staat voraus, der alle gleich behandelt. Deshalb stehen wir zum Berliner Neutralitätsgesetz und prüfen eine Anpassung im Lichte der aktuellen Rechtsprechung“. 

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Entsprechend hatte sich die Berliner SPD-Bildungsexpertin Maja Lasic am Wochenende gegenüber dem Tagesspiegel geäußert. Wenn man vor den Arbeitsgerichten scheitere, sagte Lasic, müsse man eben einen anderen Weg beschreiten – etwa durch eine Präzisierung im Gesetz. Es müsse möglicherweise klarer gemacht werden, wann eine Gefährdung des Schulfriedens vorliege, damit nicht jeder einzelne Fall neu verhandelt werden müsse. 

Auf jeden Fall verlaufe hier ein Graben zu den Koalitionspartnern Grüne und Linke. Lasic hatte dabei bereits angedeutet, dass auch der Weg nach Karlsruhe erwogen werde.

„Die Ankündigung ist nicht abgesprochen“

Der Rechtsexperte der SPD-Fraktion, Sven Kohlmeier, sagte hingegen: „Ich bin überrascht, dass man diesen Weg gehen möchte. Ich halte diesen aus rechtlichen Gründen nicht für Erfolg versprechend.“ Auch das Bundesverfassungsgericht hatte bereits in anderen Fällen entschieden, dass beim Kopftuch die Gefahr für den Schulfrieden konkreter begründet werden muss. 

Behrendt wiederum hatte sich bereits am Montagabend irritiert gezeigt. „Die Ankündigung ist nicht abgesprochen und anders verabredet“, sagte sein Sprecher Sebastian Brux dem Tagesspiegel. „Es gibt eine höchstrichterliche Rechtsprechung zu beachten und umzusetzen statt den Rechtsstreit ohne jede Erfolgsaussicht fortzusetzen.“

Behrendt steht mit seiner Einschätzung nicht allein in seiner Partei. Die Grünen glauben nicht, dass eine Beschwerde Erfolg haben wird. Es sei aber das „gute Recht“ der Bildungssenatorin, den Rechtsstreit höchstrichterlich zu klären, hieß es am Dienstag vor der Senatssitzung. Man sehe das gelassen, einen politischen Streit wolle man nicht entfachen. Davon wiederum war kurz darauf nur noch wenig zu spüren. 

„Wünsche Frau Scheeres eine gute Reise auf ihrer Irrfahrt nach Karlsruhe“

Juristische Bedenken hat auch die Linke. „Verfassungsbeschwerden können nach meiner Kenntnis nicht vom Staat eingelegt werden, sondern von Bürgern, die geltend machen, der Staat habe sie in Grundrechten verletzt", sagte Kultursenator und Bürgermeister Klaus Lederer dem Tagesspiegel. "Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht zu dieser Frage bereits umfassend und klar entschieden. Es wäre an der Zeit, dass die Bildungsverwaltung diese Rechtsprechung nach diversen Niederlagen vor Fachgerichten endlich ernst nimmt, anstatt hier auf Zeit zu spielen."

Lederer ist Jurist – wie auch der Rechtspolitiker der Linksfraktion, Sebastian Schlüsselburg. Er äußerte sich ebenfalls kritisch: „Ich wünsche Frau Scheeres eine gute Reise auf ihrer Irrfahrt nach Karlsruhe. Sie wird aber erfolglos bleiben. Statt verfassungsrechtlicher Irrfahrten sollten wir jetzt die Vorgaben des Bundesarbeits- und Bundesverfassungsgerichtes befolgen und das Neutralitätsgesetz zur Herstellung des Rechtsfriedens maßvoll anpassen“, sagte Schlüsselburg dem Tagesspiegel.

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Der Vorstand der Berliner Linken hatte im Dezember 2019 einen Beschluss zur „religiösen Neutralität der Schulen“ verabschiedet, der nach wie vor gültig ist. Die Linke sieht „keine hinreichenden Gründe für die Aufrechterhaltung einer Bekleidungsvorschrift, nach welcher Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag keine religiös geprägten Bekleidungsstücke und Symbole an öffentlichen Schulen tragen dürfen“. Die Partei fordert das pauschale Verbot in öffentlichen Schulen aufzuheben und das Neutralitätsgesetz zu überarbeiten.

Unter Experten ist umstritten, ob die Verwaltung Beschwerde einlegen kann

Scheeres' Juristen sehen offenbar jedoch Fehler in der Entscheidung der Bundesarbeitsrichter in Erfurt: Diese hätten demnach nur die Perspektive der angehenden Lehrerin betrachtet, dagegen seien die Rechte der Kinder in den Schulen nicht angemessen gewürdigt worden – nämlich der Schutz vor religiöser oder weltanschaulicher Einflussnahme. 

Unter Rechtsexperten ist überdies umstritten, ob die Bildungsverwaltung überhaupt gegen die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts Beschwerde in Karlsruhe einlegen kann. Die Gefährdung der Kinder durch Kopftücher muss der Senat schließlich bereits in Erfurt vorgetragen haben. 

Hinzu kommt: Die Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht obliegt sogenannten Grundrechtsträgern, die sich gegen Entscheidungen des Staates wehren wollen. Der Staat selbst ist kein Grundrechtsträger. Möglicherweise könnte sich die Bildungsverwaltung auf das Grundrecht auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren berufen.

Am Montagabend äußerte sich auf Anfrage auch der ehemalige Antidiskriminierungsbeauftragte der Bildungsverwaltung, Dervis Hizarci, zu der aktuellen Diskussion um das Neutralitätsgesetz: "Meine Erfahrungen als Antidiskriminierungsbeauftragter waren eindeutig. Dieses Gesetz dient eher der Diskriminierung als dass es für Neutralität sorgt", lautet seine Einschätzung. Man könne annehmen, "dass an dieser Stelle die integrationspolitische Strategie in den frühen 2000er Jahren stehen geblieben ist".

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