Debatte um Migrantenquote: 20 Betriebsräte und Gewerkschafterinnen drängen Berliner SPD zum Kurswechsel
Mit einem Brief haben sich mehr als 20 Arbeitnehmervertreter an die Berliner SPD-Spitze gewandt. Auch ein klärendes Gespräch zum Gesetzentwurf ist geplant.
Mehr als 20 Berliner Betriebsräte und Gewerkschafterinnen haben sich am Montag mit einem offenen Brief an die SPD-Spitze gewandt. Sie fordern die beiden Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh zu einem Kurswechsel in Sachen Migrantenquote in der Verwaltung auf.
Unter ihnen sind Vertreter von Verdi, der Lehrergewerkschaft GEW oder der IG Metall. „Mit großer Sorge erfuhren wir nun aus den Medien, dass die Berliner SPD dem Gesetzesentwurf der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales nun eine Einstellungsquote für Menschen mit Migrationsgeschichte festzuschreiben, ihre Zustimmung verweigert“, heißt es in dem Schreiben.
Bislang verweigert die SPD, allen voran Innensenator Andreas Geisel, der geplanten Neufassung des Partizipations- und Integrationsgesetzes aus dem Haus von Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linke) die Mitzeichnung.
Zum einen werden von den Sozialdemokraten verfassungsrechtliche Gründe dafür angeführt, zum anderen wird eine Quote nicht als das richtige Instrument zur Erhöhung der Vielfalt in der Verwaltung gesehen. Stattdessen will die SPD, äquivalent zur erfolgreichen kulturellen Öffnung der Polizei, unter anderem Zielvereinbarungen mit Führungspersonen abschließen.
Bereits Anfang Januar hatte sich Franziska Giffey, Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl im Herbst, skeptisch zur Migrantenquote geäußert. Die Familienministerin sagte während einer Tagung des dbb Beamtenbunds, man käme durch die Quote an einen Punkt, an dem diskutiert würde, für wen sie gelte und ob Eignung und Leistung überhaupt noch eine Rolle spielten. Wichtiger seien Rollenvorbilder und Unterstützung durch sogenannte Buddy-Programme.
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In ihrem offenen Brief erinnern die Betriebsräte und Gewerkschaftler Giffey nun an eine andere Aussage, die sie Anfang 2020 im Bezug auf die Frauenquote getroffen hatte: „Der eine Thomas fördert den anderen Thomas, der eine Michael den anderen Michael.“ Die migrantischen Arbeitnehmervertreter schreiben: „Das kennen wir auch, liebe Franziska!“
Viele Menschen mit Migrationsgeschichte würden ähnliche Erfahrungen machen, nicht nur in privaten Betrieben, sondern auch in der Verwaltung. Als Migrant oder Migrantin müsse man „doppelt so gut sein“ und dürfe „keine Fehler machen“.
Bislang haben nur rund zwölf Prozent Migrationshintergrund
Erst am vergangenen Dienstag hatte die rot-rot-grüne Koalition einen scharf geführten Streit um den Vorschlag aus dem Haus von Integrationssenatorin Breitenbach entschärft. Breitenbach wird sich nach Tagesspiegel-Informationen „in Kürze“ mit Innensenator Geisel zusammensetzen, um einen gemeinsamen Gesetzesentwurf auszuarbeiten. Ein Vier-Augen-Gespräch soll möglichst noch in dieser Woche den Konflikt klären.
Im Ziel sind sich, das wird betont, alle einig: Der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund soll in der Verwaltung dem Anteil in der Berliner Bevölkerung entsprechen. Das wären momentan 35 Prozent. Der Anteil in der Verwaltung zurzeit auf gerade einmal zwölf Prozent geschätzt, genaue Zahlen existieren aber nicht.
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Innensenator Geisel hatte im Interview mit dem Tagesspiegel verdeutlich, dass er eine verbindliche 35-Prozent-Quote für verfassungswidrig hält. „Unser Grundgesetz sagt, niemand darf bevorteilt oder benachteiligt werden aufgrund seiner Herkunft, seines Geschlechts, Ethnie, Sexualität“, sagte der SPD-Politiker.
Bei Frauen und Menschen mit Behinderungen habe man das durch Gesetze ergänzen können, betonte Geisel: „Das sind aber harte Kriterien! Der Migrationshintergrund ist eine freiwillige Angabe – wir kommen über eine Orientierungsgröße nicht hinaus.“